Als „Baseballschlägerjahre“ werden die vorherrschende rechte Gewalt in den späten 80er-, 90er- und 2000- Jahren bezeichnet. Sie waren sowohl in Ost-, als auch in Westdeutschland präsent. In Ostdeutschland zielte die rechte Szene insbesondere auf die Hegemonie in öffentlichen Räumen und der Straße ab, was ein Intensitätsunterschied gegenüber den Geschehnissen in Westdeutschland darstellt (Virchow 2022). Ortsnamen wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen haben durch grauenvolle Angriffe und Pogrome Berühmtheit erlangt (Bundeszentrale für politische Bildung 2023).

Ostdeutschland

Die offen ausgelebte und geradezu explodierende rechte Gewalt im Osten überraschte viele. Doch schon zu DDR-Zeiten und besonders Ende der 80er Jahre gab es rechte Gewalt und rechtes Gedankengut in der Gesellschaft. Dies wurde jedoch von den Behörden nicht thematisiert, da es aus ideologischen Gründen in der DDR offiziell keine Rechtsradikalen geben durfte. Auch nach der Friedlichen Revolution wurde kein besonderes Problem mit rechtem Gedankengut oder einer rechten Szene in Ostdeutschland seitens der öffentlichen Behörden gesehen, Nazitum wurde der Vergangenheit zugeordnet oder als Irrweg einiger Weniger angesehen. Das Wissen um diese Blindheit hilft zu verstehen, weshalb rechte Stimmungsmachende in der Zeit des Umbruchs und der damit einhergehenden Unsicherheiten und geringen Regulierung so erfolgreich waren (Werner 2022).

Sachsen - Gewalt im öffentlichen Raum

Die Übergriffe der Rechten in den 90er Jahren galten augenscheinlich „Nicht-Deutschen“, Unterkünften für Geflüchtete, Wohnheimen von Vertragsarbeitern, Linken, Punks, Alternativen, Homosexuellen, kurz gesagt, alle jenen, welche als nicht passend deklariert wurden (Werner 2022).

Es kam zu verbalen Angriffen, Drohungen, Verfolgungen, physischer Gewalt, Sachbeschädigungen, Angriffen auf Unterkünfte bis hin zu Tötungen. Jorge Gomondai wurde in Dresden getötet. Die Angriffe fanden im öffentlichen Raum statt, auf der Straße, öffentlichen Plätzen oder auch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Damalige Betroffene schildern, dass der öffentliche Raum für sie einen Angstraum darstellte, in dem sie nicht sicher waren (Wolters et al. 2021, Min 12:28- 12:48).

Zu dieser offenen Gewaltausübung kam die Passivität der Passanten hinzu. Ein entscheidender Punkt dabei war, dass Zuschauende meist unbeteiligt blieben, nicht einschritten, oder wie in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und anderen Orten sogar applaudierten (Sandig 1994, S. 73). Der damalige sächsische Ausländerbeauftragte Heiner Sandig beschreibt in seinem Bericht an den Landtag Folgendes: „Ein großes Problem bei der Bekämpfung von Gewalt ist der Mangel an Zivilcourage der Bevölkerung. Immer häufiger gibt es Meldungen über ausländerfeindliche Über- oder Angriffe, bei denen die in unmittelbarer Nähe Stehenden tatenlos zusehen. Es ist zwar richtig, daß es nicht immer ungefährlich ist, unmittelbar in das Geschehen einzugreifen, aber es kommt nicht selten vor, daß sich selbst nach dem Vorfall keine Tatzeugen zur Verfügung stellen. Das ist beängstigend" (Sandig 1994, S. 73). Für einen tieferen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten lohnt es sich hier weiterzulesen. Der Artikel erläutert den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit den Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern in der DDR, die (Nicht-) Integrationsansätze und die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Wendezeit.

Die Täter

Die meisten rechtsorientierten/rechtsextremistischen Übergriffe wurden von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden verübt (Sandig 1994, S. 68).  Die rechte Szene organisierte sich gut und verfolgte das Ziel, neben der Präsenz auf der Straße auch soziale Räume zu besetzen (Werner 2022). Dafür wurden Jugendclubs, Sportclubs und andere Treffpunkte zu Zielorten.

Mit dem Aufkommen vermehrter rechter Gewalttaten von Jugendlichen wurden Maßnahmen ergriffen, die in der Jugendarbeit und der Sozialarbeit dieser Entwicklung etwas entgegensetzen sollten. Hierfür wurde von der Bundesregierung unter Helmut Kohl das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (AgAG) ins Leben gerufen. Es richtete sich zwischen 1992 und 1996 in ausgewählten sogenannten Brennpunkten an Jugendliche aus dem rechten und rechtsextremen Milieu. Hierbei wurde insbesondere das Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit“ angewandt. Ein Konzept, bei dem Kinder und Jugendliche, die aus der rechten Szene kommen, nicht umgeschult oder politisch gebildet werden sollten, sondern mit ihrer Lebensrealität und Gedankenwelt akzeptiert werden sollten. Man versuchte so den Zugang zu den Kindern und Jugendlichen herzustellen und über einen Beziehungsaufbau die Jugendlichen zu begleiten, damit sie einen erfüllten und selbstbestimmten Lebensweg finden. Dies beinhaltete die zugrundeliegende Annahme, dass über die Akzeptanz und Begleitung auch eine Abwendung rechter Lebenswelten vollzogen wird (Bruns 2022).

Dieser Ansatz erhielt viel Kritik, da Jugendclubs und andere betreute Treffpunkte zu einem Ort der Vernetzung der rechten Szene wurden und Jugendliche auf mehr rechtes Gedankengut um sie herum trafen. Heute geht man davon aus, dass dieser Ansatz dazu beigetragen hat, rechte Strukturen eher zu verfestigen. Es ist aber auch wichtig zu betonen, dass das Konzept im Bereich der Arbeit mit Rechtsextremen neu angewandt und somit in der Praxis erprobt wurde. Die Zeit des Umbruchs war geprägt vom Wegfall der Strukturen der Jugendarbeit der DDR, viele Pädagoginnen aus der DDR durften nicht weiterarbeiten und die Gesellschaft war von Unsicherheit und Neuorientierung geprägt (Bruns 2022).

Rechtsextreme aus Westdeutschland nutzen den gesellschaftlichen Umbruch, um ihre Ideologien zu verbreiten und die Strukturen im Osten mitzuprägen (Kollmorgen 2022, S. 34).

Die Herausforderungen waren also sehr groß und man versuchte ihnen mit dem Konzept der „akzeptierenden Jugendarbeit“ ein Stück weit zu begegnen.  Ein Beispiel unter vielen war das Jugendtreff Kirschberghaus in Leipzig-Grünau.
 

Die Rolle der Polizei

Neben der Jugendarbeit ist auch die Arbeit und Rolle der Polizei in den Baseballschlägerjahren kritisch zu betrachten. Betroffene von rechter Gewalt erzählen, dass die Polizei nicht zur Hilfe kam, sie schritt bei Massengewalt wie in Hoyerswerda zu zögerlich und zu wenig ein, Personalien von Verdächtigen wurden teilweise nicht aufgenommen, Ermittlungen ebenso nicht oder schnell eingestellt, Analysen zu rechter Gewalt nicht ernstgenommen und Maßnahmen dagegen kaum unternommen.

Wie kam es zu dieser fehlenden Präsenz der staatlichen Behörde? Warum wurde der rechten Gewalt so wenig entgegengesetzt? Wie war die Polizei in Ostdeutschland nach der Volkspolizei der DDR aufgestellt? Der hier verlinkte Text geht diesen Fragen nach.

Maßnahmen gegen die offene Gewalt

In den 2000ern ging die öffentliche Gewalt zurück (Bangel 2022). Nachdem die Zivilbevölkerung eine lange Zeit ängstlich, unbeteiligt oder zustimmend defensiv blieb, reagierten immer mehr Menschen. Sie bildeten Initiativen, Vereine wurden gegründet und eine Gegenöffentlichkeit präsentiert (Pross 2015). Auch politische Maßnahmen wurden zum Beispiel im Bereich der Jugendarbeit durchgeführt und Initiativen, welche sich gegen Rechts engagierten, wurden unterstützt.

Insbesondere das Bundesprogramm  "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" war ein bundesweites Programm, welches von 2001-2006 Projekte gegen rechte Strukturen und für Demokratieförderung regional förderte (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006). Außerdem wurde das Amt der Ausländerbeauftragten in Sachsen und in den Kommunen geschaffen. Sie berichteten über die Lage der Migrantinnen und Migranten in der Region, vernetzten Initiativen und berieten die Regierungen. Sie machten Vorschläge zum Vorgehen gegen die rechte Hegemonie und für den Schutz der Betroffenen (Sandig 1994, 9,73). Die Polizei sowie die Justiz griffen teilweise härter durch und verfolgten Straftaten intensiver. Insbesondere die Sonderkommission gegen Rechtsextremismus (Soko Rex) war ein erfolgreiches Werkzeug im Vorgehen gegen die rechtsextreme Szene. Sie wurde 1991 gegründet (Sandig 1994, S. 71). Bis zum Jahre 1997 hat die Soko Rex 2362 Tatverdächtige ermittelt und 287 Haftbefehle erwirkt. Sie hatte eine Aufklärungsquote von 85,5% (Lesch 1997).

Neben den Maßnahmen, welche die Politik, Polizei und Zivilbevölkerung unternommen haben, kam auch hinzu, dass sich die rechte Szene selbst verändert hatte. Zum einen erfolgte ein Rückzug aus den öffentlichen Räumen eher in private oder geschlossene Räume, zum anderen fand eine größere politische Mobilisierung statt mit dem Ziel, über Parteistrukturen in die Parlamente zu gelangen. Die NPD konnte beispielsweise bei den sächsischen Landtagswahlen 2004 9,2% der Stimmen für sich gewinnen. Auch das (modische) Auftreten von Teilen der Szene veränderte sich von Springerstiefel und Glatze hin zu einem hippen, intellektuellen Auftreten. Die sozialen Medien wurden gezielt eingesetzt. Ebenso wurde eine eigene rechte Elite aufgebaut, die über Publizistik und intellektuelle Netzwerke verfügt.

Konsequenzen

Es ist wichtig zu betonen, dass die rechtsextreme Szene und die Gefahr, die von ihr ausging, nicht einfach verschwunden war. Die offene Gewalt auf den Straßen konnte in Teilen zurückgedrängt werden. Hierfür waren Aktivitäten der Zivilgesellschaft, der Justiz und Polizei, sowie der Politik nötig. Viele Betroffene der Gewalt von damals leiden bis heute unter den Erlebnissen. Insbesondere werfen Sie der Gesellschaft und der Politik vor, kaum Aufarbeitung über die offene rechte Gewalt der 90iger Jahre zu leisten. Die Gewalt wird häufig verschwiegen oder bagatellisiert (Werner 2022).

Das Schweigen hat Konsequenzen. In einigen Regionen in Ostdeutschland erfährt rechtes Gedankengut wenig Gegenwehr. Die jahrzehntelange Gewalt und Einschüchterung haben auch dazu geführt, dass viele Menschen, die ein offenes Weltbild haben oder explizit betroffen sind, diese Regionen verlassen haben. Damit entstehen Rückzugsräumen für rechte Akteure (Bangel 2022).

Die als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD Sachsen am 1. September 2024 mit 30,6% als zweitstärkste Kraft in den Sächsischen Landtag eingezogen. In Pirna gewann bei der Oberbürgermeisterwahl 2023 der Kandidat der AFD (Verwaltungsgemeinschaft Pirna 2023). 

Die Geschichte und die Gegenwart zeigen aber auch deutlich auf, dass eine aktive Zivilgesellschaft, ein entschlossenes Agieren der Politik und Justiz durchaus erfolgreich sein können, sich gegen rechte Hegemonie zu behaupten.

Quellen: