Die sogenannten Baseballschlägerjahre in den 90er- und 2000er Jahren waren von rechter Gewalt in öffentlichen Räumen geprägt (Bangel 2022). Wie kam es zu einer Abnahme der Gewalt? Und konnte die rechte Szene zurückgedrängt werden?
Die Eskalation offener Gewalt und ihr Rückgang haben viele Ursachen und Aspekte. Einige relevante Punkte, die zum Rückgang der dominierenden rechtsextremen Straßengewalt beigetragen haben, werden im Folgenden betrachtet.
1. Polizeiliche Maßnahmen und Justizreform
Die Rolle der Polizei ist für die Analyse des Umgangs mit öffentlicher Gewalt sehr wichtig. In den Baseballschlägerjahren stand die Polizei eher für Überforderung und Abwesenheit als für effektives Eingreifen (Wagner 2023).
Der damalige sächsische Ausländerbeauftragte beschreibt in seinem 2. Bericht an den Landtag 1994 über Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden und ergriffen werden sollen. Die Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz sei zu konsequenter Umsetzung des rechtlich Möglichen aufgefordert. Darunter fällt eine konsequente Verfolgung von Straftaten, verkürzte Verfahren, welche zeitlich nah an der Tat liegen, um die Konsequenzen deutlich aufzuzeigen. Die Höhe des Strafmaßes sollte ein deutliches Zeichen an Täter und Täterinnen senden und auch Dritte darüber informieren, dass diese Handlungen Konsequenzen haben (Sandig 1994, S. 71). Außerdem wurde eine Veränderung der Strafbarkeit vorgenommen: „Im unmittelbaren Zusammenhang der Bekämpfung von Straftaten fremdenfeindlichen Hintergrundes soll eine leichtere Anwendbarkeit der Strafvorschriften über Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß und über die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Symbole wirksam werden. So wird jetzt auch die Verwendung nazi-ähnlicher Symbole unter Strafe gestellt" (Sandig 1994, S. 71). Ein stärkeres Sanktionieren und Verfolgen rechter Symbolik und Gewalt wurde demnach begonnen. In Sachsen wurde außerdem 1991 die Sonderkommission gegen Rechtsextremismus gegründet. Die Sonderkommission verfolgte Delikte wie Volksverhetzung, Propagandadelikte, Sachbeschädigung, sowie Tötungsdelikte und versuchte Tötungsdelikte (Bündnis 90/Die Grünen 2013). Bis zum Jahre 1997 hat die Soko Rex 2362 Tatverdächtige ermittelt und 287 Haftbefehle erwirkt. Sie hatte eine Aufklärungsquote von 85,5% (Lesch 1997).
2. Zivilgesellschaftliches Engagement
In dem bereits erwähnten Bericht des Ausländerbeauftragten postuliert Sandig: „Die Bekämpfung der Kriminalität gegenüber Ausländern kann nicht nur Sache der Justiz oder Polizei sein. Vielmehr sind auch alle gesellschaftlichen Gruppen, Kirchen, Vereine, Medien und Verbände, Familien und Schulen aufgerufen, sich mit den Ursachen der Feindlichkeit und Gewalt gegen Ausländer auseinanderzusetzen und sich an deren Bekämpfung zu beteiligen“ (Sandig 1994, S. 72).
Während die Zivilgesellschaft der rechten Gewalt lange Zeit unbeteiligt und schweigend gegenüberstand, entstand nach und nach eine Öffentlichkeit, die sich zur Wehr setzte. Dies zeigte sich in öffentlichen Demonstrationen wie zum Beispiel in Leipzig-Grünau rund um das Kirschberghaus (Zschocke 2022), in der Gründung von Vereinen und Initiativen, die sich gegen Rechts organisierten (Pross 2015), das Öffentlich machen von den Gewalttaten (Zschocke 2022) und auch migrantische Initiativen, die sich für ihre Rechte einsetzten (Pross 2015).
Die einzelnen Gruppen mussten darum kämpfen, anerkannt zu werden. Mit der Zeit fand eine Vernetzung statt, die einzelnen Akteure haben sich mehr zusammengeschlossen, um die Allianzen zu stärken. Die Antonio Amadeu Stiftung, die sich nach der Ermordung von Antonio Amadeu in Berlin gründete, setze sich zum Ziel, , die einzelnen Gruppen, Menschen und Initiativen zu vernetzen (Pross 2015).
3. Politisches Engagement
Nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch die Politik erkannte einen Handlungsdruck.
So wurden zum Beispiel für ganz Sachsen und auch für die einzelnen Kommunen Ausländerbeauftragte bestimmt, welche sich explizit mit den Themen der migrantischen Gesellschaft beschäftigen, einen Überblick über die Problematiken und Bedürfnisse erstellen und den Regierungen mit Rat zur Seite stehen sollten. Dieses Amt gibt es seit 1992 (Sandig 1994, S. 9). In jährlichen Berichten sprechen sie über die Lage der migrantischen Menschen in Sachsen und den Landkreisen, welche Herausforderungen es gibt und welche Lösungsvorschläge sie haben.
Der erste sächsische Ausländerbeauftragte unterbreitete in seinem zweiten Bericht an den Landtag eine ganze Reihe an Vorschlägen , wie gegen die rechte Gewalt vorgegangen werden könne. Einige dieser Vorschläge beinhalteten die politische Aufklärung an Schulen, Schulungen für Polizistinnen und Polizisten zu kulturellen Unterschieden und der rechten Szene, intensive Öffentlichkeitsarbeit der Ausländerbeauftragten, die Unterbringung von Kindern unterschiedlicher Herkunft in gleichen Kindertageseinrichtungen um Begegnungen von Klein auf zu ermöglichen, die Zivilgesellschaft zu Zivilcourage motivieren, Lichterketten als Solidaritätsbekundungen aufzuhängen, eine ausgewogene Berichterstattung der Medien, ein Ausbau der Sozialarbeit und eine konsequente Verfolgung rechter Gewalttaten (Sandig 1994, S. 71–73).
Die damalige Ausländerbeauftragte von Dresden hat Konzepte und Vorschläge unterbreitet und umgesetzt, welche einen Beitrag zur Befriedung leisten sollten. Nach der Ermordung von Jorge Gomondai in Dresden wurde ein Konzept erarbeitet, welches dem Schutz von Migrantinnen und anderen Randgruppen dienen sollte. Daran arbeiteten alle politischen Fraktionen, sowie die Polizei, die Kirche und auch Betroffene mit. Außerdem wurde das Projekthaus "Friedenshaus" gegründet, wo Begegnungen zwischen Migrantinnen und Deutschen stattfinden sollten. Es wurde an Möglichkeiten zum Dialog gearbeitet und das direkte Gespräch mit Jugendlichen aus der rechten Szene gesucht (Krell 1991).
Im Jahr 2001 implementierte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Bundesprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie- gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus (Bruns 2022, S. 43). Das Ziel des Programms war es, demokratisches Verhalten, ziviles Engagement, Toleranz und Weltoffenheit zu fördern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 4).
Es bestand aus drei Teilprogrammen:
1. ENTIMON- gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus. Es förderte bundesweit Maßnahmen zur Stärkung von Demokratie und Toleranz, und zur Prävention und Verhinderung von Rechtsextremismus und Gewalt. ENTIMON förderte modellhafte Jugendprojekte mit Netzwerkcharakter, die auf partizipative Prozesse setzten. Zentrale Leitziele waren Toleranz, Gewaltprävention, Integration, Verantwortungsübernahme, demokratisches Handeln, Zivilcourage und politisches Grundwissen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 6).
2. CIVITAS – initiativ gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern. CIVITAS unterstützte lokale Projekte gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern. Das Programm zielte darauf ab, einer Ideologie der Ungleichwertigkeit entgegenzuwirken, die sich in Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zeigt. Es förderte Maßnahmen zur Anerkennung und zum Schutz von ethnischen, kulturellen und sozialen Minderheiten. Die Stärkung der demokratischen Kultur erfolgte durch die Professionalisierung von Beratungsstrukturen und die Anerkennung örtlicher zivilgesellschaftlicher Initiativen, insbesondere durch die Förderung von Strukturprojekten wie mobilen Beratungsteams, Opferberatungsstellen und Netzwerkstellen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 7). In diesem Programmteil konnten 1680 Maßnahmen unterstützt werden, davon gingen 20% an Sachsen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 151).
3. XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt. Dieser Projektteil versuchte durch praxisnahe Maßnahmen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung im Schnittfeld von Schule, Beruf und Arbeitswelt bundesweit zu bekämpfen. Dabei wurden arbeitsmarktbezogene Maßnahmen strukturell mit Aktivitäten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verknüpft (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2006, S. 7).
Viele dieser Projekte richteten sich explizit an Kinder und Jugendliche, sodass das Programm des Ministeriums als Abwendung von der „akzeptierenden Jugendarbeit" gesehen werden kann (Bruns 2022, S. 43). Der damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag, Martin Dulig sagte bei einer Tagung 2005: „Auch in Sachsen (...) gibt es Regionen, in denen es eine rechte Hegemonie gibt und eine rechte Alltagskultur dominiert. Aber es gibt auch Veränderungen. Gerade durch die Programme der Bundesregierung ist es gelungen, zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen, die ein klares Gegengewicht bilden" (Friedrich-Ebert-Stiftung 2005, S. 14).
4. Veränderung der rechten Szene
Während sich die Zivilgesellschaft, Politik und Polizei veränderten, veränderte sich auch die rechte Szene. Während erst insbesondere die Straße und öffentliche Räume genutzt wurden, um Präsenz zu zeigen und die Hegemonie zu gewinnen, wurden nun mehr private Räume zum Rückzug und zur Vernetzung genutzt (Hagemann, Anke und Stecker, Heidi 2004, S. 8). Außerdem verlagerte sich der "Kampf um die Straße" auf den "Kampf um die Parlamente". Rechte Parteien wie die NPD und die Republikaner waren gerade in Sachsen aktiv und erfolgreich. Bei den sächsischen Landtagswahlen 2004 trat die NPD selbstbewusst an und erhielt 9,2% der Stimmen. Das war das beste Ergebnis in einem Flächenland seit 1968 (Friedrich-Ebert-Stiftung 2005, S. 15–17).
Eine weitere Veränderung, welche in den frühen 2000ern nicht neu ist, sich jedoch weiter etablierte, ist die sogenannte "neue Rechte". Sie schufen ein intellektuelles Netzwerk, eine eigene Publizistik, eine eigene politische Elite und eine Modernisierung des organisierten Rechtsextremismus (Friedrich-Ebert-Stiftung 2005, S. 29).
Beispielhaft für die Modernisierung des innerparteilichen Rechtsextremismus ist die Identitäre Bewegung. Sie spricht vor allem junge Erwachsene und Jugendliche über Influencer in den Sozialen Medien an. Die Mitglieder gehören mindestens optisch einer intellektuellen, Mittel- oder Oberschicht an (Deutschlandfunk 2020). Die Identitäre Bewegung ist seit 2012 in Sachsen aktiv und wird vom Verfassungsschutz beobachtet (Landesamt für Verfassungsschutz).
Fazit
Es ist hier wichtig zu betonen, dass die rechtsextreme Szene und die Gefahr, die von ihr ausging, nicht verschwunden ist. Die offene Gewalt auf den Straßen konnte in Teilen zurückgedrängt werden. Hierfür waren Aktivitäten der Zivilgesellschaft, der Justiz und Polizei, sowie der Politik nötig. Die Möglichkeiten dieser Akteure sind unterschiedlich und können gemeinsam eine Wirkung entfalten. Gleichzeitig hat sich aber auch die rechte Szene verändert. Sie tritt nicht mehr nur im Gewand von Glatzen und Springerstiefel gewaltvoll in der Öffentlichkeit auf, sondern etabliert eine intellektuelle Szene, welche Einfluss durch soziale Medien und öffentliche Aktionen nimmt. Auch in Parteien sind Rechtsextreme aktiv und nicht zuletzt durch Teile der AFD auch in den Parlamenten vertreten. Neben dem Landesverband in Thüringen und Sachsen-Anhalt ist auch der Landesverband der AFD in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft und wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
Neben dem sichtbaren Rechtsextremismus gilt es ununterbrochen, auf den unsichtbaren, sich in Strukturen manifestierenden Rechtsextremismus zu reagieren und auch durch politische Bildung dazu beizutragen, weiter in einer Demokratie und offenen Gesellschaft leben zu können.
Quellen:
- ARD Tagesschau (2023): AfD in Sachsen "gesichert rechtsextremistisch"
- Bundeszentrale für politische Bildung: APuZ 2022: #baseballschlägerjahre. Ein Hashtag und seine Geschichten
- Bundeszentrale für politische Bildung: APuZ 2022: Jung, männlich, ostdeutsch, gewalttätig? Die Debatte um Jugendarbeit und rechte Gewalt seit den 1990er Jahren.
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): Abschlussbericht zur Umsetzung des Aktionsprogramms „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“
- Deutschlandfunk (2020): „Identitäre Bewegung“ – Nationalisten im Hipster-Gewand
- Kailitz, Steffen (Hg.), (2021), Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Sachsen
- Landesamt für Verfassungsschutz: Identitäre Bewegung Deutschland - Regionalgruppe Sachsen
- WELT, Lesch, Markus (1997): Erfolgreiche Antwort auf Sachsens Rechtsradikale
- Sandig, Heiner (1994): Recht, Humanität und Barmherzigkeit. Zweiter Bericht des Sächsischen Ausländerbauftragten. Drucksache 2/0035. Hg. v. Sächsischer Landtag: 2. Wahlperiode.
- Wolters, Sven; Bangel, Christian; Bracholdt, Claudia (2021): Es konnte überall passieren: DIE ZEIT. Online verfügbar unter , zuletzt geprüft am 12.01.2024.
- Zschocke, Paul (2022): Leipzig-Grünau: Wie die Baseballschlägerjahre zum heutigen Erfolg der AFD beitragen. In: Mullis, Daniel und Miggelprink, Judith (Hg.): Lokal extrem Rechts: Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen. Bielefeld: transcript Verlag, S. 145–164.