Welche Rolle spielte die Landespolizei Sachsens in den Baseballschlägerjahren?

Wie kam es zur fehlenden Präsenz der staatlichen Behörde? Warum wurde der rechten Gewalt so wenig von behördlicher Seite entgegengesetzt? Wie setzte sich die Polizei in Ostdeutschland nach der Auflösung der Volkspolizei der DDR zusammen?

Diese Fragen müssen in einen größeren gesellschaftlichen und historischen Kontext gestellt werden und erfordern vielschichtige Antworten. Im folgenden Text werden einzelne Aspekte der Rolle der Landespolizei im Zusammenhang mit der offenen rechten Gewalt in Sachsen dargelegt. Für ein umfassendes Verständnis der Sachlage lohnt es sich, in den angegebenen Links weiterzulesen, zu schauen und zu hören.

Wer war die Polizei?

Im Zuge der Friedlichen Revolution wurde im April 1990 die Volkspolizei der DDR (Deutsche Volkspolizei) aufgelöst und zur Polizei umstrukturiert. Mit dem 3. Oktober 1990 entstanden die Landespolizeien. Die Bediensteten wurden in Bezug auf ihre DDR-Vergangenheit überprüft. Viele Polizisten verließen aufgrund ihrer politischen und ideologischen Tätigkeiten (Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit) freiwillig den Dienst oder wurden entlassen. Es kam zu einem starken Abbau des Personals. Bis März 1994 wurden 1100 Mitarbeitende wegen ihrer MfS-Vergangenheit als unzumutbar entlassen (Polizei Sachsen 2021a). Richtwerte für die neuen Landespolizeien waren die als angemessen angesehenen Zahlen der Polizeidichte der Bundesrepublik Deutschland (Wagner 2023, Min 16:00-16:10). Während des Überprüfungsprozesses, der teilweise Jahre dauerte, blieben die Polizistinnen und Polizisten Angestellte oder Beamte auf Probe. Bei einer Befragung gaben drei Viertel an, Angst um ihren Arbeitsplatz zu haben. Es herrschte also eine große berufliche Unsicherheit, ob sie in der neuen Landesordnung als Polizist arbeiten würden oder nicht (Wagner 2023, Min 16:24- 16:45). Neben der Arbeit mussten sie Fortbildungen absolvieren, zur Rolle der Polizei in einem demokratischen System, zur aktuellen Gesetzeslage und wie diese angewendet werden. Auch das führte zu einer Verunsicherung, da das Lernen und Ausführen gleichzeitig stattfand (Polizei Sachsen 2021b, Min 3:25-3:43).

Diese personelle Unsicherheit traf auf eine Skepsis in der Bevölkerung. Die Volkspolizei hatte das SED-System gestützt und versucht, die Proteste in den letzten Zügen der DDR gewaltsam zu unterdrücken. (Wagner 2023, Min 19:50-21:28).

Führungskräfte aus Westdeutschland

Die Führungskräfte für den Aufbau der Polizei kamen aus Westdeutschland. Die Bediensteten mussten sich erst einmal aneinander gewöhnen und die neue Arbeitsweise miteinander kennenlernen (Polizei Sachsen 2021b). Die Befehlsstruktur und Taktik wurden den westdeutschen Prinzipien angepasst. Während die Volkspolizei mit starken Hierarchien und klaren Befehlsstrukturen gearbeitet hat, sollten die Polizistinnen und Polizisten jetzt selbst mehr Entscheidungen treffen und Einschätzungen vornehmen. Helmut Spang, der damalige Inspektor der sächsischen Polizei, beobachtete 1994, dass viele Polizistinnen und Polizisten mit den auf mehr Eigenverantwortung setzenden neuen Befehlsstrukturen nicht zurechtkämen. Sie hätten das neue Rechtssystem nicht verinnerlicht und hätten Angst, etwas falsch zu machen (Wagner 2023). Diese Einschätzung teilten gemäß einer Umfrage von 1990 die Bediensteten selbst. Sie empfanden zu 80% ihre Rechtskenntnisse als unzureichend und auch die eigenen polizeilich-taktischen Fähigkeiten wurden von 52% der Befragten als kritisch erachtet (Wagner 2023).

Festzuhalten sind hier die Bereiche, welche mit besonderer Unsicherheit belegt waren: Die eigene Personalie, eine Ablehnung aus der Bevölkerung, ein Unwissen über das neue System und dessen Regelungen, die neue Rolle als Polizistinnen und Polizisten in einem demokratischen System, eine veränderte Befehlsstruktur und Verantwortungsübernahme und westdeutsche Vorgesetzte, welche eine andere Kultur und Geschichte mitbrachten.

In dieser polizeilichen Umbruchphase wurde die Gesellschaft in Sachsen durch eine explodierende rechte Gewalt geprägt. Die technischen Mittel und Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, waren gering (Polizei Sachsen 2021b). Während die rechte Szene auf neuere Technik zugreifen konnte, arbeitete die Polizei teilweise noch mit Schreibmaschinen und Bankräuber wurden mit Trabis verfolgt (Mitteldeutscher Rundfunk 2021).

Ein weiterer wichtiger Aspekt für den Umgang der Polizei mit der rechten Gewalt in Sachsen war die Tatsache, dass die Führungskräfte der Polizei aus Westdeutschland kamen. Sie kamen mit viel Erfahrung im Kampf gegen Linksextremismus, linken Terror und den Umgang mit den Studentenprotesten im Westen. Die linke Szene war ihnen bekannt und sie waren geübt darin, diese Strukturen zu erkennen. Sie bewerteten nun die Strukturen der rechten Szene als klein, nicht vernetzt und unbedeutend, da sie anders aufgestellt waren. Sie verkannten die rechtsextremen Gewalttaten und deren politische Dimension als Übersprunghandlungen von betrunkenen Jugendlichen. Widerspruch zu diesen Einschätzungen wurde oft nicht weiter thematisiert, teilweise wurde es als Übertreibung des "Ostklubs" gewertet (Wagner 2023).

 „Die Folge dieser Fehleinschätzung bestand im polizeilichen Alltag darin, dass, so räumt es dann auch der Leiter des sächsischen Landeskriminalamtes ein, die Polizei in fremdenfeindlicher Gewalt nur nachlässig ermittelte, Beweismittel würden unzureichend gesichert, Zeugen abgewimmelt, Verletzte auf den Privatklageweg verwiesen und die Aussagen Verdächtiger würden Kritiklos hingenommen” (Wagner 2023).

Institutioneller Rassismus als Teil des Problems

Der allgemeine Umgang mit der Gewalt der 90er Jahre, sei es von Teilen der Zivilgesellschaft, der Politik oder der Polizei, kann als institutioneller Rassismus eingeordnet werden.

Die oben geschilderten internen Strukturen führten im polizeilichen Alltags dazu, dass augenscheinlich nicht-deutsche Menschen, insbesondere People of Colour (POC), nicht ausreichend Schutz in Anbetracht der starken rechten Gewalt erhielten. Die rassistischen Strukturen innerhalb der Polizei wurden entweder als solche nicht erkannt oder falls doch, nicht hinterfragt. Das bedeutet nicht, dass jedem Polizisten und jeder Polizistin persönlich rassistisches Denken und Handeln unterstellt wird.

Darüberhinaus muss auch die grundsätzliche Ignoranz gegenüber der rechten Szene und rechtsextremer Gewalt in die Aufarbeitung einbezogen werden.  (Wagner 2023). Die Gewalt der Baseballschlägerjahre richtete sich nicht nur gegen People of Colour, sondern auch gegen alle Menschen, die als nicht-passend deklariert wurden. Das waren auch Linke, Punks, behinderte Menschen oder Obdachlose. Auch viele dieser Menschen erhielten keinen ausreichenden Schutz oder keine ausreichende Unterstützung von der Polizei.

Soko Rex in Sachsen

In Sachsen wurde 1991 die Sonderkommission gegen Rechtsextremismus (Soko Rex) aufgestellt. Sie war die erste ihrer Art in der Bundesrepublik. Sie bestand aus 49 Beamten und einer Beamtin und wurde gemeinhin als erfolgreich beschrieben (Sandig 1994). Sie wurde unmittelbar nach den rechten Übergriffen in Hoyerswerda und der Ermordung von Jorge Gomondai in Dresden ins Leben gerufen (Julke 2012). Initiiert wurde sie vom damaligen Präsidenten des LKA Sachsen, Peter Raisch: „14 Tage vor meinem Kommen wurde Jorge Gomondai aus der Straßenbahn geprügelt, daß er zu Tode kam. Vor mir breitete sich ein rechtsorientiertes Gewaltphänomen aus: Das kann ja wohl nicht sein!, sagte ich mir. Es galt, konsequente Strafverfolgung aufzuziehen, damit die Täter nicht ermuntert wurden. Hier mußten Spezialisten ran, die wußten, wie man mit dieser Klientel umgeht“ (Diederichs 1993).

Bis zum Jahr 1997 hat die Soko Rex 2362 Tatverdächtige ermittelt und 287 Haftbefehle erwirkt. Sie hatte eine Aufklärungsquote von 85,5% (Lesch 1997).  Die Sonderkommission verfolgte Delikte wie Volksverhetzung, Propagandadelikte, Sachbeschädigung, sowie Tötungsdelikte und versuchte Tötungsdelikte (Bündnis 90/Die Grünen 2013).  Obwohl die Erfolgsrate der Sonderkommission so hoch war und die rechten Übergriffe nicht zurückgingen, wurde die Soko Rex 1998 deutlich eingeschrumpft. Nun gab es nur noch 18 Beamtein der Einheit (Julke 2012). Bernd Merbitz, der frühere Leiter der Soko Rex, betonte bei seiner Befragung zum NSU-Untersuchungsausschuss, dass Sachsen sehr viele rechte Straftaten hat und davon ein erschreckend hoher Anteil Gewalttaten sind. Er tat sein Unverständnis über die politische Entscheidung der faktischen Zerschlagung der Soko Rex kund, welches er als erfolgreiches polizeiliches Instrument beschrieb. Einen schlüssigen Grund für eine solche Verkleinerung der Soko konnte er nicht sehen (Julke 2012).


2019 wurde die Soko Rex wiederbelebt. Begründet wurde dies mit folgenden Zahlen:
Die Zahl der rechts motivierten Straftaten pro 100.000 Einwohner lag 2018 im Bundesdurchschnitt bei rund 25, im Freistaat Sachsen bei 56.  In Sachsen ist also immer noch ein deutliches Problem mit rechts motivierten Straftaten vorhanden (Polizei Sachsen 2019).

Quellen: