Die Gesellschaft in Ostdeutschland wird häufig nicht als Migrationsgesellschaft wahrgenommen, also als eine Gesellschaft, in der Migration und die Präsenz von Menschen mit unterschiedlichsten Herkunftsgeschichten normal und gewissermaßen selbstverständlich ist. Weniger Migrantinnen und Migranten, so das verbreitete Bild, führten auch zu weniger Offenheit für Zuwanderung. Gilt das auch für weniger Sichtbarkeit – und weniger Selbstorganisation von Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Migrationsgeschichten und all jenen, die als Migranten wahrgenommen werden, ohne es zu sein?
Das skizzierte Ostdeutschland-Bild hängt auch mit der Vorstellung von der als einem isolierten Staat zusammen, dessen Bevölkerung sehr homogen war. Und bekanntermaßen war die DDR auch in ihrer Abriegelung und Verhinderung von Ausreise und Flucht isoliert und vor allem Auswanderungsland. Doch tausende Menschen kamen zum Arbeiten, Studieren, für eine Schulausbildung oder aus politischen Gründen zumeist aus sogenannten sozialistischen Bruderländern in die DDR. Kurz vor dem Mauerfall lebten ca. 190.000 Menschen ohne Staatsangehörigkeit der DDR im Land.
Im Zuge der deutschen Vereinigung 1990 verloren die meisten Ausländer nicht nur ihre Arbeitsstellen, sondern auch ihre Wohnunterkünfte und ihren Aufenthaltsstatus. Wer bleiben wollte, musste eine Wohnung und Arbeit nachweisen, die den eigenen Unterhalt sichert. Rassistische Pogrome wie in Hoyerswerda oder der Mord an Jorge Gomondai in Dresden schürte weitere Unsicherheit und Ängste. Das ist der Hintergrund, vor dem sich Migrantinnen für ihre Interessen und zu ihrem Schutz (und z.T. gemeinsam mit Deutschen) zu organisieren begannen.
Unterstützt wurden sie dabei vor allem von kirchlichen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Noch im Jahr 1990 gründete sich bspw. mit dem Ausländerrat Dresden e. V. die ersten migrantische. Eine solche Vereinigung hatte es in der DDR nicht geben können, da die Gründung von Vereinen außerhalb der Massenorganisationen nicht vorgesehen – und damit unmöglich war.
Migrantische Organisationen zeichnen sich zumeist dadurch aus, dass die Mehrzahl der dort aktiven Personen eine eigene Migrationsgeschichte haben. In Ostdeutschland finden sich tendenziell häufiger heterogen zusammengesetzte, also nicht nach Herkunftsländern aufgebaute Vereine als in den alten Bundesländern. Ihre Aktivitäten reichen neben der Selbstbehauptung und Selbstverteidigung von Kulturarbeit über das Schaffen von Begegnungsstätten, Migrationsberatung, Kinder- und Jugendarbeit bis hin zur Sozialarbeit. Sie sind zum Teil organisatorisch oder durch Schlüsselfiguren eng verwoben mit Selbstvertretungen und Repräsentationsinstitutionen wie den kommunalen Migrationsbeiräten – unterscheiden sich aber von diesen durch das weitaus größere Handlungsspektrum. Während sie die ersten 20 Jahre nach 1989/90 vor allem ehrenamtlich gearbeitet haben und ggf. durch staatlich geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen unterstützt werden konnten, gibt es seit ca. 2015/2016 staatliche Mittel im relevanten Umfang für die Integrationsarbeit. In der Folge konnten sich einige Vereine in bemerkenswerter Weise professionalisieren.
Laut einer Studie des Sachverständigenrates gibt es 231 migrantische Organisationen in Sachsen und bis zu 800 in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin).
Dachverbände, wie der Dachverband der Sächsischen Migrant:innenorganisationen e. V. (DSM) und der Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland e. V. (DaMOst) sind Indikatoren für die weitere Vernetzung und Professionalisierung sowie den Anspruch, die Belange ihrer Mitglieder auch in die politischen Prozesse einzuspeisen.