Verschwörungstheorien sind unwahr – so die gängige öffentliche Reaktion. Aus Sicht der Verschwörungstheoretiker ist aber natürlich gerade das ein Mechanismus der Unterdrückung der eigentlichen Wahrheit, die den Menschen vorenthalten werden soll. Der tiefere Konflikt dreht sich hier also nicht um die Sache, sondern darum, wer darüber entscheidet, was wahr ist und worin Wahrheit besteht.

Doch wie verhält es sich damit? Ist es nicht auch notwendig, skeptisch zu sein, die Haltung der Mehrheitsgesellschaft zu hinterfragen und vermeintliche Denkverbote aufzubrechen? Die Wahrheit, im doppelten Sinn, liegt auch hier in der Mitte.

Pia Lamberty ist Sozialpsychologin und forscht an der Universität Mainz dazu, ob und inwiefern Verschwörungstheorien zur Radikalisierung von Menschen beitragen. Dazu veröffentlichte sie verschiedene Publikationen.

Elisabeth Fast ist Kulturwissenschaftlerin und beschäftigt sich als Referentin bei der Amadeu Antonio Stiftung vor allem mit politischem Extremismus und politischer Bildung.

Dogma und Skeptizismus: Vom Glauben und vom Zweifeln

Seit Anbeginn der Geschichte ringen Menschen darum, was Wahrheit ist, ob es sie überhaupt geben kann und worin sie besteht. Eine erste Antwort darauf gab – und gibt bis heute – die Religion. Vor allem in den monotheistischen Religionen des abendländischen Kulturraums leitete sich die Wahrheit von Gott ab – wahr ist, was Gott in seinem Schaffen bestätigt. Interpretiert und verkündet wurde sie von den Repräsentanten Gottes, also vom Priesterstand. Diese Form der Wahrheit wird auch als Dogma („Lehrmeinung“) bezeichnet. Das Anfechten einer solchen Lehrmeinung ist mit der Mitgliedschaft in der entsprechenden Gemeinschaft nicht vereinbar. Letztlich waren es also religiöse Würdenträger, die darüber entschieden, was wahr ist und wie jene bestraft werden, die diese Wahrheit nicht anerkennen.

Da dieses Wahrheitsmodell aber viele Probleme aufweist, entwickelte sich bereits in der europäischen Antike eine systematische Kritik dagegen. In der philosophischen Disziplin der Erkenntnistheorie, die die Frage danach stellt, was und wie wir als Menschen wissen können, bildeten sich stattdessen verschiedene Schulen zu dieser Frage. Während einige der Meinung waren, dass wahr ist, was durch Menschen beobachtet werden kann („Empirismus“), waren andere der Überzeugung, dass wir als Menschen letztlich nichts wissen können, da nie alle Zweifel zu einem Sachverhalt ausgeräumt werden können („Skeptizismus“). Der Skeptizismus erhebt den Zweifel also zur Methode, im Extremfall auch an der gesamten Realität. Dass nichts real sein könnte, ist ein Motiv, welches Menschen immer wieder beschäftigte, Filme wie „Matrix“ oder „Inception“ trugen diese Form des Denkens in die Popkultur.

Vom kritischen Geist zum Dogmatismus - die Tragik der Verschwörungstheorien

Der Skeptizismus steht bei aller Erhabenheit des selbstständigen Denkens allerdings vor einem hausgemachten Problem: Wenn nichts wahr sein könnte, worauf kann ich mich dann verlassen? Dann könnte mein Hungergefühl eine Täuschung sein, oder überhaupt die Tatsache, dass ich lebendig bin. Dann würde es am Ende eigentlich keinen Unterschied machen, wie ich als Mensch überhaupt handele. Aber auch diese Haltung erscheint nicht besonders lebenstauglich, so wichtig der Zweifel in der Wahrheitsfindung ist. Der Skeptizismus erschafft keine Erkenntnisse – er kann sie nur angreifen.

Genau hierin liegt die Tragik der Verschwörungstheorien. Der skeptische Geist, der die Menschen auffordert, selbstständig und kritisch alles zu hinterfragen, ist in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar. Er hat durch die Aufklärung die feudale Untertanenherrschaft gestürzt und uns allen viele Freiheiten gebracht. Er darf aber nicht im Angriff auf die Mehrheitsmeinung verharren. Menschen mit Verschwörungsmentalität haben zwar den Mut, den ersten Schritt zu gehen und sich gegen die Mehrheitsmeinung zu stellen, schließen sich aber im zweiten Schritt paradoxerweise selbst dogmatischen und kruden Theorien an. Verschwörungstheoretikerinnen und Verschwörungstheoretiker gefallen sich in der Rolle des kritischen Geistes, legen diese jedoch ab, sobald es darum geht, eigene Erkenntnisse logisch aufzubauen. Die Verschwörungstheorie ist also – philosophisch gesprochen – die Kindheitsphase des Skeptizismus, die sich im Zerstören von Mehrheitsmeinungen verbraucht und darüber hinaus kein Konzept hat.

Mit den richtigen Instrumenten auf der Suche nach der Wahrheit

Aber wie könnte ein solches Konzept aussehen? Die Wissenschaften bauen auf dem Skeptizismus auf, haben ihn aber eben auch weiterentwickelt damit er auch hilft, Wissen hervorzubringen. Dabei haben sich vor allem vier Prinzipien durchgesetzt: Das der Intersubjektivität, das der Widerlegbarkeit, der Plausibilität und der Pluralität.

Wenn wir als Menschen davon ausgehen müssen, dass es eine objektive, über alle Menschen hinweg existierende Wahrheit nicht gibt, dann müssen wir uns eingestehen, dass Wahrheit nur subjektiv, also aus einer Einzelperspektive hergestellt werden kann. Wenn zwischen den Einzelnen („inter-subjektiv“) zu einer Sachfrage Einhelligkeit herrscht, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass die richtige Antwort vorliegt. Aber wie am Dogmatismus gesehen, kann dies auch der Fall sein, wenn eine große Menge von Menschen zu unkritisch eine Meinung übernehmen.

Dagegen helfen Widerlegbarkeit und Plausibilität. Plausibel ist eine Behauptung, wenn sie auf Basis verschiedener Annahmen getroffen wird, die selbst auch nachvollziehbar sind. Wenn also Beispielsweise eine Behauptung darin besteht, die Welt würde von Echsenmenschen regiert, dann ist dies vor allem deswegen nicht plausibel, weil es keine bekannten Echsen gibt, die in der Lage wären, einen Menschen zu imitieren. Möglich wäre, dass eine solche Spezies seit Jahrtausenden durch eine Gruppe von Verschwörerinnen und Verschwörern vor den Menschen versteckt wurde. Überprüft man aber wiederum diese Vorstellung, so bedürfte es weiterer Bedingungen, die sehr unwahrscheinlich erscheinen, die so am Ende den Schluss nahelegen, dass eine Regierung von Echsenmenschen nicht plausibel ist.

Damit verknüpft ist die Widerlegbarkeit: Wenn eine Aussage die Möglichkeit von Vornherein abstreitet, dass sie falsch sein könnte, dann kann sie nicht wahr sein. Diese Anforderung beinhaltet auch, dass Aussagen überhaupt überprüfbar sein müssen. Jede Theorie, die Passagen enthält, die „man einfach glauben muss“, entlarvt sich damit selbst als Dogmatismus. Wenn nicht für jede Behauptung eine entsprechende Grundlage vorgezeigt werden kann, dann kann die Theorie keinen Wahrheitsstatus beanspruchen.

Schließlich funktionieren auch Wissenschaften, trotz aller gemeinsamer Bestätigung von Erkenntnissen, ebenso wie das politische System nach dem Prinzip der Pluralität. Das bedeutet, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler streiten, welcher Ansatz gewählt werden oder wie Ergebnisse interpretiert werden sollten. Wissenschaft produziert also nie Wahrheit, stattdessen bringt sie auf der Suche nach Wahrheit Erkenntnisse hervor, die gut abgesichert sind. Darin liegt auch ein gängiges Missverständnis zwischen Gesellschaft und akademischer Welt: Es ist kein Beleg für die Unfähigkeit von Wissenschaften, wenn sie ihre Erkenntnisse korrigieren oder anpassen muss, es ist vielmehr ein Beweis für das Funktionieren der wissenschaftlichen Vorgehensweise.

All diese Methoden bringen uns nicht die Wahrheit. Eine eindeutige Wahrheit wird – vermutlich – nie auffindbar sein. Trotzdem ist es notwendig, sich auf die Suche nach ihr zu machen. Entscheidend dabei ist, dass wir sinnvolle Werkzeuge benutzen und bei allem Fortschritt selbstkritisch bleiben.

  • Butter, Michael: Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien. Berlin, 2018.
  • Comparative Analysis of Conspiracy Theories: Leitfaden Verschwörungstheorien. European Cooperation in Science and Technology, 2020. Online verfügbar als PDF.
  • Dietrich, Kirsten: Sinnsuche zwischen Gut und Böse. Dradio Kultur, 2020. Online verfügbar bei Dradio.
  • Hepfer, Karl: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Bielefeld, 2015.
  • Peitz, Dirk: "Alles ist so, wie Du denkst". Interview mit Michael Butter zu Verschwörungstheorien und dem Attentat in Hanau. Hamburg, 2020. Online verfügbar bei der ZEIT.