Auf den ersten Blick scheint es paradox, dass sich der stark nationalistisch geprägte Rechtsextremismus um Kooperationspartnerschaften über die eigenen Ländergrenzen hinweg bemüht. So war der Rechtsextremismus des 20. Jahrhunderts vor allem durch Überhöhung der eigenen Nation über benachbarte Staaten geprägt, das aggressive Potenzial entlud sich schließlich im Angriffskrieg. Doch dieser Eindruck täuscht, da es für heutige Rechtsextreme gute Gründe für internationale Netzwerkbildung gibt. Ob in der „klassischen“ Neonazi-Szene, auf Ebene der Bewegungen wie Pegida oder als parlamentarische Kooperation von rechten Parteien auf europäischer Ebene: Alle verbindet die gemeinsame Erzählung des „von außen bedrohten Abendlandes“, welches verteidigt werden müsse.

Beim „Großen Austausch“ (auch „Bevölkerungsaustausch“ oder „Umvolkung“) handelt es sich um eine Verschwörungserzählung, nach der böswillige Eliten (oft antisemitisch konnotiert oder klar benannt) durch gezielte Migrationspolitik den Anteil der „Einheimischen“ senken und jenen der „Kulturfremden“ erhöhen wöllten, bis zu dem Punkt, an dem die Bevölkerung vollständig „ausgetauscht“ sei. Da sich die Frage der Grenze zwischen „Einheimischen“ und „Fremden“ hier anhand der Hautfarbe und der Religionszugehörigkeit bestimmt (vor allem in aggressiver Abgrenzung zu Musliminnen und Muslimen), handelt es sich also klar um ein rassistisch motivierte Erzählung über die „Bedrohung“ der eigenen Bevölkerung, welche nur mit „Widerstand“ beantwortet werden könne.

Dieser „Widerstand“ wird häufig mit dem Begriff „Reconquista Europa“ codiert. Hier wird Bezug zu den Eroberungen der christlichen Herrscher im Mittelalter genommen, welche auf der iberischen Halbinsel im Verlauf mehrerer Jahrhunderte den Einfluss arabischer Dynastien zurückdrängten und so schließlich das komplette Territorium unter christliche Herrschaft brachten.

Dieses Motiv wird vor allem in der „klassischen“ Neonazi-Szene offen kommuniziert, vor allem bei europaweiten Szene-Treffen wie beispielsweise dem „Schild & Schwert“-Festival im sächsischen Ostritz, aber auch bei den europäischen „Summer Camps“ der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeschätzten „Identitären Bewegung“. Diese distanziert sich zwar offiziell von Akteurinnen und Akteuren der neonazistischen Kameradschaftsszene und legt insgesamt auf ein bürgerliches und intellektuelles Auftreten Wert, nimmt jedoch ebenso auf die beschriebenen Verschwörungserzählungen Bezug, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren.

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Doch auch auf offener Bühne lässt sich beobachten, wie einflussreiche rechte Akteurinnen und Akteure den Schulterschluss suchen, um gemeinsamen „Widerstand“ zu organisieren. So gründete sich die in Dresden ansässige PEGIDA-Bewegung auf Basis desselben Motivs, was sich auch an der Namensgebung selbst ablesen lässt („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“). Die Bewegung scheiterte jedoch daran, langfristig Einfluss über die deutsche Landesgrenze hinaus aufzubauen. Zwar konnte sie neben dem europaweit bekannten Parteivorsitzenden der niederländischen „Partij voor de Vrijheid“, Geert Wilders, auch andere Politikerinnen und Politiker aus Tschechien, Italien und Großbritannien als Rednerinnen und Redner gewinnen, fand ihren internationalen Höhepunkt aber einmalig in der sogenannten „Prager Erklärung“. Hier unterzeichneten PEGIDA-Repräsentanten neben rechten Akteuren aus acht europäischen Ländern ein gemeinsames Dokument, welches die Bereitschaft erklärt, „vielleicht auch unser Leben“ zu riskieren und „uns gegen den politischen Islam, gegen extreme, islamische Regime und ihre europäischen Helfer zu stellen.“ Die aus der Erklärung resultierende gemeinsame Demonstrationsveranstaltung, der „Fortress Europe“-Tag am 06. Februar 2016, verzeichnete international weniger als 20.000 Teilnehmende, davon mehr als die Hälfte in Dresden, ein Ergebnis, welches sogar hinter der regionalen Mobilisierungskraft PEGIDAS zu deren Höchstzeiten zurücklag.

Weitaus erfolgreicher waren rechte Kooperationsbemühungen auf parlamentarischer und Parteienebene. So schlossen sich europäische Parteien im rechtsradikalen und rechtsextremen Spektrum nach der Europawahl 2019 erneut zu einer gemeinsamen Fraktion im europäischen Parlament mit dem Namen „Identität und Demokratie“ zusammen. Neben der deutschen AfD, vertreten unter anderem durch den Europaabgeordneten und Co-Parteivorsitzenden Jörg Meuthen, gehört dazu die italienische „Lega Nord“ unter der Leitung von Matteo Salvini, der französische „Rassemblement National“ unter der Leitung von Marine Le Pen, der österreichischen FPÖ sowie den rechtspopulistischen bis rechtsextrem Parteien aus den Niederlanden (Partij voor de Vrijheid), Tschechien („Svoboda a přímá demokracie“), Belgien („Vlaams Belang“), Finnland („Perussuomalaiset“), Dänemark („Dansk Folkeparti“) und Estland („Eesti Konservatiivne Rahvaerakond“). Darüber hinaus beraten sich rechte Parteien europaweit strategisch, verabschieden gemeinsame Aufrufe und laden zu Kongressen, um eigene Positionen zu entwickeln und nach außen zu kommunizieren.

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