Tom war beim Formel1-Rennen in Silverstone. Dort hat er sich mit britischen Formel1-Fans über den Brexit unterhalten. Wieder Zuhause macht Tom sich nun Gedanken darüber, ob Deutschland ohne die EU vielleicht besser dran wäre. Die große Frage: Was hat Europa schon für Deutschland getan?

So sieht die Welt Europa

Krisenherde, Terrorismus, Wirtschaftsskandale, Klimawandel – viele große politischen Themen betreffen heute nicht nur ein einzelnes Land, sondern oft die ganze Welt. Lösungen auf globaler Ebene sind meist nur international durchsetzbar. Das heißt auch: Man braucht gemeinsame Verbündete, um eine Entscheidung zu treffen, die dann von allen getragen und umgesetzt wird. Die EU ist deshalb ein wichtiger Partner für eine einigermaßen gerechte Weltordnung. Und sie ist damit quasi eine Weltmacht – vor allem im wirtschaftlichen Sinne. So sieht das Verhältnis der EU zu anderen Weltmächten aus:

1. USA

Die USA ist nach wie vor der wichtigste und größte Handels- und Kooperationspartner der EU. Die EU und die USA sind die größten Volkswirtschaften der Welt und gestalten 50 Prozent der Weltwirtschaft. Deswegen bemüht sich die EU schon seit Jahren um ein gemeinsames transatlan­tisches Freihandels­ und Investitionsab­kommen (TTIP). Allerdings bisher ohne Erfolg, weil an zu vielen Punkten darüber auf beiden Seiten gestritten wird. Auch der NSA-Skandal hat das Verhältnis zwischen den USA und der EU beschädigt. Der Vorwurf: Partner spioniert man nicht aus.

Die Präsidenten-Wahl von Donald Trump dürfte das momentane Verhältnis wahrscheinlich auch nicht verbessern. Amerika zuerst, ist die Devise des neuen US-Präsidenten. Trump will laut seiner Wahlversprechen beispielsweise das geplante Freihandelsabkommen TTIP ganz begraben – all das wäre eine Zäsur der US-amerikanischen Außenpolitik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die transatlantischen Beziehungen fördert. Ob er Recht behält, wird sich zeigen.

2. Russland

Russland ist der wichtigste Energielieferant der EU. Über ein Viertel des Öls und des Gases, die in der EU ver­braucht werden, stammt aus Russland. Die EU ist mit Russland seit vielen Jahren auf verschiedenen Ebenen in Verhandlungen – auch weil sich die EU damit erhofft, dass sich die russische Gesellschaft modernisiert und so demokratischer wird. Doch seit der russischen Besetzung von Teilen der Ukraine und der Halbinsel Krim herrscht zwischen den Partnern Eiszeit. Die EU hat deswegen sogenannte Wirtschaftssanktionen verhängt, die Russland dazu bringen sollen, dass es seine Verpflichtungen gegenüber der EU einhält. Russland reagierte darauf mit Importbeschränkungen von europäischen Produkten. Allerdings: Auf beiden Seiten sind diese Sanktionen bisher nicht von Erfolg gekrönt. Russlands Präsident Wladimir Putin fährt weiter seinen eigenen politischen Kurs.

3. China

China ist ein wichtiger Handelspartner der EU – aus keinem anderen Land importiert die EU so viele Produkte wie aus China. Trotzdem ist das Verhältnis zwischen China und der EU angespannt.

Während die EU von einer zur nächsten Krise taumelt, wird in China jeder Schritt des wichtigsten Handelspartners genau beobachtet. Für die kommunistischen Parteimedien sind diese Probleme wie die Flüchtlingskrise ein Beleg die eigene Überlegenheit. Die westliche Demokratie hätte zu wenig Durchsetzungskraft, um solche Herausforderungen zu meistern, heißt es. Die Führung in Peking nutzt diese Turbulenzen in Europa zudem, um Kritik am eigenen politischen System zurückzuweisen. Europa solle sich lieber um die eigenen Defizite kümmern, argumentiert sie. Seit Jahren reagiert China nahezu allergisch, wenn sich andere Staaten in innere Angelegenheiten einmischen und zum Beispiel Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte bemängeln. Dabei tritt die Volksrepublik zunehmend selbstbewusster auf.

Vehement fordert China derzeit zum Beispiel die Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus ein, wie es vor 15 Jahren beim eigenen Beitritt zur Welthandelsorganisation für 2016 versprochen wurde. Die Europäer haben damit aber ein Problem. Sie könnten dann unfaire Handelstricks wie unter Wert verkaufte Solarpanels nicht mehr mit Strafzöllen belegen.

Erfolge und Probleme der EU

Das hat es uns gebracht

28 Staaten dürfen mitbestimmen: Da ist es gar nicht so einfach, Entscheidungen zu treffen. #wtf?! hat fünf Erfolge und Probleme der EU aufgelistet.

Fünf Erfolge

Mehr Mitsprache.

Bei heute 28 Mitgliedsstaaten ist es oft schwer, eine Entscheidung zu fällen. Die Staats- und Regierungschefs wollten jedoch, dass die EU demokratischer, effizienter, transparenter wird. Dafür sorgt der Vertrag von Lissabon, der 2009 nach langen Verhandlungen und Volksabstimmungen in Kraft trat.

Billiger telefonieren und surfen.

Wer im Urlaub zu Hause anruft oder das Internet nutzt, zahlt teils hohe Zusatzkosten: die sogenannten Roaming-Gebühren. Aber die EU hat für ihre Länder die Kosten in den letzten Jahren stetig gesenkt. Im Juni 2017 sollen sie sogar ganz wegfallen.

Hilfe bei Geldnot.

Würde ein EU-Staat pleitegehen, brächte das auch die anderen Länder in Gefahr. Infolge der Finanzkrise wurde deshalb ein sogenannter Rettungsschirm beschlossen: Durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bekommt ein Staat im Notfall Geld. Er verpflichtet sich damit aber auch, künftig besser vorzusorgen und seine Schulden abzubauen.

Sicher einkaufen.

Woher wir wissen, ob Kühlschrank oder Drucker sicher funktionieren? Mit dem sogenannten Kennzeichen CE dokumentiert der Hersteller, dass ein Gerät gesetzlichen Anforderungen entspricht. Egal, ob es in Deutschland, Portugal oder der Slowakei hergestellt wurde. Häufig bestätigt außerdem eine Prüfstelle, dass mit dem Gerät alles okay ist.

Freie Fahrt für alle.

Wer nach Frankreich, Österreich oder Polen reist, tut dies schnell und einfach ohne Grenzkontrolle. Die Freizügigkeit innerhalb der EU gilt seit 1995, als das sogenannte Schengener Abkommen in Kraft trat. Zur Sicherheit werden internationale Flughäfen weiterhin kontrolliert, ebenso die EU-Außengrenze, also zum Beispiel zwischen Polen und der Ukraine.

Fünf Probleme

Schwierige Verhandlung.

Das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada wäre beinahe gescheitert – am Widerstand der kleinen belgischen Region Wallonien. In letzter Minute wurde der Vertrag noch gerettet. Ceta tritt vorläufig in Kraft, wenn das Europaparlament zustimmt. Danach braucht der Vertrag das Ja aller 28 Mitgliedsstaaten. Der Prozess könnte daher noch Jahre dauern.

Raus aus Europa.

Bei der Volksabstimmung im Juni 2016 entschied eine knappe Mehrheit der Briten, dass ihr Land aus der Euro- päischen Union austreten soll. Durch den Brexit verliert die EU ihre zweitstärkste Wirtschaftsmacht und das Land mit der drittgrößten Bevölkerung. Die Folgen sind noch unklar.

Hilfe verweigert.

2015 wollten viele Flüchtlinge in der EU Schutz suchen. Länder wie Griechenland waren damit zunehmend überfordert. Aber einige andere Staaten lehnten es ab, Menschen in Not aufzunehmen oder nahmen nur sehr wenige auf. Bislang gibt es in der EU keine Einigung darüber, wie Flüchtlinge auf die Länder verteilt werden sollen.

Angespanntes Klima.

Die EU unternimmt einiges, um den Klimawandel zu begrenzen. Jedoch sind dabei vor allem die Mitglieds- staaten gefragt. Weil jedes Land die eigene Wirtschaft schützen will, geht es oft langsam voran. Polen heizt mit Kohle, Deutschland stellt viele Autos her, die immer noch Benzin als Kraftstoff brauchen – beides schadet dem Klima.

Kompass fehlt.

Soll Europa größer oder kleiner werden? Soll die EU schneller entscheiden oder mit mehr Bürgerbeteiligung, also langsamer? Offensichtlich haben davon die 28 Staaten unterschiedliche Vorstellungen. Ein gemeinsames Ziel fehlt. Für dieses Grundproblem muss die EU bald eine Lösung finden.

Brauchen wir mehr oder weniger Europa?

Die Europäische Union ist im Krisen-Modus. 2017 könnte sich die Situation verschärfen, wenn in vielen Ländern gewählt wird. Denn es gibt Parteien, die die EU kritisch sehen. Im #wtf?! Interview spricht Marcel Thum, Wirtschaftsprofessor an der TU Dresden und Direktor des Ifo-Instituts in Dresden über die Ursachen der Probleme und mögliche Lösungsansätze.

Großbritannien hat für den Brexit, also den Austritt aus der EU gestimmt. In anderen Ländern gewinnen europakritische Parteien an Zustimmung. Erleben wir den Anfang vom Ende der EU?

Marcel Thum: Ich kann nicht in die Zukunft schauen. Fakt ist, dass die Skepsis gegenüber der EU in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat

Woran liegt das?

Erstens haben die Mitgliedsstaaten eine „Juste retour“-Politik verfolgt. Das heißt jedes Land wollte mindestens so viel Geld aus Brüssel zurückbekommen, wie es eingezahlt hat. Dadurch sind die wirklichen europaweiten Projekte wie eine gemeinsame Zuwanderungspolitik vernachlässigt worden. Zweitens hat die EU den Eindruck erweckt, dass sie sich in das Alltagsleben der Menschen unnötig einmischt. Auch Bürger, die den europäischen Gedanken unterstützen, lehnen es ab, dass eine zentrale Stelle, die für sie weit weg ist, alles reguliert – zum Beispiel, wie viel Watt ein Staubsauger haben darf. Diese Vorschriften sollten die einzelnen Länder treffen. Sie können selbst Maßnahmen ergreifen, um den Stromverbrauch zu senken und damit die Klimaziele zu erfüllen.

Das heißt, die EU braucht eigentlich niemand?

Nein. Die EU hat viele Vorteile. Durch das Schengen-Abkommen fallen an vielen Grenzen die Kontrollen weg, das steigert die Mobilität. EU-Bürger können zudem in jedem Land der Gemeinschaft arbeiten. Menschen aus Regionen, in denen die Wirtschaft kriselt, können relativ problemlos in florierende Gegenden ihr Glück suchen. Der Großteil der Zuwanderung in Deutschland kommt zum Beispiel aus den anderen EU-Staaten.

Dennoch herrscht eine EU-Verdrossenheit. 

Diese EU-Verdrossenheit haben die Mitgliedstaaten mit zu verantworten. Sie haben einerseits mit ihrer „Juste retour“-Politik das Hineinregieren der EU in nationale Politiken befeuert. Anderseits wollten die Mitgliedstaaten wichtige Kompetenzen nie abgeben, so dass die echten europäischen Themen wie eine gemeinsame Zuwanderungspolitik, bei denen die EU echte Vorteile für die Bürger schaffen kann, vernachlässigt wurden.

Welche gemeinsamen Themen wären noch wichtig?

Zum Beispiel der Ausbau einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Die einzelnen Mitglieder können die globalen Herausforderungen weniger gut stemmen als die Europäische Union als ein internationaler Akteur.

Könnte man also das Amt des deutschen Außenministers abschaffen?

Davon sind wir weit entfernt. Die einzelnen Länder sind derzeit wenig bereit, zusätzliche Kompetenzen an Brüssel abzugeben – obwohl das in bestimmten Bereichen gut wäre.