Ähnlich wie zu Beginn des Jahres 2024, als Hunderttausende gegen Rechtsextremismus und die AfD auf die Straße gingen, gab es bereits Anfang der 1990er Jahre eine Protestwelle von Anti-Rechts-Demonstrationen, die sogenannten Lichterketten. Der Auslöser damals waren die Brandanschläge und die anhaltende rechte Gewalt

„Bis heute bildet der 3. Oktober 1991 den Tag mit den meisten rechten Gewalttaten der Geschichte.“, erklärt der Historiker Janosh Stiober.  Die Gewalt prägte die frisch wiedervereinigte Bundesrepublik, sie war eng mit dem Selbstverständnis und den offenen Fragen zur Zukunft des nun vereinten Landes verbunden. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizäcker mahnte in seinem Beitrag zum 3. Oktober: „Unser Vereinigungsprozess werde sich letzten Endes in unserer Fähigkeit zur Mitmenschlichkeit beweisen, die sich vor allem am Verhältnis zu Ausländern zeige. Wenn wir im Verhältnis zu den Ausländern versagen, dann würden wir auch im Verhältnis unter uns Deutschen nicht Bestand haben.“

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Anfang November 1991 lud der Bundespräsident zu einer Demonstration in Berlin ein, die unter dem Motto des ersten Artikels des Grundgesetzes stand: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die Veranstaltung hatte zum Ziel, Menschen zusammenzubringen und sie auf das Gemeinsame zu besinnen. Etwa 300.000 Menschen nahmen daran teil. Einige linke Aktivistinnen und Aktivisten waren jedoch verärgert darüber, dass bei der Demonstration viele Politiker und Politikerinnen auftraten, die eine Verschärfung des Asylrechts befürworteten . Sie riefen „Heuchler, Heuchler“ und warfen Eier und Farbbeutel auf die Bühne. Von Weizsäcker musste seine Rede unter dem Schutz von Plastikschildern und Regenschirmen halten. Trotz dieser Zwischenfälle blieb der Gesamteindruck von der Demonstration überwiegend friedlich. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Bundespräsident zu einer überparteilichen Demonstration einlud.

Da die Zahlen rassistischer Ausschreitungen und Brandanschläge nicht sanken, begannen sich neue Formen des zivilgesellschaftlichen Protestes zu entwickeln. „Wir waren als Freunde immer verzweifelter, wir wollten nicht in einem Land leben, in dem es permanente Angriffe auf Ausländer gibt.“, erklärt ein Mitorganisator der Lichterkette e.V.. Die großen Massendemonstrationen begannen am 06.02.1992 in München und zeigten eine enorme Mobilisierungskraft. Auf diese Weise solle zum Ausdruck kommen, dass die schweigende Mehrheit nicht rechts stehe. Unter dem Titel „Lichterketten auch in Ostdeutschland – Sachsen demonstrieren gegen Fremdenhass“ berichtete die Taz am 02.01.1993: „In den letzten Tagen hatten sich in weiteren sächsischen Städten, unter anderem in Leipzig und am Montag in Dresden, jeweils mehrere zehntausend Menschen an Lichterketten gegen Fremdenhass beteiligt.“ „Etwa 3.000 Menschen haben am Mittwochabend in der sächsischen Stadt Freiberg mit einer Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit und Gewalt demonstriert. Mit Kerzen, Lampions und Fackeln zogen sie entlang der historischen Stadtmauer durch die Innenstadt von Freiberg.“ Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth lobte die Demonstrierenden für ihren Einsatz und betonte die Wichtigkeit der Gewaltfreiheit, der Toleranz und Vernunft. Die Kirchen riefen zur Solidarität mit ausländischen Mitbürgern auf und würdigten die Lichterketten-Proteste als sichtbares Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland.