Im Jahr 2023 leben in der EU rund 450 Millionen Menschen in 27 Mitgliedsstaaten im größten Wirtschaftsraum der Welt in Frieden und Wohlstand zusammen. Es ist erst 80 Jahre her, da führten zahlreiche dieser Staaten einen unerbittlichen Krieg gegeneinander, der Millionen von Menschen das Leben kostete. Die Zeit danach war geprägt vom so genannten Kalten Krieg, dessen "eiserner Vorhang" ideologischer Gegensätze sich quer durch die heutigen Staaten der EU gezogen hatte.

Wie konnte es vor den Hintergrund dieser Ausgangslage zur europäischen Einigung und damit zur EU kommen? Was hat die Staaten, die vormals durch "heiße" und "kalte" Kriege voneinander getrennt waren, dazu bewogen, sich zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen?

Zunächst gilt es festzuhalten, dass die europäische Einigung weder in der Vergangenheit noch heute aus uneigennützigen Motiven betrieben wird, sondern stets Ausdruck einer interessengeleiteten Politik der beteiligten Staaten ist. Dies bedeutet, dass die Integration stets nur in dem Maße vorangeschritten ist, in dem sich die beteiligten Staaten daraus einen Nutzen für ihre eigene Politik versprochen haben.

Eine der grundlegenden Erkenntnisse, die in den meisten Staaten aus den Zerstörungen und dem unermesslichen menschlichen Leid des Zweiten Weltkrieges gezogen wurde, war, dass sich die Bedürfnisse der Menschen nach Frieden und Sicherheit nicht im Alleingang einzelner Staaten sondern nur in einer Gemeinschaft realisieren lassen würden. Die EU sollte eine Friedensgemeinschaft sein, die sich auf gemeinsame Werte stützen kann. Die Idee war, eine engere wirtschaftliche und politische Integration zu fördern, um künftige Konflikte zwischen den Mitgliedsstaaten zu verhindern und langfristigen Frieden zu gewährleisten.

Demokratie ist ein weiterer grundlegender Wert, auf dem die EU aufbaut. Die EU-Institutionen und politischen Entscheidungsträger sind demokratisch gewählt oder von den demokratisch gewählten Vertretern ernannt, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu repräsentieren. Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozess und die Förderung von Bürgerrechten sind zentrale Merkmale der europäischen Demokratie.

Die EU verpflichtet sich auch zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Dies bedeutet, dass sowohl die EU selbst als auch ihre Mitgliedsstaaten sich an geltendes Recht und rechtsstaatliche Prinzipien halten müssen. Rechtsstaatlichkeit gewährleistet die Unabhängigkeit der Justiz, den Schutz der Menschenrechte und die Garantie fairer Verfahren.

Auch die Menschenrechte sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Identität der Europäischen Union. Die EU setzt sich für die Achtung und den Schutz der Menschenrechte ein, einschließlich der Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und Würde jedes Einzelnen. Sie verfolgt das Ziel, Diskriminierung und Unterdrückung zu bekämpfen und die Menschenwürde in Europa zu wahren. Die Union erkennt und respektiert die kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt in Europa und setzt sich für die Wahrung der Minderheitenrechte ein. Toleranz ist ein Schlüsselaspekt für das friedliche Zusammenleben und die Zusammenarbeit in einer vielfältigen Gesellschaft.

Die Mitgliedsstaaten arbeiten darüber hinaus zusammen und unterstützen sich gegenseitig in Zeiten der Not und Krisen. Solidarität zeigt sich nicht nur in finanzieller Hilfe, sondern auch in der Bereitschaft, gemeinsam Herausforderungen anzugehen und Lösungen zu finden.

Von zentraler Bedeutung für die Mitgliedsstaaten sind aber auch Wohlstand und wirtschaftliche Vorteile, die sie aus der Mitgliedschaft im größten Binnenmarkt weltweit und der gemeinsamen Währung ziehen können. Die Förderung wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Integration ist ein wesentlicher Aspekt, um das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und die Lebensbedingungen in der gesamten Union zu stärken.

Zunehmend wächst bei den Nationalstaaten auch die Erkenntnis, dass sich das Phänomen der Globalisierung nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch auf politische Phänomene bezieht. Längst gibt es viele Probleme wie zum Beispiel den Klimawandel oder auch den internationalen Terrorismus, die sich nicht im nationalen Alleingang lösen lassen. Hier besitzt die EU als kollektiver Akteur weit größere außenpolitische Einflussmöglichkeiten als ein Einzelstaat.

Insgesamt zeigt sich, dass viele der Motive, die nach dem zweiten Weltkrieg zu den ersten Schritten der europäischen Einigung geführt haben, auch heute noch – wenn auch teilweise unter veränderten Vorzeichen – den Integrationsprozess vorantreiben.