„Wir haben viel zu wenig Reflexionsräume.“ Warum politische Bildung für die Polizei wichtig ist
Beginnen wir mit dem Titel “DU, Demokratie und Uniform”. Warum dieser Projekttitel?
Holger Löwe: Die Idee kam im Rahmen einer Veranstaltung zur politischen Bildung. Wir stehen mit unserer Uniform für diese Demokratie, wir repräsentieren den Staat. Daher ist es wichtig, dass sich Uniformierte auch in ihrer Aus- und Fortbildung mit politischen Themen beschäftigen. Aber besonders gefällt mir das „DU“. Gerade das „DU“ ist bei Uniformierten, egal ob Polizei, Feuerwehr oder THW geläufig, man duzt sich, versteht sich als Familie und man steht füreinander ein. Den Aspekt falsch verstandenen Korpsgeistes will ich nicht verschweigen. Auch diesen Zwiespalt zu thematisieren, sollte ein Teil des Projekts sein.
Alexander Fehre: Für mich ist die Reflexion von Demokratie und die Rolle der Polizei als Hoheitsträger dabei der entscheidende Punkt. Und tatsächlich die gesamte Bandbreite von der Polizei über Zoll, Feuerwehr und THW – die gesamte Blaulichtfamilie. „Demokratie und Uniform“ bringt es einfach auf den Punkt.
Andreas Heinrich: Das Stichwort Kameradschaft versus Korpsgeist habe ich mir gleich aufgeschrieben, das wäre schon ein Veranstaltungsthema.
Welche Ziele verbindet die Polizei mit politischer Bildung?
Alexander Fehre: Die Gesellschaft wandelt sich, wir erleben eine sehr dynamische Zeit. Nicht selten stehen Uniformierte mitten in gesellschaftlichen Spannungsfeldern. Da ist es wichtig, dass Polizistinnen und Polizisten einen klaren Wertekompass haben - dass sie nicht nur rechtssicher handeln, sondern auch in dem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext angemessen. Das ist ganz entscheidend für die Akzeptanz hoheitlichen Handelns - besonders in diesem Bereich haben sich in den letzten 100 Jahren die Erwartungen an Staatsdiener in Uniform grundlegend gewandelt.
Ein Beispiel ist der stete Wandel im Bereich der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Grenzpolizei. Früher gab es in Europa ein festes Grenzregime mit Schlagbäumen. Mit der Erweiterung des Schengen-Raumes und offenen Grenzen innerhalb der europäischen Union hat sich dies umfassend gewandelt. Bis dahin, dass 2015 die Grenzschützer plötzlich zu den ersten Repräsentanten einer gesellschaftlich breit verankerten Willkommenskultur geworden sind. Jetzt, zehn Jahre später, geht die gesellschaftliche Erwartung und politische Realität wieder Richtung stärkere Kontrolle und Steuerung. Und mittendrin stehen Menschen in Uniform mit klarem Dienstverständnis, eigenen gesellschaftlichen Erwartungen und persönlicher Empathie. Keine Bundespolizistin und keinen Bundespolizisten lässt es kalt, wenn Familien ankommen, die über 30 Stunden in einen Laster eingepfercht waren. Es lässt „die Blaulichtfamilie“ aber auch nicht kalt, wenn sie wegen der gesetzlichen Diensterfüllung angegriffen oder angefeindet wird.
Politische Bildung ist aus meiner Sicht kein modisches Zusatzprogramm, sondern integraler Bestandteil polizeilicher Aus- und Fortbildung. Polizistinnen und Polzisten können unsere demokratischen, gesellschaftlichen Werte nur aktiv vertreten, wenn sie diese regelmäßig gemeinsam reflektieren. Dazu brauchen wir viel mehr Raum zur Reflexion – gerade auch mit Partnern der politischen Bildung.
Holger Löwe: Unsere Rolle muss ganz klar sein. Bei aller Vielfalt der gesellschaftlichen Diskurse, die sich auch in den persönlichen Positionen der Polizisten widerspiegelt, ist klar, dass wir für unsere Freiheitlich-demokratische Grundordnung stehen, auch wenn wir bei Versammlungen eingesetzt sind, auf denen unser Staat und unsere Demokratie in Frage gestellt werden. Wir schützen aber nicht primär diese Versammlungen, wir schützen das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit, dabei sind Inhalt und Art der Versammlung sekundär, solange sie im gesetzlichen Rahmen bleiben. Ich habe viele derartige Versammlungen als Polizeiführer erlebt und weiß um die Herausforderung für uns Polizisten. Es ist wichtig, als Uniformträger und Mensch präsent zu sein und mit klarer Haltung auch diskutieren zu können. Gern wird die Polizei als ein Spiegelbild der Gesellschaft bezeichnet. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Polizisten, die auf der Straße für Demokratie und demokratische Prinzipien stehen, sollten noch viel sensibilisierter sein, als andere Menschen in unserer Gesellschaft.

Wir müssen uns regelmäßig hinterfragen. Wo steht die Polizei? Und wo werden wir gesehen? Gerade das Versammlungsgeschehen zeigte einen deutlichen Wandel. Früher gab es mal eine Versammlung von rechts, eine Versammlung von links. Heute ist die Bandbreite viel weiter. Bis Anfang der 2000er Jahre hatte die Polizei eine einfache Orientierung: der Rücken immer zu rechts und das Gesicht zu links. Es schien klar, wer einen deutschen Beamten angreifen würde und wer nicht. Das hat sich gewandelt. Insbesondere Kräfte am rechten Rand der Gesellschaft versuchen immer wieder, die Polizisten für sich zu instrumentalisieren. Da kommt es darauf an, den Polizisten das nötige Rüstzeug mitzugeben.
Alexander Fehre: Noch ein Gedanke zur Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft und als Rahmen für das Projekt DU, der nicht unwichtig ist. Wer Polizist wird, unterstützt und verkörpert mit seinem Dienst aktiv das staatliche Gewaltmonopol und ist bereit, sich ihn diesem Spannungsfeld zu bewegen. In der Regel stehen Polizistinnen und Polizisten damit eher für konservative Werte und betrachten gesellschaftliche Entwicklungen stärker im Kontext von Sicherheit als andere Teile der Bevölkerung. Auch dies bedarf der regelmäßigen Reflexion.
Wie ist der Stand der politischen Bildung für die Polizei in Sachsen?
Holger Löwe: Alle bei der sächsischen Polizei kennen politische Bildung. Sie gehört zur Grundausbildung, das haben wir in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Aktuell arbeiten wir an einer Studienreform, auch da wollen wir die gesellschaftspolitische Bildung stärken. Mit unseren Netzwerkkoordinatoren für Demokratiearbeit sind wir auf einem sehr guten Weg. Kritisch sehe ich die verfügbaren Ressourcen in der Fortbildung.
Alexander Fehre: Politische Bildung ist auch bei der Ausbildung der Bundespolizei Standard. Das Entscheidende ist aber aus meiner Sicht die Fortbildung parallel zum täglichen Dienstbetrieb. Das ist wie Brot backen, nur weil ich es theoretisch gelernt habe, braucht es trotzdem viel Erfahrung, damit mir das Brot nicht verbrennt. Daher sind für uns bei den jungen Kolleginnen und Kollegen in den ersten Dienstjahren Formate wichtig, in denen man eigene Erwartungen und die Realität des Polizeialltags immer wieder abgleichen kann. Dabei ist mir wichtig, dass wir vom Bild des „Frontalunterrichtes“ wegkommen, dass wir offene Gesprächssituationen schaffen und kontrovers diskutieren – politische Bildung als politische Reflexion verstehen. Das geht eigentlich nur face-to-face, mit viel gemeinsamer Zeit und abseits vom Tagesstress.
Holger Löwe: Das kann ich nur bestätigen. Neben dem inhaltlichen Angebot gehört zu einer guten Fortbildung der Abstand zum Dienstbetrieb, um sich einlassen zu können. Das geht nicht zwischen zwei Terminen. Wichtig ist mir auch das Netzwerken, daher sind Präsenzveranstaltungen unverzichtbar.

Was kann die SLpB als externer Partner beitragen?
Alexander Fehre: Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Gastreferenten. Diese sind ein wesentlicher Faktor im Fortbildungsbereich. Externe Partner bringen in den unterschiedlichsten Themenbereichen eine spezifische Fachlichkeit mit, die wir selber nur mit sehr viel Mühe und hohen Kosten aufbauen könnten. Davon abgesehen, bringen Partner von außerhalb der Blaulichtfamilie auch andere Perspektiven und Erfahrungen mit. Das ist besonders wertvoll bei kritischen Fragen oder Positionen, denen wir uns aus der Binnensicht so vielleicht nicht immer stellen würden.
Holger Löwe: Diese echte Kontroversität hilft uns. Es ist etwas anderes, wenn der Polizeitrainer sagt, ich bin heute mal der Demonstrant und spielt Kollegenschelte, oder echte Kritik zum Thema Polizeigewalt vorgetragen wird. Es gibt Themen, die können Externe glaubwürdiger und damit den gesamtgesellschaftlichen Diskurs breiter abbilden, was uns Polizisten eine tiefere Reflexion eröffnet. Außerdem sind Externe auch keine Vorgesetzten, was die Freiheitsgrade erhöht. Wir erleben, dass dieser Bruch mit polizeilichen Routinen die Akzeptanz in einer Fortbildung steigern kann.
Alexander Fehre: Ein gutes Beispiel sind die Veranstaltungen mit Dr. Christoph von Marschall, dem Diplomatischen Korrespondenten der Chefredaktion des Tagesspiegels. Mit seiner journalistischen Erfahrung ordnet von Marschall tagesaktuelle Nachrichten und das große Weltgeschehen anders ein, als das ein Fachlehrer auch mit viel Erfahrungswissen kann und öffnet so ganz neue Perspektiven für die Kolleginnen und Kollegen.
Wird es bei DU besondere Angebote für die Polizei geben?
Andreas Heinrich: Wir planen für DU klassische Themen zu Extremismus, Reichsbürger und Populismus. Wir wollen für Polizistinnen und Polizisten eine Informationstankstelle sein. Aber auch Diskursplattform, wo wir mit methodischen Ansätzen mehr Raum zur Reflexion geben und für die Akzeptanz der politischen Bildung werben wollen. Ausschließen will ich keine Themen. Wir fassen auch heiße Eisen an, wenn Bedarf besteht – so gesehen ist die Blaulichtfamilie eine ganz normale Zielgruppe.
Holger Löwe: Wenn wir den Bedarf nicht ansprechen, können wir es auch lassen. Niemand hat etwas vom Abhaken gefühlter Pflichten. Zu einer guten Fortbildung gehört, neben der inhaltlichen Ausrichtung, auch der Faktor aus dem Tagesstress rauszukommen, sich darauf einlassen zu können. Und zu einer guten Fortbildung gehört auch Netzwerkbildung und gegenseitige Reflexion und Erfahrungsaustausch, deswegen können wir auf Präsenzveranstaltungen nicht verzichten. Leider gibt es bei DU ein limitierendes Element. Wir werden nur Einzelveranstaltungen anbieten, weil wir keine Ressourcen für aufeinander aufbauende Angebote für die gleichen Teilnehmenden haben. Inhaltlich sehe ich keine Grenzen, methodisch aber schon. Trotzdem sollten wir hier mutig sein und mehr Workshops mit mehr Mitmach-Charakter anbieten.
Alexander Fehre: Leider fehlt uns wegen der hohen Einsatzbelastung die Zeit für mehrtägige Veranstaltungen. Aber warum nicht mal Mittag-bis-Mittag-Veranstaltungen versuchen? Wir investieren einen Fortbildungstag und gewinnen einen wertvollen Abend für Gespräche. Thematisch plädiere ich sehr für Offenheit und neue Perspektiven in der gesamten Bandbreite von Meinungen oder Standpunkten im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Wie breit ist das Angebot von DU geplant?
Andreas Heinrich: Im ersten Halbjahr 2025 sind 20 Veranstaltungen geplant. Angesichts der aktuellen Haushaltslage sind die Spielräume leider eng, für DU kürzen wir in anderen Bereichen. Im zweiten Halbjahr wollen wir gern auf weitere 30 Veranstaltungen erhöhen. 50 Veranstaltungen plus x sollten wir jährlich hinbekommen. Hinzu kommen Gedenkstättenfahrten, die SLpB ohnehin für Polizistinnen und Polizisten anbietet. Aber wir werden mit DU nicht alle Uniformierte in Sachsen erreichen, so realistisch müssen wir die Ressourcen bewerten.
Alexander Fehre: Ich sehe das aktuell noch eingeschränktere Angebot nicht zwingend kritisch, weil es auch jetzt schon einen Multiplikatoren-Effekt gibt. Wenn Kolleginnen und Kollegen aus einer Dienstgruppe an Veranstaltungen teilnehmen, ist ja auch ein Ziel, dass sie Impulse mitnehmen und sich in der Dienstgruppe dazu austauschen und im besten Fall weiter diskutieren. Und wir müssen uns bewusstmachen, dass DU ein tolles Ergänzungsangebot aber keinen Ersatz der politischen Bildungsarbeit innerhalb der Bundes- und Landespolizei darstellt.
Holger Löwe: Entscheidend ist auch nicht die Masse. Wichtig ist, dass wir das Angebot bedarfsgerecht in die einzelnen Organisationseinheiten bringen. Ich baue da auf die polizeilichen Netzwerkkoordinatoren für Demokratiearbeit. DU wird nur erfolgreich, wenn wir auf die Bedürfnisse reagieren, die uns zurückgemeldet werden. Nur so wird DU eine gute Strahlkraft und Wirksamkeit entwickeln.