Umbruch in Polen? Das Donnerstagsgespräch in der Landeszentrale

Beim Donnerstagsgespräch am 3. März wird ein Thema diskutiert, das für ganz Europa Brisanz hat und das sich durch seine schnelle Entwicklungsdynamik auszeichnet: Es geht um die politische Zäsur in Polen, die die neue Regierung um Andrzej Duda von der Partei Prawo i Sprawiedliwość („Recht und Gerechtigkeit“, PiS) herbeigeführt hat.

Das Gespräch wird von zwei Experten geführt, die aus einer jeweils anderen Perspektive auf das Problem blicken:  Der erste ist Bartosz Wieliński, Redakteur der regierungskritischen Zeitung Gazeta Wyborcza. Er hat die Innenperspektive aus der Praxis, verfolgt die politischen Veränderungen in seinem Land genau und ist als linksliberaler polnischer Publizist vor allem durch die neuen Mediengesetze persönlich betroffen. Sein Gesprächspartner Prof. Dr. Werner J. Patzelt hat einen anderen Zugang zur Thematik: als Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich ist er für die wissenschaftliche Außensicht zuständig und kann Bezüge zu Deutschland und anderen europäischen Ländern herstellen.

Im vollen großen Vortragssaal des Schützenhofs sprechen die beiden zunächst 15 Minuten miteinander über die aktuelle Situation in Polen und werden dabei für dresdeneins.tv aufgezeichnet. Anschließend folgt eine ausführliche Frage- und Diskussionsrunde.

„Polen hat von Außen betrachtet eine Erfolgsgeschichte“, so beginnt Prof. Dr. Patzelt, „die Wirtschaft modernisiert sich, die Gesellschaft modernisiert sich, die Regierungen wechseln so wie die englischen Regierungen im 19. Jahrhundert - und  dennoch machen wir uns Sorgen um Polen und das wollen wir besprechen. Was ist los in diesem Land?“

„Die neuen wollen die politische Ordnung total zerstören“

Bartosz Wieliński stellt dar, was das zentrale Problem an der neuen Regierung ist: sie strebt eine „neue polnische Ordnung“ an, welche die Demokratie im Land abzuschaffen droht.

Innerhalb weniger Wochen hat die neue Regierung das politische System komplett umgebaut, die Massenmedien stark ihrer Kontrolle unterstellt und das Verfassungsgericht quasi ausgeschaltet. Mit der Ausschaltung des Verfassungsgerichts will sich die Regierung das „Durchregieren“ ermöglichen, also nach freiem Ermessen Gesetze verabschieden, ohne dass diese von einer externen Instanz nach verfassungsrechtlicher Prüfung gestürzt werden können.

Gerade bei der Unterstellung der öffentlich-rechtlichen Medien war dies relevant, da das verfassungsrechtlich wohl nicht zulässig wäre. Seit der Denaturierung des öffentlich-rechtlichen Mediensystems wird die Regierung in den Abendnachrichten nur noch gelobt und ihre Arbeit als durchweg positiv dargestellt.

„Polen liegt in Trümmern“

Um diese Veränderungen veranlassen zu können benutze die PiS-geführte Regierung eine perfide Propagandastrategie, die unter dem Namen „Polen liegt in Trümmern“ läuft:

Der Öffentlichkeit wurde wahrgemacht, dass das Land in einer schlimmen Rezession sei und in den letzten Jahren alles falsch gemacht worden sei. Tatsächlich entwickelt sich Polen wirtschaftlich gut und die Arbeitslosigkeit ist im Langzeitvergleich zurückgegangen.

Der Grund dafür, warum diese Strategie wirksam ist, liegt daran, dass eine große wirtschaftliche Spaltung durch das Land geht: der Westen Polens profitiert durch seine Nähe zu Deutschland stärker von einem offenen Europa als der Osten, der vergleichsweise schwach dasteht und sich durch eine vernachlässigte Infrastruktur auszeichnet.

Besonders im ländlichen Raum fühlten sich die Menschen zuletzt zunehmend vernachlässigt  und waren von der anti-europäischen Propaganda leicht zu beeindrucken. Eine weitere Stärke der PiS war im Wahlkampf ihre Präsenz in den sozialen Medien, die durch polemische hate speech viele Menschen gegen die bestehenden Verhältnisse aufbrachte.

Auch die Propaganda gegen Flüchtlinge (von denen Polen bisher noch keinen einzigen dauerhaft aufgenommen hat) wirkte: den Wählern wurde dargestellt, dass die Menschen aus dem Mittleren Osten „Seuchen und Parasiten“ mitbrächten und dass das europäische Verteilungskontingent gegen die nationalen Interessen der Polen spräche.

Versprechen sozialer Wohltaten

Ein anderer Grund für den Aufstieg der PiS sei laut Wieliński  der Sachverhalt, dass die Partei lange Zeit von den Medien und der Politik nicht erst genommen und von der herrschenden Elite verlacht wurde, was die sich von ebenjener Elite benachteiligt fühlenden Menschen in Polen dazu brachte, in einer Trotzreaktion stark mit ihnen zu sympathisieren.

Viele dieser Menschen (gerade die in der ostpolnischen Provinz) waren von den Versprechen der Einführung von Kindergeld und Mindestlohn sowie der Senkung des Rentenalters euphorisiert und erhofften sich dadurch mehr Wohlstand. Keine dieser versprochenen Sozialmaßnahmen war jedoch von einem soliden Finanzplan gedeckt und außer dem Kindergeld wurde noch keine in die Wege geleitet.

„Budapest in Warschau“?

Mariusz Antoni Kamiński, ein zentraler Funktionär im PiS-geführten Parlament beschrieb die Vorstellungen der Partei über die Veränderungen  im Land mit der Kurzformel „Wir werden Budapest in Warschau haben!“, welche auf den nachhaltigen Umbau des Systems von einer Demokratie in einen Autoritarismus verweist. 

Wieliński äußert hierzu die Hoffnung, das dies in Polen wegen seiner längeren Demokratieerfahrung noch zu verhindern sein könnte, da diese in einer selbstbewussteren politischen Kultur mündeten und es daher in Polen mehr Widerstand geben könnte.

Wie es weitergeht ist unklar, jedoch erhofft sich der Journalist vom Ausbleiben der Wahlversprechen ein nicht unerhebliches Frustrationspotential, was letztendlich zu Protesten führen könnte.

Prof. Dr. Patzelt schließt die Veranstaltung mit den Worten „Es wird so ein wie immer in der Politik: nachher ist man immer schlauer. Wer dem Hasen lange genug zuschaut, wird am Ende auch wissen wohin der Hase lief - und warum.“

Das Donnerstagsgespräch "Umbruch in Polen?" im Video.