Rückkehr der Baseballschlägerjahre? 2/2

Der zweite Teil unserer Artikelreihe widmet sich dem Thema der „militanten Männlichkeit“: Wie rechte Gruppen heute — anders als in den 1990er-Jahren — systematisch Gewalt, Gruppenzusammenhalt und inszenierte Identität verbinden.

Neue Gewaltförmigkeit statt Nostalgie – Militante Männlichkeit als Motor

„Baseballschlägerjahre“ – wie ein Spuk aus der Nachwendezeit taucht der Begriff in der jüngsten Vergangenheit immer wieder in den Medien auf .Die Bilder von Hunderten Rechtsextremen, die in sächsischen Städten gegen Christopher Street Day-Demonstrationen aufmarschieren, scheinen diese Assoziation nahezulegen. 

Im ersten Teil dieser Reihe stand im Mittelpunkt, wie rechtsextreme Akteure über soziale Medien neue Erlebniswelten erschaffen, in denen Zugehörigkeit, Stil und Gemeinschaft inszeniert werden. Doch die dort gezeigten Wanderungen, Kampfsporttrainings oder Protestaktionen sind keine harmlosen Lifestyle-Fragmente, sondern Ausdruck eines tieferliegenden ideologischen Projekts: der Wiederaneignung einer als verloren wahrgenommenen Männlichkeit.

Der folgende Beitrag setzt hier an und fragt, warum diese „militante Männlichkeit“ nicht nur den Zusammenhalt der Szene stiftet, sondern auch den Hass auf liberale Gesellschaftsmodelle und insbesondere auf den Christopher Street Day befeuert – und warum wir es deshalb heute nicht mit einer nostalgischen Rückkehr der Baseballschlägerjahre, sondern mit einer neuen, strategisch organisierten Gewaltförmigkeit zu tun haben.
 

Rückblick in die Baseballschlägerjahre

In der öffentlichen Debatte gelten die 1990er-Jahre oft als Ursprungslinie für heutige rechtsextreme Gewalt. Tatsächlich waren die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ in vielen ostdeutschen Städten von einer massiven Präsenz rechter Jugendgruppen geprägt. Nach der Wiedervereinigung erlebten viele die sozialen Umbrüche als „gewaltvolle Realität“  . Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und der Verlust tradierter Männlichkeitsbilder schufen ein Klima, in dem Gewalt als Mittel der Selbstvergewisserung und Statuswiederherstellung attraktiv wurde. Erzählungen lethargischer bis suizidgefährdeter Väter stehen in vielen autobiografischen Rückblicken symbolisch für diesen Männlichkeitsverlust.

Doch diese Erklärungslinie greift allein zu kurz. Erstens war rechte Gewalt kein genuin ostdeutsches Phänomen: Auch in westdeutschen Städten gab es in den 1980er- und 1990er-Jahren organisierte Neonazi-Strukturen und tödliche Angriffe . Zweitens unterschied sich die damalige Gewalt in ihrer Form deutlich von heute: Sie war oft spontan, unkoordiniert und sichtbar im Straßenbild, weniger eingebettet in langfristige Organisationsstrukturen. Drittens spielte neben der Männlichkeitskrise das institutionelle Umfeld eine zentrale Rolle – von staatlichem Wegsehen bis zu lokal verankerten Milieus, die rechte Jugendgruppen tolerierten oder gar unterstützten Die Eskalation der Gewalt in den Baseballschlägerjahren wurde durch mehrere Faktoren begünstigt: den abrupten Transformationsprozess, die wirtschaftliche Entwertung ganzer Regionen und die rassistische Mobilisierung im Kontext der Flucht- und Migrationsbewegungen aus dem Balkan . In diesem Zusammenspiel entstand eine spezifische Gewaltpraxis, die in Teilen auf die Wiederherstellung einer vermeintlich „natürlichen“ männlichen Ordnung zielte und dabei gezielt Angsträume für Migranten und Migrantinnen, Linke und andere Andersdenkende schuf.

Perspektivlosigkeit, Transformation und ein gefühlter Angriff auf Männlichkeit: All das sind Schlagworte die auch in der heutigen Debatte um Rechtsextremismus wieder auftauchen, ebenso ein Anstieg rechter Gewalt.  
 

Als der Landesvorsitzende der AfD-Thüringen, Björn Höcke, davon sprach, man müsse „seine Männlichkeit wiedererlangen“, griff er auf eine Erzählung zurück, die weit über die AfD hinausreicht. Sie verbindet die Vorstellung eines durch Globalisierung, Migration, Feminismus die Nachwirkungen der 68er-Bewegung und liberale Politikausrichtung „verlorenen“ männlichen Selbstbildes mit klar markierten Feindbildern: vom „Gendern“ über „links-grün“ bis hin zu „woke“.

Diese rechtsextreme Erzählung verfängt nicht nur in Europa, sondern ebenso in den USA, wo Krisen der Männlichkeit in kollektive, rechtsradikale Vergemeinschaftungen übersetzt werden . In beiden Kontexten verstärkt ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit, das Gefühl des Kontrollverlustes. Vor allem bei jungen Männern befördert er den Eindruck eines entwerteten Status und damit eines Verlustes männlicher Selbstvergewisserung. In Deutschland scheint dieses Muster besonders ausgeprägt in Ostdeutschland zu sein, wo die Jugendarbeitslosigkeit seit Jahren über dem westdeutschen Niveau liegt und so ein dauerhaftes Gefühl relativer  Benachteiligung nährt.

Diese Mischung aus erlebter oder gefühlter wirtschaftlicher Ausgrenzung und einer diskursiv befeuerten Männlichkeitskrise schafft den Resonanzraum für neue Formen rechtsextremer Vergemeinschaftung. Militante Männlichkeit fungiert darin als symbolische und praktische Klammer: Sie verbindet ökonomische Frustration mit kultureller Abwehrhaltung, macht aus abstrakter Ideologie greifbare Rollenbilder und übersetzt diese in eine gemeinsame Praxis aus körperlicher Disziplin, Gewaltbereitschaft und unbedingter Loyalität zur Szene.

Militante Männlichkeit als Bindeglied

Militanz und das Bild einer eigenen Wehrhaftigkeit sind erneut zu einem zentralen Anliegen geworden – besonders unter jungen Rechtsextremen. Neben der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“, die dafür eine eigene Arbeitsgemeinschaft eingerichtet hat , verbreitet sich aus den USA das Konzept der sogenannten „Active Clubs“ in Europa . Auch andere Akteure, wie die „Jungen Nationalisten“, Jugendorganisation der Partei „Die Heimat“ (ehemals NPD), setzen auf Wanderungen, Kampfsporttrainings und andere physische Gemeinschaftsaktivitäten.

Diese Formate sind nicht zufällig gewählt, sondern eingebettet in die Wahrnehmung eines umfassenden Kulturkampfes. In dieser Logik erscheinen körperliche Vorbereitung und kollektive Disziplin als unerlässlich – sie dienen dem strategischen Hinarbeiten auf den „Tag X “, verstanden als Endschlacht um die Zukunft der „weißen Rasse“ und den Aufbau einer weißen, auf Abstammung basierten „Nation“. Die Selbstformung der Beteiligten erfolgt über Kampfsport, Schulungen und gruppenbildende Aktivitäten, die explizit auf die Herstellung von Kampfbereitschaft ausgerichtet sind.

Flankiert wird diese Selbstdisziplinierung durch ästhetische Elemente: Musik, Kleidung und visuelle Inszenierung symbolisieren Zugehörigkeit und erheben das Konzept zugleich in den Rang eines Lifestyles. Maßgeblich daran beteiligt ist das vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen als rechtsextrem ausgewiesene Hip-Hop-Label „Neuer Deutscher Standard“  aus Weifa bei Bautzen  das gezielt jugendkulturelle Codes bespielt, um eine neue, attraktiv inszenierte Jugendkultur zu forcieren. Diese Normalisierungsstrategie lässt sich als „Mainstreaming“ beschreiben, weil sie den Brückenschlag zwischen radikaler Ideologie und popkultureller Attraktivität vollzieht.

In der aktiven Einübung von Gewaltszenarien und im gezielten Aufbau einer als „Bruderschaft“ verstandenen Gemeinschaft wird der Körper der Aktivisten selbst zum Symbolträger dieser Ordnung . Er steht für Disziplin, Einsatzbereitschaft und Loyalität und verkörpert damit eine militante Männlichkeit, die Gewalt nicht als bloßes Mittel, sondern als identitätsstiftende Praxis begreift. Dabei ist in diese Praxis eine tiefe Ablehnung gegen alles, was diese „Männlichkeit“ angreift, eingebettet, sowohl queere Personen und ihre Symbole, als auch Menschen mit Migrationshintergrund, oder alles was als „modern“ beziehungsweise „links-grün“ betrachtet wird.

Diese Mischung aus Ideologie, Gruppenzusammenhalt und körperlicher Gewalt ist mehr als einzelne Taten. Sie bildet ein einheitliches Vorgehen, das über kurze Aktionen hinausgeht und über die Zeit Menschen mobilisiert und radikalisiert.
 

Militante Formen der Raumaneignung

Die aktuellen Aufmärsche rechtsextremer Gruppen in Sachsen und anderen Bundesländern verdeutlichen, dass sich die Szene 2025 erneut kollektive Straßenpräsenz aneignet – eine Praxis, die in den vergangenen Jahren nur punktuell zu beobachten war. Auffällig ist dabei die wiederkehrende Fahnenblockbildung der „Jungen Nationalisten“ (JN), die nicht nur maßgeblich an den Anti-CSD-Protesten beteiligt sind, sondern diese auch gezielt zur Rekrutierung von Nachwuchs aus den neu entstandenen Jugendgruppen nutzen.

Auch andere Akteure wie „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“ oder die Kameradschaft „Urbs Turrium“ traten – etwa am 10. August 2025 in Bautzen – als bewusst inszenierte geschlossene Formationen auf. Dort wurde, wie bereits 2024, der Protestzug gezielt unterbrochen, um Bildmaterial für soziale Medien zu produzieren und zugleich Disziplin, Wehrhaftigkeit und kollektive Einsatzfähigkeit zu demonstrieren. Diese auf Wirkung angelegte Selbstdarstellung dient der Selbstvergewisserung einer militant-männlichen Ordnung.

Im Unterschied zu den Organisationsformen der Nachwendezeit, in denen RechtsRock-Konzerte und gemeinsames Trinken zentrale Vergemeinschaftungsanlässe bildeten, setzen heutige Gruppen auf eine enge lokale Verankerung und den Aufbau eines eigenständigen sozialen Kosmos. In Dortmund-Dorstfeld zeigt sich dies exemplarisch im Umfeld der dortigen Die Heimat-Zentrale: Ziel ist die Etablierung „weißer nationaler“ Räume, gestützt auf sportliche Erziehung des Einzelnen, ideologische Indoktrination in der Gruppe und eine daraus abgeleitete, kontinuierliche Präsenz bei Protesten und im öffentlichen Raum. 

Die Verbindung aus medialer Sichtbarkeit, lokaler Präsenz und der Behauptung, dem vermeintlichen Verlust traditioneller Männlichkeit entgegenzutreten, schafft ein Anziehungspotenzial insbesondere für junge Männer, die auf der Suche nach Struktur, Zugehörigkeit und einer klaren, hierarchischen Ordnung sind.
 

Keine Rückkehr der Baseballschlägerjahre

Der rechtsextreme Gewaltmilieu der 1990er-Jahre war geprägt von spontanen Übergriffen, situativen Eskalationen und einer staatlichen Praxis, die vielfach von Wegschauen oder Verharmlosung bestimmt war . Diese Gewalt entstand in einem spezifischen sozialen Kontext: tiefgreifende wirtschaftliche Verwerfungen nach der Wiedervereinigung, ein kollektives Gefühl des Kontrollverlusts sowie die Wahrnehmung einer Bedrohung der eigenen „Rasse“ und Männlichkeit – insbesondere bei jungen Männern. Organisatorisch handelte es sich meist um lose, lokal verankerte Strukturen ohne übergeordnete strategische Steuerung, deren Gewaltpraxis eher anlassbezogen den öffentlichen Raum dominierte, als dass sie langfristig geplant gewesen wäre.

Heute sind ideologische Kontinuitäten unverkennbar: Der Bezug auf eine „verlorene Männlichkeit“, die Verteidigung einer ethnisch homogenen Nation und die Abwertung von Minderheiten knüpfen direkt an damalige Erzählungen an. Doch die Übersetzung dieser Vorstellungen in Gewalt hat sich grundlegend gewandelt. An die Stelle unkoordinierter Eskalationen tritt eine bewusst inszenierte, organisatorisch eingebettete Militanz. Kampfsport, paramilitärisch anmutende Trainingsformate, ästhetisierte Selbstdarstellungen in sozialen Medien und die gezielte Erzeugung kontrollierter Angsträume sind heute integrale Bestandteile einer längerfristigen Mobilisierungs- und Radikalisierungsstrategie.

Wir erleben damit keine nostalgische Wiederkehr der Baseballschlägerjahre, sondern eine strategische Modernisierung ihrer Kernmotive. Gewalt fungiert nicht mehr primär als Ausdruck jugendlicher Aggression im Ausnahmezustand gesellschaftlicher Transformation, sondern als kalkuliertes Instrument in einem ideologisch aufgeladenen Kulturkampf. Die Gefahr verlagert sich, nämlich weg von spontanen Ausbrüchen hin zu einer dauerhaft verankerten Gewaltpraxis, die auf strategische Destabilisierung, lokale Raumnahme und den Aufbau einer eigenen sozialen Infrastruktur zielt.


Bastian Stock ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden, tätig an der Professur für Politische Systeme und Systemvergleich. Seine zentralen Forschungsinteressen liegen in der Analyse der rechtsextremen Mobilisierung, einschließlich deren transnationaler Dynamiken und Diskurse, sowie von Prozessen der demokratischen Erosion. Ergänzend dazu befasst er sich mit der Stärkung der kommunalen Beteiligung, wobei sein Fokus auf Beteiligungsverfahren liegt.