Rückkehr der Baseballschlägerjahre? 1/2
Digitale Rekrutierung statt Flugblatt und Infostand
Seit der Christopher-Street-Day-Saison 2024 steht vor allem eine sächsische Stadt exemplarisch für eine neue Welle rechter Mobilisierungen: In Bautzen versammelten sich über 700 Rechtsextreme , um aggressiv gegen Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung und Sichtbarkeit zu protestieren. Doch auch andere ostdeutsche Städte waren Schauplatz ähnlicher Entwicklungen. In Döbeln und Görlitz organisierten mehrere Hundert Personen Proteste gegen die lokalen Pride-Events und markierten queere Sichtbarkeit als Feindbild.
Auch im Jahr 2024 nahm die rechtsextreme Gewalt deutlich zu. Die Zahl der Übergriffe auf Kommunalpolitiker und Kommunalpolitkerinnen erreichte einen neuen Höchststand . Besonders viel Aufmerksamkeit erhielt der brutale Angriff auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke (SPD) . In aktuellen Lageeinschätzungen sprechen Forschung und Verfassungsschutz von einer neuen rechten Szene. Die Täterschaft ist dabei vor allem eins: jung.
Die neue Dynamik, die permanente Sichtbarkeit über Social Media, die gezielten Störungen von Pride-Veranstaltungen und der gesteigerte Zulauf bei rechtsextremen Demonstrationen lassen die Gesellschaft eine Frage stellen: Sind die Baseballschlägerjahre zurück?
Rechte Erlebniswelten auf Social Media
Rechte Jugendmobilisierung läuft heute weniger über Parteipolitik oder Ideologievermittlung als über Bilder, Körper, Musik und Gemeinschaftsgefühl. Soziale Medien eröffnen den Zugang zu einer rechtsextremen Erlebniswelt, die Bindung erzeugt, ohne gleich offen politisch aufzutreten. Die Inhalte reichen von Kampfsport-Videos und Wanderbildern bis hin zu Memes, Musikclips und TikTok-Livestreams. Sachsen kommt dabei eine besondere Rolle zu: als Produktionsstandort, als Experimentierfeld und als medialer Verstärker.
Soziale Medien gelten häufig als Hauptfaktor rechter Mobilisierung und werden mit dem Konzept der “Echokammern“ verbunden, also abgeschlossenen digitalen Räumen, in denen fast ausschließlich eigene Überzeugungen zirkulieren. Empirische Studien zeigen jedoch ein differenzierteres Bild. Entscheidend ist nicht allein die Nutzung sozialer Medien, sondern vor allem ob das eigene soziale Umfeld ähnlich tickt. Wer sich fast ausschließlich mit politisch und kulturell Gleichgesinnten austauscht, insbesondere offline, zeigt eine deutlich höhere Zustimmung zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen. Im Zentrum steht damit nicht nur der digitale Raum, sondern das alltägliche Nahfeld, in dem Radikalisierung verankert ist und stattfindet.
Akteure und Formate in Sachsen
Das Musiklabel „Neuer Deutscher Standard“ (NDS) aus Weifa bei Bautzen ist ein zentraler Akteur . In Videos wie „Her zu uns“ inszenieren die Beteiligten einen rechtsextremen Lebensstil, der Nationalismus, Männlichkeitsbilder und Popästhetik miteinander verbindet. Die Protagonisten Dominik „Kavalier“ Raupbach und Kai „Prototyp“ Naggert treten dabei als Musiker, Markenbotschafter und Szenegesichter auf. Stilistisch orientieren sie sich am populären „Mallorca-Schlager“, den sie mit ausländerfeindlichen Parolen anreichern, um neue Zielgruppen zu erreichen. Das Label und die dazugehörigen Rapper werden dabei nicht nur von den Jungen Nationalisten unterstützt, sondern auch von der Jugendkameradschaft „Urbs Turrium“ aus Bautzen. Letztere inszenierten zum Geburtstag des rechtsextremen Rappers „MKD“ eine Art Fackelempfang.
Ein weiteres Beispiel ist Benjamin Moses , Stadtrat der „Freien Sachsen“ in Bautzen. Unter dem Label „Balaclava Graphics“ veröffentlicht er mediale Inhalte zu Demonstrationen, Wanderungen und Szeneveranstaltungen. Seine Kanäle bieten Gruppen wie dem III. Weg, den Jungen Nationalisten oder dem „Kampf der Nibelungen“ eine Plattform. Auch sein Webshop spielt eine Rolle in der Verbreitung rechtsextremer Symbolik. Dort vertreibt er unter anderem „The White Race“-Schlauchschals, deren Gestaltung stark an das Logo von „The North Face“ angelehnt ist und die sich als visuelles Erkennungszeichen in der Szene etabliert haben.
Am Beispiel der Bautzener Akteure zeigt sich, wie sich rechtsextreme Gruppen zunehmend im Umgang mit Medien professionalisieren . Sichtbar wird ein strategischer Mix aus Online-Kommunikation und physischer Präsenz, der auf Wirkung und Anschlussfähigkeit zielt, damit sollen vor allem neue Mitglieder gewonnen werden . Die Ansprache erfolgt dabei oft nicht über explizite Ideologie, sondern über ästhetisch aufgeladene Narrative von Stärke, Gemeinschaft und Kontrolle. NDS, Balaclava Graphics und ähnliche Formate stehen exemplarisch für diese Entwicklung. Neben diesen Gruppen sind auch die Jugendorganisationen rechtsextremer Parteien auf Social Media aktiv. Die „Jungen Nationalisten“ inszenieren Kampfsporttrainings, politische Vorträge und Wanderungen. Die "Nationalrevolutionäre Jugend" des III. Wegs setzt auf ähnliche Formate . Auch die rechtsextreme Kleinstpartei "Freie Sachsen" baut ihr mediales Angebot aus und nutzt vor allem Telegram für die Verbreitung gemeinsamer Aktionen und Mobilisierungen.
Der Versuch, eine eigene kulturelle Gegenwelt beziehungsweise einen Lifestyle zu etablieren, ist dabei kein lokales Phänomen. Das transnationale Netzwerk der Active Clubs setzt auf die Etablierung eines „White Nationalism 3.0“, der Ideologie durch Körper, Disziplin und Medienästhetik ersetzt. Der „III. Weg“ flankiert diesen Ansatz mit einem eigenen Handbuch i das junge Aktivisten auf eine militante Praxis vorbereiten soll.
Neben den parteinahen Akteuren setzen auch nicht-institutionalisierte Gruppen wie „Jung & Stark“, „Deutsche Jugend Voran“ oder die mittlerweile nicht mehr aktive „Chemnitz Revolte“ auf den Aufbau digitaler Erlebniswelten. Im Mittelpunkt stehen gemeinschaftliche Aktivitäten wie Reisen, Demonstrationen oder Sportveranstaltungen, die medial inszeniert und mit typischen Symbolen versehen werden – etwa der Deutschlandfahne, dem Adler-Emoji oder dem OK-Zeichen als Code für „White Power“, also der vermeintlichen Überlegenheit Weißer.
Offline-Erweiterung: Erlebnisse, Rituale, Disziplin
Digitale Formate stehen nicht für sich, sondern greifen gezielt auf analoge Erlebnisse zurück. Sonnenwendfeiern, Schlauchboottouren, Jugendlager und Sporttreffen liefern die Bilder, die später online zirkulieren. Soziale Medien verbreiten diese Inhalte nicht nur, sie verstärken sie auch: Wer teilnimmt, wird sichtbar. Wer sichtbar ist, gilt als Teil der Gemeinschaft.
Die Verbindung von digitaler Inszenierung und realer Mobilisierung zeigt: Radikalisierung vollzieht sich nicht allein im Netz. Soziale Medien verstärken vor allem bestehende Gruppenbindungen – besonders dann, wenn diese sozial und ideologisch homogen sind. Gleichzeitig radikalisieren sich die Gruppen oft dynamisch. Studien zur Gruppenradikalisierung zeigen, dass geteilte Erlebnisse die Bindung zur Gruppe stärken und damit auch die Bereitschaft zur Regelübertretung und Gewalt. Digitale Medien verstärken diese Prozesse, indem sie Sichtbarkeit, Anerkennung und emotionale Bestätigung erzeugen.
Politischer Aktivismus ist ein zentrales Element der rechtsextremen Erlebniswelt. Demonstrationen werden nicht nur organisiert, sondern bewusst inszeniert – als Bühne für Zugehörigkeit, Disziplin und Feindmarkierung. Besonders deutlich wurde das 2024 in Bautzen, wo rund 800, überwiegend junge Rechtsextreme gegen den CSD protestierten. Auch 2025 setzte sich diese Entwicklung fort. In Dresden organisierten die Jungen Nationalisten die erste größere Mobilisierung der Saison. Schon der Tonfall des Aufrufs machte deutlich, dass es dabei um mehr ging als um Ablehnung. Queere Personen werden nicht nur abgelehnt, sondern symbolisch aufgeladen: als Projektionsfläche für den Hass auf das „woke“ beziehungsweise „links-grüne“ Establishment. Ihre bloße Sichtbarkeit wird als Angriff auf die eigene Männlichkeit und das Ideal einer einheitlichen Volksgemeinschaft gelesen. Dadurch geraten Pride-Events gleich doppelt ins Visier: als politisches Feindbild und als körperlich wahrnehmbare Herausforderung.
Fazit und Ausblick
Was sich auf Social Media als Lifestyle präsentiert, dient als Einstieg in eine rechtsextreme Erlebniswelt. Ästhetische Codes, gemeinschaftliche Rituale und körperliche Disziplin erzeugen Zugehörigkeit, lange bevor politische Inhalte explizit werden. Entscheidend ist dabei weniger der Algorithmus als das soziale Umfeld, in dem diese Bedeutungen verankert sind.
Der zweite Teil dieser Serie untersucht, welche Männlichkeitsbilder in den rechten Erlebniswelten wirken und welche Funktion sie für die Mobilisierung und Radikalisierung junger Männer übernehmen.
Bastian Stock ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden, tätig an der Professur für Politische Systeme und Systemvergleich. Seine zentralen Forschungsinteressen liegen in der Analyse der rechtsextremen Mobilisierung, einschließlich deren transnationaler Dynamiken und Diskurse, sowie von Prozessen der demokratischen Erosion. Ergänzend dazu befasst er sich mit der Stärkung der kommunalen Beteiligung, wobei sein Fokus auf Beteiligungsverfahren liegt.
