"Der Hass kommt aus der Gesellschaft"

Beim Online-Fachtag "Gegen Hass im Netz", unter anderem veranstaltet von der SLpB, wurden Erfahrungen ausgetauscht und Akteure aus Zivilgesellschaft, Beratung und Bildung vernetzt.

Hass im Netz ist nicht nur eine Gefahr in digitalen Räumen, sondern spiegelt auch den Umgang in der Gesellschaft wider. Aus Hate Speech können reale Bedrohungen werden. Zu diesem Thema hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung am 1. Juni einen Online-Fachtag "Gegen Hass im Netz. Digitale Zivilcourage – Bildung – Beratung – Strafverfolgung" veranstaltet, in Zusammenarbeit mit der Landeskoordinierungsstelle des Demokratie-Zentrums, dem RAA Sachsen e.V. und der Koordinierungsstelle Medienbildung. Expertinnen und Experten waren geladen, außerdem zivilgesellschaftliche Akteure und Personal aus Verwaltungen sowie schulischer und politischer Bildung.

Gefährliches Ungleichgewicht

Das Interesse ist groß, mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich angemeldet. Die Erwartungen reichen von "Austausch" und "Vernetzung" bis zu Bitten um "Handlungskonzepte". Mit dem Aufkommen des Internets habe er Hoffnungen verbunden, doch er sei von Anfang an skeptisch gewesen, wie sich die Netzwerke entwickeln würden, sagt Roland Löffler, Direktor der Landeszentrale für Politische Bildung in seiner Begrüßung. "Das Ausmaß von Hass und Hetze, das wir in den letzten Jahren beobachtet haben, hat mich schon erschüttert."

Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena, gibt einen Überblick zu seinem Forschungsstand. Er beobachtet zum Beispiel einen "Silencing"-Effekt. Ein gewisser Teil von Nutzerinnen und Nutzern ziehe sich nach Erfahrungen von Hate Speech aus den Debatten im Internet zurück. Damit würden Stimmen im Diskurs fehlen, ein Ungleichgewicht, potenziell gefährlich für die Meinungsfreiheit und Demokratie, entstehe. Es sei positiv, sagt Quent, dass es inzwischen mehr Gesetze gegen Hasskriminalität im Internet sowie eine stärkere Durchsetzung der Netiquette in etlichen Netzwerken gäbe. Doch weiterhin verbreite sich viel Hass über nach wie vor unmoderierte Netzwerke wie Telegram, die nicht unter das Netzwerkdurchsetzung fallen. In diesen Kanälen kann aus diesem Grund kaum etwas gegen straftbare Inhalte in öffentlichen Gruppen unternehmen werden. "Man braucht nur ein paar Klicks, um in diese Kanäle zu kommen und findet dort Holocaustleugnung, Vernichtungsfantasien und Desinformationen", so Quent.

Der Überblick leitet eine angeregte Diskussion ein, die sich in den Workshops fortsetzt. Viele interessiert, wie man sich gegen Hate Speech wehren kann. Einige sind unsicher, welche Wege und Instrumente dabei zur Verfügung stehen. Über die Möglichkeiten der Sicherheits- und Justizbehörden wird im Forum "Strafverfolgung im Netz. Aktuelle Entwicklungen, Meldestellen, Strafverfolgung sowie Prozesshilfe" gesprochen. Eine Lehrerin schildert ein Problem aus ihrem Alltag. "Wenn mir Schüler Beispiele zeigen, wie sie Hate Speech im Netz erleben, finde ich das oft erschreckend." Bei Kommentaren sei sie allerdings mitunter unsicher, ob diese auch juristisch relevant seien.  Nicole Geisler von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die schon mehrfach Verfahren zu Hate Speech geführt hat, erklärt mögliche Tatbestände, von Beleidigung bis Volksverhetzung. Es sei auch für Fachleute nicht immer leicht einzuschätzen, ob ein Kommentar einen hinreichenden Verdacht auf eine Straftat darstellt. Ein Faktor bei der Bewertung, so Geisler, "ist zum Beispiel die Sicht eines durchschnittlichen Empfängers. Wie könnte so jemand einen Kommentar verstehen?" Die sächsische Polizei hat inzwischen eine "Onlinewache" eingerichtet, wo auch Hasskommentare gemeldet werden können. Zufrieden sei er mit dieser Lösung allerdings noch nicht, sagt Dirk Münster, Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt Sachsen. Die Technik sei noch nicht auf dem neuesten Stand. Außerdem seien die personellen Ressourcen noch nicht ausreichend. Für Betroffene sei es oft heikel, bei Anzeigen die eigene Adresse angeben zu müssen, darauf macht Josephine Ballon vom Verein Hate Aid aufmerksam. "Für einige Menschen ist das eine Hürde. Sie haben zurecht große Angst vor Repressalien von der Gegenseite", sagt sie. "Dafür muss die Justiz sensibilisiert sein."

Mut im Alltäglichen

Doch nicht immer sind juristische Mittel erfolgreich, nicht jeder verletzende Kommentar, nicht jeder Shitstorm ist ein Strafbestand, verstörend sind solche Attacken trotzdem. Welche Mittel gibt es noch, das Problem in den Griff zu bekommen? Das zweite Forum thematisiert "Zivilcourage im Netz. Von Counter Speech bis Kampagnenführung". "Wir haben großen Nachholbedarf in unserer Gesellschaft zivilcouragiert aufzutreten, und digitale Zivilcourage gehört dazu", sagt Juliane Chakrabarti von der Initiative "ichbinhier", die sich für eine bessere Diskussionskultur im Netz einsetzt. "Wir erleben, dass Zivilcourage oft dann angefragt wird, wenn es wohlfeil ist." Es gehe aber auch um Mut im Alltäglichen – und das erstrecke sich auch auf digitale Räume. Wie kann man im Netz die Zivilgesellschaft stärken? Für Johannes Baldauf, Public Policy Manager bei Facebook, gehören dazu "allgemeingültige Gesetze, eine engagierte Zivilgesellschaft und eigene Richtlinien der Plattformen". Benjamin Winkler von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Sachsen wirbt unter anderem für das "Multiplikatoren-Prinzip", Initiativen und Personen, die aufklärende Positionen im Internet einnehmen, müssten einflussreicher werden.

Viele Betroffene leiden enorm unter Übergriffen in sozialen Netzwerken. So etwas könne Stress und Selbstzweifel auslösen, Depressionen und gravierende Probleme im Umfeld, so wird es im dritten Forum "Beratung im Netz. Auswirkungen rechter Angriffe und Handlungsoptionen für Betroffene" von verschiedenen Seiten geschildert. Juliane Pink und Matthias Groß, beide betreuen die Onlineberatung für rechte und rassitischer Gewalt der RAA Sachsen, berichten, dass besonders häufig migrantisch und weiblich gelesene Personen das Ziel digitaler Shitstorms seien. "Hate Speech führt, das ist unsere Beobachtung, zu realen Angriffen und Bedrohungen", sagt Juliane Pink. "Es ist eine laute Minderheit, die es schafft, den Diskurs zu bestimmen." Sie berichten vom Fall eines kurdischen Jugendlichen in Dresden, der an einem Überfall beteiligt war. Obwohl er von der Polizei zeitnah als Täter ermittelt worden sei, mit entsprechenden Konsequenzen, sei von rechten Akteuren eine Hass-Kampagne gegen ihn und seine Familie losgetreten worden. Dabei wurden auch Adressen und Telefonnummern veröffentlicht. Die Familie sei wegen der Bedrohung schließlich weggezogen. Die RAA-Mitarbeiter geben zahlreiche Handlungsmöglichkeiten für Betroffene von Hate Speech. Ein Tipp: "Man sollte Betroffene fragen, wie es ihnen geht. Das kann Wunder bewirken", sagt Juliane Pink. "Und fragen, was sie brauchen. Manche möchten erst mal Ruhe." Für andere sei es hilfreich, durch Counterspeech und Lovestorms eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Auch Nih Le, Journalistin, Moderatorin und selbst aktiv in sozialen Netzwerken, hat Attacken im Netz erlebt. "Man wird immer dafür angegriffen, was man ist", sagte sie. "Zum Beispiel, weil man eine Frau, eine Journalistin oder ein nicht-weißer Mensch ist." Wichtig sei, den Hass im Netz nicht kleinzureden. "Von wegen, das sei doch nur im Internet so. Aber das stimmt nicht. Denn das Internet ist nur der Ort, wo sich der Hass entlädt, aber er kommt aus der Gesellschaft."

Unbürokratische Vernetzung

Es gibt bereits allerhand Initiativen und Projekte, die Aufklärung über Hate Speech und Hilfestellungen anbieten. Einige davon werden beim vierten Forum "Kompetent im Netz. Bildungsangebote gegen Hate Speech in Sachsen" vorgestellt, etwa das SAEK Medienkompetenzzentrum für Sachsen, die John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie und der Bildungsanbieter KF Educations. Im Workshop suchen Pädagogen Praxistipps für den Unterricht an Schulen. Eine Lehrerin schildert, dass nicht mangelnde Angebote ein Problem seien, eher die Auswahl der vorhandenen. "Für uns scheiterte es oft daran, aus der Fülle an Materialien das Richtige auszuwählen", sagt sie. "Ich würde mir eine unbürokratische Vernetzung wünschen, das würde uns an der Basis sehr helfen." Vertreterinnen und Vertreter von Projekten bestätigen, dass die Vernetzung zwischen Akteuren ausbaufähig sei. Es brauche eine langfristige und zuverlässige Zusammenarbeit mit entsprechenden Anlaufstellen sowie eine verlässliche Finanzierung. Es gäbe bereits etliche gute Projekte zum Thema in Sachsen und darüber hinaus, sagt der Mitarbeiter eines Medienvereins. "Aber die Vernetzung ist noch nicht so systematisch und nachhaltig, wie es sein sollte." 

Der Online-Fachtag hat bei diesem Wunsch geholfen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich und eine Vielzahl von Angeboten kennengelernt; der Erfahrungsaustausch war nützlich, das ist eine Bilanz am Ende des Tages. Eine zweite lautet, dass es weiterhin in allen Bereichen von Bildung, Beratung, digitaler Zivilcourage und Strafverfolgung Handlungsbedarf gibt, um Hass im Netz wirkungsvoll und präventiv zu begegenen sowie um Betroffene angemessen zu unterstützen. Die zentrale Bilanz des Fachtags ist, dass sich wesentliche Akteure in Sachsen vernetzten konnten und das gemeinsame Ziel, sich gegen gegen Hass im Netz weiter zu engagieren, auch zukünftig voranbringen wollen.

Sonderseite "Gegen Hass im Netz"