Kurzfilme sind populär: Sie reichen von Werbe- und Musikvideoclips bis hin zu abstrakter Animation. Die Möglichkeiten, politische Themen in Kurzfilmen umzusetzen, sind vielfältig und aufgrund der geringeren Vorlaufzeit kann der Kurzfilm schnell, experimentell und kreativ auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen reagieren. Sie durchdringen ihr Thema, sie reflektieren, sie bilden ab und suchen dabei immer auch neue Ausdrucksformen. Ein Kurzfilm kann – ähnlich wie eine Kurzgeschichte – nicht auserzählen, aber anregen.

Der Filmpreis „Voll politisch“ honorierte 2022 zum zweiten Mal den Film, der den Perspektivwechsel wagt und eine kritische und kontroverse Sicht auf ein politisches Thema ermöglicht. Er regt das Publikum an, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, zu diskutieren und aktiv zu werden.

Der Filmpreis findet im Rahmen des Filmfestes Dresden statt. Das FILMFEST DRESDEN ist eine international anerkannte Plattform für Kurzfilme. Entstanden ist es im Jahr 1989 noch vor dem Fall der Mauer aus einem Akt der Opposition heraus, Filme zeigen zu können, die in der DDR verboten waren. Seitdem wächst das Festival und hat sich eine Reputation erarbeitet als Drehscheibe und Netzwerkmöglichkeit für Filmschaffende aus aller Welt und als ein Filmfest, das den Anspruch vertritt, politisch und gesellschaftlich relevanten Themen Raum zu geben.

Die Kriterien des Preises

Der Preis zeichnet die filmische und inhaltliche Umsetzung eines politischen/gesellschaftlichen Themas mit Blick auf die Grundsätze der politischen Bildung/des Beutelsbacher Konsens aus:

  • Multiperspektivität: Das Thema des Films stellt möglichst unterschiedliche Aspekte eines politischen Themas dar.
  • Informationsvermittlung: Der Film informiert sein Publikum sachlich und inhaltlich korrekt und eröffnet dem Publikum eine neue Perspektive auf das Thema.
  • Selbstbefähigung: Das Publikum wird angeregt, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, sich weiterführend zu informieren oder sich zu engagieren.

Gewinner und Preisverleihung am 9. April 2022

„Ein Zimmer, wie es überall sein könnte. Darin eine künstlerische Versuchsanordnung, die von den Grausamkeiten während der Massenverhaftungen 2020 bei Demonstrationen in Belarus erzählt. Der Film erscheint wie ein Trainings-Handbuch für das System der Folter. Mit beeindruckend wenigen filmischen Mitteln verfremdet Pavel Mozhar das Unterdrückungssystem Lukaschenkos. Ein Film, der unter die Haut geht“, lautete das Urteil der Jury.

Der mit 3.000 Euro dotierte Filmpreis „Voll politisch“, der im Rahmen des Filmfests Dresden vergeben wurde, ging 2022 an den Kurzfilm „Handbook/Handbuch“ von Pavel Mozhar. Der 1987 in Minsk geborene und seit 1997 in Berlin lebende Regiestudent fand für seinen Dokumentarfilm eine ungewöhnliche Form. Er ließ Sprecher:innen die Aussagen von Männern und Frauen aus Belarus vortragen, die 2020 verhaftet wurden und später die in der Haft erlebten Folterungen und Demütigungen schilderten. Die Berichte kombiniert er mit auf nüchtern-sachliche Art nachgestellten Szenen der Gewalt, gefilmt in einem leergeräumten Zimmer seiner Berliner Wohnung. Insgesamt sichtete Pavel Mozhar für seinen Film rund 220 Interviews von Betroffenen und Augenzeugen der Verhaftungen.

Fünf Kurzfilme standen 2022 auf der Shortlist für den Filmpreis „Voll politisch“, der am 9. April in der Schauburg vergeben wurde. Die diesjährigen Jury-Mitglieder waren der Regisseur Arkadij Khaet („Masel Tov Cocktail“, „Alina im Wunderland“, „Scheideweg“ u.a.), Filmemacherin Sabine Michel („Ostpolitikerinnen“, „Montags in Dresden“, „Zonenmädchen“ u.a.) und Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Neben der Preisvergabe an „Handbook/Handbuch“ sprach die Jury eine lobende Erwähnung für den Film „Kirschknochen“ von Evgenia Gostrer aus: „Nah, persönlich, warm wird der Fluss einer Migration auf die Leinwand geknetet“, so die Jurymitglieder über den autobiographischen Animationsfilm. Evgenia Gostrer erzählt im filmischen Dialog mit ihren Eltern die Geschichte der Emigration der Familie aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und beleuchtet die Situation der sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlinge in den 1990er Jahren.

Die Vorjury des Preises 2022

Vier Filmbegeisterte wurden von der SLpB ernannt und haben eine Vorauswahl politisch interessanter Filme aus allen Wettbewerbsbeiträgen des Filmfest Dresden getroffen. Den Gewinner des Filmpreises „voll politisch“ wählt die Hauptjury aus.

Joachim Amm

mag besonders gern alte Filmklassiker und Actionfilme, ist aber auch bei neuen Produktionen stets interessiert und neugierig. Er ist Publikationsreferent bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Leah Strobel

Leah Strobel liebt Werke, in denen aktuelle gesellschaftliche oder politische Themen verarbeitet werden. Sie schreibt für den Dresdner Blog Kulturgeflüster über Theater und Literatur und  bloggt auf Instagram über Bücher.  Derzeit  absolviert sie ihr FSJ Politik bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Elisabeth van Stiphout

Elisabeth van Stiphout liebt Filme und Bildende Kunst insgesamt. In der Politik geht es ihr besonders um die gesellschaftliche Integration aller. Sie arbeitet im Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung im Denkmalschutz.

Diaa Soliman

Diaa Soliman ist ein ägyptischer Autor und Filmemacher. Seit 2013 lebt er in Dresden und hat 2016 das Filmfestival "South Film Days" initiiert. Am Filmfest Dresden hat er 2018 mit seiner ersten Dokumentation "BIRD" teilgenommen.

Die Hauptjury des Preises 2022

Dr. Roland Löffler

leitet seit September 2017 die Landeszentrale. Er studierte Evangelische Theologie in Tübingen, Berlin, Cambridge und Marburg, wo er auch als Wissenschaftlicher Mitarbeiter forschte, lehrte und promovierte. Nach einer Zeit als freiberuflicher Journalist, einem Vikariat bei der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und einer Gastprofessur an der Universität Montréal war er von 2007-2016 für die Herbert Quandt-Stiftung tätig. 2017 arbeitete er als Geschäftsführer der Stiftung Westfalen-Initiative in Münster.

Zu seinen Arbeitsschwerpunkten und Publikationen der letzten 15 Jahren zählen Themen wie Integration und interkulturelle Bildung, der Nahe Osten, Herausforderungen der Bürgergesellschaft, Zukunft ländlicher Räume sowie die politische Kultur in den neuen Bundesländern. In diesem Zusammenhang leitete er einige Jahre Projekte in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen. Desweiteren engagiert er sich in mehreren Stiftungen und Gremien sowie für die deutsch-nordeuropäischen und  die deutsch-polnischen Beziehungen. Roland Löffler ist parteilos, verheiratet und hat zwei Kinder. Er mag Sport, Wein, Theater, klassische Musik und Jazz.

Sabine Michel

geboren in Dresden, geht sie 1990 – mit dem letzten Ost-Abitur – nach Paris. Nach einem Studium der Angewandten Theaterwissenschaft, studiert sie Filmregie in Potsdam/Babelsberg. Ihr Kurzfilm HINTEN SCHEISST DIE ENTE führt als Publikumserfolg (u.a. Publikumspreis beim FILMFEST DRESDEN) zu ihrem ersten Langspielfilm NIMM DIR DEIN LEBEN, 2005. Seitdem arbeitet die Adolf-Grimme-Preisträgerin für Kino und Fernsehen und am Theater – sie porträtierte die Schauspielerin Corinna Harfouch, die Fotografin Sibylle Bergemann und erzählt in ZONENMÄDCHEN von ihrer eigenen Generation. In ihrem vielbesprochenen Film MONTAGS IN DRESDEN begleitet sie drei Menschen, die zu Pegida gehen. 2020 erscheint ihr erstes Buch "Die anderen Leben – Generationengespräche Ost" im be.bra Verlag. Im Herbst 2021 wird ihr Beitrag für die neue ARD-Reihe HER-STORY – GESCHICHTE IM ERSTEN ausgestrahlt: DER MAUERFALL UND DIE FRAUEN. Sabine Michel ist verheiratet und hat mit ihrem Mann vier Kinder.

Arkadji Khaet

wurde 1991 in Moldawien geboren. Wenige Monate alt immigrierte er mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Ende seiner Schulzeit  verließ er das Ruhrgebiet und lebte er für eine Zeit in Israel. Im Anschluss absolvierte er den B.A. - Film und Fernsehen in Köln. Während der Studienzeit in Köln begann er eigene Filme zu realisieren.

Es folgte freischaffende Tätigkeit für den WDR und seit 2016 belegt Khaet den Diplomstudiengang Spielfilmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Er ist Stipendiat der jüdischen Begabtenförderung, des Ernst-Ludwig Ehrlich Studienwerkes und Teil des Programmkollektivs des Jüdischen Filmfestivals Berlin|Brandenburg. Seine Filme liefen auf zahlreichen Festivals weltweit und wurden mehrfach ausgezeichnet. Sein letzter Film MASEL TOV COCKTAIL erhielt  den 57. Grimme Preis und den Filmförderpreis des Filmfest Dresden.