Rechtliche Unsicherheiten für Vertragsarbeiter nach der Friedlichen Revolution
Im Zuge der Friedlichen Revolution begann für die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter in der DDR und dann im vereinten Deutschland eine lange Zeit der Ungewissheit. Schon Anfang 1990 stornierte die DDR-Regierung vertraglich vereinbarte Einreisen für das laufende Jahr.
Außerdem führten wirtschaftliche Probleme zu einer großen Welle von Entlassungen in den Betrieben, von welchen die Vertragsarbeiter zuerst und besonders massiv betroffen waren.
Begriff und Herkunft der Vertragsarbeiter
Migrantische Arbeitskräfte - ausländische Werktätige - reisten bereits in den 1960er Jahren aus Polen, Ungarn, Kuba, Mosambik und Vietnam in die DDR ein. Grundlage waren jeweils bilaterale Abkommen mit sozialistischen Bruderländern. Diese wurden zu bilateralen Verträgen über Anwerbeabkommen, die “zeitweilige Beschäftigung ausländischer Werktätiger”, spezifiziert: 1963 (1966; 1971) mit Polen, 1967 mit Ungarn, Algerien (1974), Kuba (1975), Mosambik (1979), Vietnam (1980) und Angola (1984). Weitere Arbeitskräfte kamen aus Mongolei, China und Nordkorea. Die aufgrund dieser Verträge eingereisten Arbeitskräfte wurden Vertragsarbeiter genannt. Sie sollten für die Dauer von fünf Jahren in der DDR bleiben und dann zurückkehren, eine Verlängerung war aber bei Bedarf möglich.
Folgen der Wiedervereinigung für Vertragsarbeiter
Während der Friedlichen Revolution lebten 90.000 Vertragsarbeitende in der DDR. Im Mai 1990 waren bereits 60% der entlassen. Die meisten Menschen verließen Deutschland zurück in ihre Herkunftsländer, was neben der unsicheren Arbeitslage auch eine Reaktion auf die stärker werdende offen gezeigte gewaltvolle Fremdenfeindlichkeit war.
Im Einigungsvertrag wurde nicht festgelegt, welchen Aufenthaltstitel die Vertragsarbeitende bekommen würden. Das führte zu einem ständigen Kampf um die Verlängerung der Aufenthaltstitel für die, die in Deutschland bleiben wollten.
Im März 1993 hatte sich die Zahl auf 15.000 reduziert. Davon befanden sich in Sachsen insgesamt 7.317 ehemalige Vertragsarbeitende, 6.753 aus Vietnam, 135 aus Angola und 429 aus Mosambik.
Durch die Initiative der Ausländerbeauftragten der neuen Bundesländer und unter Federführung der ehemaligen Ausländerbeauftragten der DDR (Almuth Berger) wurden 1993 dann erste Regelungen definiert. Die Voraussetzung für einen Aufenthaltstitel war nun unter anderem der Nachweis zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern war dies kaum zu leisten. Außerdem wurden die Aufenthaltsgenehmigungen weiterhin nur befristet vergeben und mussten alle zwei Jahre erneuert werden. Die vergangene Aufenthaltsdauer in der DDR wurde für eine eventuelle unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nicht gezählt.
Selbstständigkeit als Überlebensstrategie
Diese Regelungen zum Aufenthaltstitel führten dazu, dass viele Menschen unter dem Druck standen, sich selbstständig zu machen, da dies fast die einzige Chance auf finanzielle Absicherung darstellte. Dies galt insbesondere für große Teile der vietnamesischen Community.
Unter den ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitenden haben sich viele mit kleinen Imbiss- und Blumenläden selbstständig gemacht, oder waren im Reisegewerbe aktiv. Es kam jedoch auch zum illegalen Handel, beispielsweise mit Zigaretten. Diese “Schwarzmarktgeschäfte” führten zu einem negativen Image für Menschen vietnamesischer Herkunft, obwohl nur eine kleine Anzahl diesen illegalen Geschäften nachging. Die überwiegende Mehrheit versuchte mit ihren kleinen Läden zu überleben, was im Alltag überlange Arbeitszeiten an sieben Tagen die Woche, familiäre Einbindung und selbstausbeuterische Bedingungen bedeutete.
Die Zeit nach der Friedlichen Revolution wird in der vietnamesischen Community unterschiedlich bewertet. Nach den strengen und festen Regeln der Arbeitsverträge in der DDR konnte nun frei und kreativ über die eigenen Geschäfte entschieden werden. In den neuen Bundesländern gab es außerdem einen großen Nachholbedarf verschiedener Güter aus dem Westen. Durch inoffiziellen Handel schon zu DDR-Zeiten zwischen Vietnamesen aus Ost und West - in der Bundesrepublik lebten Geflüchtete aus Südvietnam ("Boatpeople") - gab es auch durchaus Möglichkeiten, diese Umbruchszeit zu nutzen.
Verbessertes Bleiberecht für ehemalige Vertragsarbeitende ab 1997
1997 kam es im Zuge des neuen Ausländergesetzes zum Inkrafttreten der Bleiberechtsregelung. Im Juli 1997 konnten erstmals unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen beantragt werden. Die Innenminister der Bundesländer beschlossen, den ehemaligen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern aus Vietnam, die Arbeit hatten und straffrei waren, ein Daueraufenthaltsrecht zuzusprechen. Eine längerfristige Lebensplanung war nun möglich und eventuellen Arbeitgebern gegenüber konnte ein unbefristeter Aufenthaltstitel vorgewiesen werden. Außerdem konnte nun erstmals der Anspruch auf Eltern- und Kindergeld erhoben werden.
Quellen und weiterführende Links:
- Rehder, M. (2013): Zwischen zwei Welten: Vietnamesische VertragsarbeiterInnen in Rostock. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades Master of Arts an der Universität Tübingen im Fach Geschichtswissenschaften.
- Alexander Krahmer, Annegret Haase, Dominik Intelmann (2020): Projektbericht 2, Fallstudie Leipzig - Migrationsbezogene Konflikte und institutioneller Wandel in Leipzig - – mit einem Anhang zur lokalen Migrationsgeschichte (seit 1990), Helmholzzentrum für Umweltforschung.
- Sandig, Heiner (1993): Mit Fremden Leben lernen: Erster Jahresbericht des sächsischen Ausländerbeauftragten. Sächsischer Landtag 1. Wahlperiode; Drucksache 1/3662.
- Weiss, Karin (2021): Zwischen Rückkehr in die Heimatländer und Existenzsicherung vor Ort - Die Situation vietnamesischer Vertragsarbeiter 1989/90, Bundeszentrale für politische Bildung, 2021
- Rabenschlag, Ann-Judith (2023): Arbeitsmigranten in der DDR. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen. Erfurt. 15-18.
- Podcast der Zeit „Rice and Shine“
- Bundeszentrale für politische Bildung: Zwischen Rückkehr in die Heimatländer und Existenzsicherung vor OrtDie Situation vietnamesischer Vertragsarbeiter 1989/90
- Deutschlandfunk Kultur: Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR - Getäuscht, ausgenutzt – und nicht entschädigt
- Bundeszentrale für politische Bildung: Arbeiten im BruderlandArbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung
- DOMiD | Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland: „Vertragsarbeiter“ in der DDR