Zwischen Rebellion und Repression - das Jahr 1968 in der DDR

Am 5. Mai kamen viele Interessierte jeden Alters in die Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde in Chemnitz. Die Veranstaltung im Rahmen der Museumsnacht und in Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung thematisierte die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) während des Prager Frühlings.

Die Teilnehmer konnten in geschwärzten Originalakten lesen, wie das MfS Bürger verfolgte, verhörte und schließlich anklagte - eine Solidaritätsbekundung mit den östlichen Nachbarn reichte für einen Anfangsverdacht, oder sogar eine Verurteilung, aus. Weiterhin wurden Führungen durch das Archiv angeboten. Hier wird die monströse Sammelwut der Stasi verwaltet und veranschaulicht den Wahnsinn staatlicher Überwachung: Alleine 2,3 Millionen Karteikarten lagern hier.

Prof. Daniela Münkel von der Stasi-Unterlagenbehörde hielt einen Impulsvortrag über die Aktivitäten der Stasi im Jahr 1968. Die SED-Führung beäugte die Entwicklungen in der CSSR argwöhnisch und sah darin eine, vom Westen gesteuerte, Konterrevolution. Dementsprechend nervös war die Reaktion auf vereinzelte Solidaritätsbekundungen von DDR-Bürgern mit den tschechoslowakischen Nachbarn. Verglichen mit anderen Ländern in West- und Osteuropa, war der Unmut der Bürger gering. Vor allem junge Menschen protestierten, indem sie den Namen von Alexander Dubček (damaliger Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten) an Hauswände malten und Kantinenessen, aufgrund schlechter Qualität, verweigerten. Die Aktionen reichten sogar bis Sabotage in Betrieben.

Die Gründe für diese partielle Rebellion waren besonders persönlichen und geographischen Umständen geschuldet: Gerade in Sachsen entlang der Grenze mit der Tschechoslowakei waren die Beziehungen zwischen Bürgern beider Staaten freundschaftlich. Die Stasi verhaftete viele Bürger, die teils drakonisch mit Zuchthaus bestraft wurden. Die unter 20-jährigen wurden Ende 1968 amnestiert. Das war eine durchaus signifikante Gruppe - immerhin zwei Drittel der, im Zuge der Proteste, Inhaftierten waren unter 25 Jahren alt.

Die Auswirkungen der „68er“-Bewegung in West- und Osteuropa vollzogen sich eher auf kultureller Ebene als in politisch-ideologischer Gestalt. Diesen Eindruck teilen auch „Salli“ Sallmann und Utz Rachowski. Der rbb-Radioredakteur und der Schriftsteller diskutierten in einem Zeitzeugengespräch über den Sommer 1968 und ihre ganz persönlichen Eindrücke.

Die Blütezeit des Prager Frühlings und den Einmarsch von Soldaten des Warschauer Paktes, erlebten sie als Jugendliche. Beide wollten zu dieser Zeit in die FDJ eintreten, hatten jedoch eine eigene Vorstellung darüber, wie der Sozialismus umgesetzt werden sollte. Das Programm des deutschsprachigen Senders „Radio Prag“ sei hierbei eine Art Offenbarung gewesen, so Sallmann. Dort wurde über die aktuellen Entwicklungen in der CSSR berichtet. Über das Ende der Zensur und die neugegründeten Arbeiterräte. Blaupausen eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ und Visionen für eine Reform des selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaates.

Rachowski warf ein, dass zu dieser Zeit auch eine neue DDR-Verfassung ausgearbeitet wurde und man natürlich aus Westdeutschland und Frankreich von den dortigen Protesten hörte. Wenn es auch keine Massenbewegung war, merkte man, dass sich etwas tut. Er las einige Seiten aus seinem Buch „Beide Sommer“ vor: Seine Erinnerungen an den 20. August 1968. Die sowjetischen Panzer fuhren auf und machten sich bereit aus dem Vogtland in die Tschechoslowakei einzumaschieren. Rachowski sah dem Treiben perplex zu, während sein älterer Bruder sich mit seinem Moped den Panzern entgegenstellte. Daheim angekommen erzählte er seiner Oma von den Vorfällen. Sie wurde kreidebleich und wirkte wie versteinert. Für ihn fühlte sich dieser Tag an, wie der letzte seiner Kindheit.

Auch haben beide die sowjetischen Soldaten, die in der DDR stationiert waren, vor dem Einmarsch kennengelernt. Mal wurde Schnaps gegen leere Patronenhülsen getauscht oder ein paar Takte miteinander geredet. Sallmann berichtete, dass er nach dem Einmarsch einen „leisen“ Protest in der Schule durchführte und im Russischunterricht schwieg. Spontan meldete sich ein Gast zu Wort und erzählte aus seiner Zeit bei der NVA. Er sei 1968 in Sachsen stationiert gewesen und hatte mit seiner Truppe Marschbefehl nach Tschechien erhalten. Rund 20 Kilometer vor der Grenze seien sie dann von sowjetischen Soldaten angehalten worden und durften nicht weiterfahren. Er sehe das im Nachhinein als absoluten Glücksfall, da die Situation sehr gefährlich war.