Wirtschaftswunder und Nahostkonflikt: Mittler der politischen Bildung aus Sachsen erleben Israel intensiv

Eine Fabrik für Trinkwassersprudler als Insel des Friedens für Juden und Araber, eine Wüstenstadt mit 3000 Hightech-Jobs, Likud-Politiker und palästinensischer Unternehmer im Kreuzverhör: Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung hat erstmals eine Vertiefungsreise nach Israel organisiert, die auch nach Palästina führte.

Rund 25 Mittler der politischen Bildung aus ganz Sachsen – Lehrerinnen, Journalisten, Professoren, Bürgermeister und Wirtschaftsvertreterinnen - waren gemeinsam mit Direktor Dr. Roland Löffler und Referentin Ute Kluge unterwegs im Nahen Osten. Im Februar dieses Jahres absolvierten sie ein einwöchiges Intensiv-Programm mit den Schwerpunkten Medien, Wirtschaft, Migration und Nahostkonflikt jenseits von Pilgertourismus und Wellness am Toten Meer.

In Tel Aviv traf die Gruppe die Medienwissenschaftlerin Gisela Dachs und die Migrationsexpertin Karin Amit, die Israel als Mosaikgesellschaft mit einem Nebeneinander der Kulturen beschrieben - ein Land mit neun Millionen Einwohnern, drei Viertel von ihnen Juden, über 20 Prozent Araber. In der erst vor gut 100 Jahren am Mittelmeerstrand gegründeten Stadt des Bauhaus und der Wolkenkratzer erlebten die Besucher eindrucksvoll, was jüdische Einwanderer und ihre Nachkommen aufgebaut haben. Der Spiegel-Journalist Alexander Osang gewährte gemeinsam mit seiner Ehefrau Anja Reich-Osang sehr persönliche Einblicke in ihre Arbeit als Auslandskorrespondenten. Er erzählte von den Erwartungen der Heimatredaktion in Deutschland an die Berichterstattung. Diese beruhten auf einem klaren Israel-Bild: „Das ist polarisierend und sehr auf den Nahostkonflikt beschränkt.“

Im Studio des Armeeradios Galei Zahal wurde deutlich, welche herausragende Rolle die Armee in Israel spielt. Die Wehrpflicht für Frauen beträgt hier zwei und für Männer drei Jahre. Beim Militär wird die  heranwachsende Generation geformt, hier werden Talente entdeckt und gezielt ausgebildet, hier entstehen Ideen für Startups als Grundlage des israelischen Wirtschaftswunders. Zwei relevante Gruppen der Gesellschaft, die nicht der Wehrpflicht unterliegen, sind davon jedoch ausgeschlossen: Orthodoxe Juden aus religiösen Gründen und israelische Araber, denen ein freiwilliger Dienst in der Armee offensteht, der aber nur von wenigen wahrgenommen wird.

In der Region um Be’er Scheva zeigten sich die starken Kontraste innerhalb der israelischen Gesellschaft: Im Kibbuz Hatzerim leben noch immer 1.000 Menschen nach dem sozialistischen Ideal „Jedem nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. Dort produziert die Firma Netafim, der Weltmarktführer für Tröpfchenbewässerung. Die Ben-Gurion-Universität in der Großstadt an der Negev-Wüste mit aktuell 20.000 Studenten und 6.500 Angestellten ist die am schnellsten wachsende Uni Israels. Innerhalb der letzten sechs Jahre entstanden hier 3.000 Hightech-Jobs.

Be’er Scheva verändert sich in atemberaubendem Tempo. Die nahe Kleinstadt Rahat hingegen, in der Beduinen, die einstigen Nomaden der Negev-Wüste, sesshaft gemacht wurden, ist eine rein arabische Exklave. Hier gibt es wenig Jobs, wie Jamal Alkirnawi, Gründer einer örtlichen NGO, beklagte, kaum Austausch mit jüdischen Israelis, ein segregiertes Bildungssystem – und trotzdem Hoffnung. Eine 41-jährige Beduinin, Mutter von acht Kindern, beschrieb, wie sie sich gegen den Widerstand von Teilen ihrer Großfamilie erfolgreich als Kleinunternehmerin mit der Herstellung von Kosmetikprodukten selbstständig machte.

In Jerusalem und Umgebung prallten die Gegensätze schließlich hart aufeinander. Der Likud-Politiker Ariel Bulshtein, Sonderberater im Büro von Premier Benjamin Netanjahu, beschrieb, wie die Einwanderung von einer Million russischsprachiger Juden nach dem Ende des Kalten Krieges die israelische Gesellschaft und die politischen Mehrheiten im Land veränderten. Über 80 Prozent der Juden aus der ehemaligen Sowjetunion seien „rechts bis sehr rechts“, behauptete Bulshtein. Die seit Jahrzehnten bestehende internationale Forderung nach Rückzug Israels auf die Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 wies er klar zurück. Man müsse alles Land behalten und verteidigen „bis die Araber das akzeptieren“. Der linksliberale Journalist Ofer Waldman, der lange in Deutschland lebte, sah indes in einer Zweistaatenlösung und der Gleichberechtigung aller Bürger (die arabische Bevölkerung des annektierten Ostjerusalems besitzt bis heute keine israelische Staatsbürgerschaft) den einzigen Weg zum Frieden. „Ich will, dass Israel ein jüdisch-demokratischer Staat bleibt“, sagte er.

Bei einem Besuch in Ramallah im Westjordanland, jenseits der bis zu acht Meter hohen Sperrmauer, traf die Gruppe aus Sachsen unter anderen den amerikanisch-palästinensischen Unternehmer Sam Bahour. Er berichtete von Handelsrestriktionen Israels, das den kompletten Warenstrom in die Palästinensergebiete und die Zolleinnahmen kontrolliert. Als Beispiel nannte er die Einfuhr von Telekommunikationstechnik für das palästinensische Mobilfunknetz, deren Zollabfertigung zwei Jahre dauerte, während dieselbe Technik für eine israelische Firma binnen weniger Wochen vom Zoll freigegeben worden sei. Mit der Einstufung der Bewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) durch Deutschland als antisemitische Organisation, so kritisierte Bahour, werde den Palästinensern ein Instrument des friedlichen Widerstands genommen. Im Mai 2019 hatte der Deutsche Bundestag in einem Beschluss mehrheitlich erklärt, Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung seien antisemitisch, weil ein allumfassender Boykottaufruf in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes führe. „Don’t Buy“-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten weckten Assoziationen zu der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!“.

So blieb am Ende der Reise ein sehr widersprüchliches Bild: Auf der einen Seite ein Land mit demokratischen Strukturen und boomender Wirtschaft, das im Weltglücksbericht der Vereinten Nationen unter den Top 20 rangiert, auf der anderen Seite eine segregierte, extrem polarisierte Gesellschaft, der es heute vor allem an einem fehlt: am Dialog. Der Austausch zwischen Israelis und Palästinensern findet heute kaum mehr statt, zu diesem Schluss kam auch SLpB-Direktor Roland Löffler – der zwischen Juden und Arabern allerdings sehr wohl.

Oliver Hach ist Redakteur bei der Freien Presse und dort stellvertretender Leiter des Ressorts Recherche