"Wir dürfen Konflikten nicht ausweichen"

Hoyerswerda erinnerte mit einem Gedenkwochenende an rechte Gewalt 1991.

Die fremdenfeindliche, rechte Gewalt 1991 in Hoyerswerda bleibt Teil der historischen Erinnerung. Sie ist Mahnung, Zeichen politischer Fernwirkung sowie politischer Folgen und Konsequenzen. Dies unterstrich Dr. Roland Löffler, Direktor der SLpB, in seinem Impulsvortrag zum Auftakt des dreitägigen Gedenkwochenendes "Hoyerswerda 1991: Erinnerungen.Einsichten.Perspektiven". Die Veranstaltung am Freitag, dem 17. September 2021, in der Lausitzhalle war zugleich Eröffnung der Interkulturellen Woche im Landkreis Bautzen. Mit Zeitzeugen-Foren, mit der Foto-Ausstellung "Wir waren Kollegen", mit der chronologischen Ausstellung "Herbst ´91", mit dem kritischen historischen Stadtrundgang vom Bahnhof zum Lausitzer Platz, mit dem Gottesdienst "Meines Bruders Hüter sein" und mit einer Buchlesung erinnerte Hoyerswerda an die Ereignisse. Erstmals trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der von rechter Gewalt 1991-1993 betroffenen Städte Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen. Sie konnten ihre Erfahrungen und Perspektiven austauschen.

Explosive gesellschaftliche Mischung

"Bereits vor 1991 gab es in Hoyerswerda eine kleine rechte Szene. Die Gewaltbereitschaft 1989-1991 stieg deutlich. Bereits am 1. Mai 1990 gab es erste Ausschreitungen", erläuterte Roland Löffler. "Die pogromartigen Ausschreitungen vom 17. bis 29. September 1991 wurzelten in einer explosiven gesellschaftlichen Mischung." Zum Ende gab es 32 Verletzte, 124 Festgenommene, 20 von Gerichten verurteilte Täter und später sogar zwei junge Todesopfer. "Meine Erfahrung mit Rassismus begann bereits bei meiner Ankunft 1979. Es gab nicht viele Möglichkeiten einzuschreiten. Die beste Strategie war: keine Beachtung schenken", schilderte David Macou in der Podiumsdiskussion "Aus meiner Sicht".

1979 bis 1991 war er Schlosser im Volkseigenen Braunkohlenkombinat Senftenberg. Er gehörte 1979 zu den ersten in Hoyerswerda einquartierten mosambikanischen Vertragsarbeiterinnen und -arbeitern. Über deren Umstände war wenig bekannt. Sie erhielten nur 40 Prozent ihres Lohns ausgezahlt. 60 Prozent gingen an den Staat DDR. Der Staat Mosambik verrechnete damit seine Schulden an die DDR. Eine faire, gerechte Entschädigung der so Beschäftigten fehlt bis heute. Der Staat Mosambik und die BRD zeigen sich nicht verantwortlich. "Unsere Kollegen in Hoyerswerda dachten, wir sind privilegiert. Sie wussten nichts von unserer wirklichen Lage", sagte David Macou. Seit 1992 demonstriert er jetzt jeden Mittwoch in der Heimat Maputo für faire Entschädigung.

Nie wieder nach Hoyerswerda

Einige der früheren Vertragsarbeitenden sind bereits gestorben. Andere sind ohne Arbeit, sie leben am Existenzminimum. In Mosambik gelten sie als "Madgermans", als privilegierte Deutsche. David Macou wünscht sich eine faire Entschädigung. Die Bundesrepublik sollte Verantwortung zeigen. David Macou wünscht sich auch Erleichterungen für die Visa-Erteilung. Das wäre wichtig, damit sich Familien der früheren Vertragsarbeiter besuchen können. Denn oft leben die Eltern in Mosambik, die Kinder in Deutschland, erläuterte er. "Der Staat Mosambik hat damals seine Menschen geradezu verkauft. Die DDR leistete zwar Entwicklungshilfe. Doch das hatte mit Völkerverständigung nichts zu tun. Es war ein Sklavenvertrag mit Mosambik", sagte Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. "Es ist wichtig, dass die Bundesrepublik heute Verantwortung übernimmt und Entschädigungen zahlt."

Ernesto Rafael Milice lebte seit 1983 in Hoyerswerda. 1991 war er Betreuer der mosambikanischen Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter. "Was wir damals erlebten, war unfassbar", erzählte er in der Podiumsdiskussion. Mit einem Hoyerswerdaer Pfarrer stand er mitten in der von Hass erfüllten Masse. Der Pfarrer fragte die Gewalttätigen: "Glaubt ihr wirklich, dass diese armen Menschen euch eure Existenz wegnehmen?" Schweigen schlug ihm entgegen. Diese Stunden wird Ernesto Rafael Milice nicht vergessen. 42 Jahre lebt er jetzt in Deutschland, heute in Berlin. Er fühlt sich integriert. Er fühlt sich als Bürger dieses Landes. So geht es auch Emmanuel Adu-Ageymann. Der gebürtige Ghanaer lebte 1991 in Hoyerswerda im Asylbewerberheim Thomas-Müntzer-Straße. "Ich bin im November 1990 in Schwalbach bei Frankfurt angekommen", erzählte er. "Zusammen mit anderen Flüchtlingen aus Ghana, Sri Lanka, Nigeria und Angola wurde ich im März 1991 nach Hoyerswerda gebracht, in ein DDR-Hochhaus, in dem auch Deutsche wohnten." Nach den Ausschreitungen wollte er nie wieder nach Hoyerswerda.

"Deutschland hat ein Problem mit Rassismus"

Doch der damalige Oberbürgermeister Horst-Dieter Brähmig (1938-2017) lud ihn 2001 ein. Beide wurden Freunde. Emmanuel Adu-Ageymann konnte vergessen. Heute lebt er mit seiner Frau und den drei Kindern in Darmstadt. Er fühlt sich integriert. Dennoch: "Deutschland hat ein Problem mit Rassismus. Das ist keine Frage des Berufsabschlusses und der Bildung. Es ist eine Frage der Menschlichkeit", sagte Anetta Kahane und unterstrich: "Wir müssen Konflikte aushalten und führen. Wir dürfen nicht wegsehen, nicht ausweichen und unter den Teppich kehren. In Deutschland ist jeder Mensch vor dem Gesetz gleich. Niemand darf diskriminiert werden. Wenn jemand diesen Grundsatz, verankert im Artikel 3 im Grundgesetz, verletzt, dann müssen Staat, Behörden und Bürger reagieren."

Weitere Informationen:

Die Foto-Ausstellung "Wir waren Kollegen" im Lausitz-Center in Hoyerswerda zeigt 15 Porträts früherer mosambikanischer Vertragsarbeiter. Sie ist dort noch bis 3. Oktober zu sehen. Die Fotos stammen vom italienischen Fotografen Aghi, die Texte von der Dokumentarfilmerin Julia Oelkers.

Foto 2 und 3: Julia Oelkers (Dokumentarfilmerin), Aghi (Fotograf) und David Macou (1979-1991 mosambikanischer Vertragsarbeiter in Hoyerswerda) stellten im Lausitz-Center Freitag die Ausstellung „Wir waren Kollegen“ vor. Sie zeigt 15 Porträts früherer mosambikanischer Vertragsarbeiter. Sie ist dort noch bis 3. Oktober zu sehen.

In der Lausitzhalle gab es Freitag nacheinander zwei Podiumsdiskussionen. In der ersten Runde ging es um das Thema „Kommunen in der Verantwortung“. Dr. Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, eröffnete mit einem Impulsvortrag. In der darauffolgenden Diskussion kamen Torsten Ruban-Zeh, Oberbürgermeister der Stadt Hoyerswerda, Anne Wehkamp, seit 2002 Leiterin des Stadtdienstes Integration in Solingen, Stephanie Nelles, Integrationsbeauftragte der Stadt Rostock, seit 2010 Bürgermeister in Mölln zu Wort. Cornelius Pollmer (Süddeutsche Zeitung) moderierte den Abend.