Wie viel Hass muss man ertragen?

Partnerkonferenz der SLpB diskutierte über Toleranz und ihre Grenzen in der Politischen Bildung

Das mahnend-ironische Jahresmotto „Nu is aber gudd! Hat Toleranz Grenzen?“ weist auf eine Entwicklung hin, wie sie nicht nur in der Landeszentrale für Politische Bildung stattgefunden hat. Aufgeschreckt durch Pegida und die besorgten oder Wutbürger, entdeckten Politiker und alle, die sich als Träger eines demokratischen Gemeinwesens fühlen konnten, Ende 2014 den Dialog neu. Der einst auf Nicaragua gemünzte Text von Gerhard Schönes Song „Mit dem Gesicht zum Volke“ erschien plötzlich treffender denn je. Auch die Landeszentrale hat sich im geradezu pastoralen Geist ihres ehemaligen Direktors Frank Richter vorbehaltloser denn je allen Wortwilligen geöffnet.

Mittlerweile lehren aber die Erfahrungen, dass ein weiterführender und Gräben überbrückender Dialog nicht mit allen möglich ist. Verständigung gelingt nur auf einem kulturellen Mindestniveau und mit einem Minimum an Rationalität. Empathieversuche schließen außerdem die Betonung fester ethischer und demokratischer Positionen nicht aus, ja setzen sie geradezu voraus.

Voll gestört?! Politische Bildung in Zeiten der Intoleranz

Wenn politische Bildung aber gerade jene erreichen will, die hinsichtlich der Grundwertevermittlung Nachholebedarf haben, gerät sie in ein Dilemma. Allein schon die Verständigung auf einen Grundkonsens und auf respektvolle Austauschformen wird zum Problem. „Bildung, Wissen und Argumentation sind das Gegenteil von Oberflächlichkeit und Intoleranz“ begrüßte der amtierende Landeszentralen-Direktor Werner Rellecke die Teilnehmer der diesjährigen Partnerkonferenz am 8. Juni. Diese Multiplikatoren in den verschiedensten Bildungseinrichtungen sind unmittelbar mit der Verhärtung von Positionen, mit Radikalisierung und Verbitterung konfrontiert. „Voll gestört?! Politische Bildung in Zeiten der Intoleranz“ war die Partnerkonferenz deshalb ganz im gleichen Duktus wie das Jahresmotto überschrieben.

Regeln sind unverzichtbar

Die Prämissen, die Interimsdirektor Rellecke zur Begrüßung aufstellte, nahmen im Grunde schon das Ergebnis vorweg. Die Einhaltung von Regeln sei unentbehrlich, stellte er klar. Insofern seien die Vermittler politischer Bildung zugleich Anwälte und Schiedsrichter, die Grenzen aufzeigen. „Wer gehört werden will, muss auch zuhören“, lautet beispielsweise eine dieser simplen Kommunikationsregeln. Dass der Ton die Musik macht, besagt ein geläufiges Sprichwort. Relleckes Zitat leitete über zu einer drastischen Dokumentation, wie sehr man sich im Ton vergreifen kann. Mitarbeiter der Landeszentrale, die in auffallend großer Zahl nicht nur an der Vorbereitung, sondern auch an der Moderation und Gestaltung der Partnerkonferenz beteiligt waren, sprachen per facebook oder Mail eingegangene Schmähungen nach. Die Vergleiche mit dem Staatsbürgerkundeunterricht der DDR, die Denunziation von Demokratiearbeit als „Volksverdummung“ und „Stiefellecken“, Redewendungen wie „Pegidioten“ oder „linke Ratten“ disqualifizieren die Absender selbst. Sie zeigen aber, mit welcher Verrohung, mit welchen Misstonarten wir es zu tun haben.

Angewandte Psychologie bei der Politikberatung

Intellektuell anspruchsvoll, dennoch kurzweilig und sehr inspirierend erfasste der erste Vortrag die etwa 120 gemeldeten Teilnehmer. Der Potsdamer Psychologe Heiko Sill berät Politiker, Unternehmer und Projektentwickler im Netzwerk „Intelligenz System Transfer“ und tritt im rbb-Hörfunk im Format „Politik auf der Couch“ auf. In der kabarettistischen Aprilscherz-Serie „Wir reden uns um Kopf und Kragen“ der Landeszentrale ist er als Juror seit Jahren Stammgast.

Sill betrieb im besten Sinn angewandte Psychologie und befasste sich mit generellen Problemen der Kommunikation zwischen Bürgern und Politik. Der Begriff „Strafreiz“ kommt aus der Verhaltensforschung und führt schnell zur reichlich strapazierten „Political Corrrectness“. Die Wendung entstammt eigentlich ironischer Selbstkritik der linken Achtundsechziger, erinnerte Sill. Sprachliche Zivilisation als Mittel zur Einhaltung von Tabus wertete der Psychologe an sich nicht ab. Aber mit dem ihm eigenen hintersinnigen Humor machte er sich schon ein wenig lustig über „Euphemismusketten“, die beispielsweise die Mauren zu Negern, Schwarzen, Farbigen und Afroamerikanern oder Asylanten zu Flüchtlingen und schließlich zu Geflüchteten werden lassen. „Es geht in Wahrheit um die Definitionsmacht“, erklärte Sill lächelnd.

Mit solchen Relativierungen und Kontextualisierungen erzielte der Psychologe gleichermaßen Heiterkeits- wie Lernerfolge. Er konstatiert auch, dass Bürger und Politiker heute intensiver im Kontakt stünden als noch vor 20 Jahren, aber auch viel mehr angegriffen würden und auf Umfragen und ein schnelles Medienecho auch hastiger reagieren müssten. Nicht erst seit der Klimaverschärfung aber gelte die Erfah-rung, dass eine lautstarke Minderheit als Mehrheit wahrgenommen wird, die tatsächlichen Akzeptanz- und Vertrauensverhältnisse also verzerrt.

Gewissheiten sind durch Informationen nicht zu erschüttern

Als Heiko Sill dann die Schatzkiste seiner Erfahrungen mit Politikberatung öffnete, musste insbesondere der Journalist eigentlich resignieren. Wir ahnen es nicht erst seit Aufkommen des Schlagworts vom postfaktischen Zeitalter, aber so deutlich hat man es lange nicht gehört: „So genannte Gewissheiten sind durch Informationen nicht zu erschüttern!“ Man rezipiert, was man lesen oder sehen will, selektiert nach Einstellungen. Noch so breit recherchierte Tatsachenberichte laufen ins Leere.

Auf diesem Feld der Emotionen ackern Populisten. Sill schälte einige Merkmale heraus. Sie setzen auf Polarisierung, insbesondere zwischen einer angenommenen Volksbasis und dem Establishment. Eine Abwertung, die zugleich zur Aufwertung der eigenen abgegrenzten Gruppe führen soll. Ziel von Populisten ist nicht die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern der Stimmengewinn. Das Verhalten lässt sich unter die Überschrift „disruptive Innovation“ fassen. Ein Video aus dem Wahlkampf von Donald Trump illustrierte, dass er eigentlich der Anführer einer solchen disruptiven, also zerstörerischen Bewegung ist.

Verächtlichmachung von Verächtern

Es klang fast nach Kapitulation vor Irrationalismus und Emotionalisierung, was der Psychologe den Politikern nahe legte. Dass sie oft umständlich mit Kettensätzen und „Wortdreimastern“ (Schopenhauer) hantieren und oft eine lebendige, modulationsreiche Sprache vermissen lassen, ist in der Tat verbesserungswürdig. Alarmierend wirken eher Erkenntnisse, die zu Sills These „Politiker unterschätzen die Verpackung“ führen. In einem Wahlkampf zählen nur zu sieben Prozent die Inhalte, zu 38 Prozent hingegen wirkt die Stimme, das Aussehen des Kandidaten gar zu 55 Prozent. Und einen Typen, den man nicht nur gehört oder gelesen, sondern auch gesehen hat, merkt man sich ungleich besser.

Dafür kann Politische Bildung aber sensibilisieren, kam Heiko Sill bei den Ratschlägen an. Erklären, dass Inhalt und Zweck durchaus zu trennen sind. Kampfbegriffe und bewusste Provokationen gelte es zu identifizieren. Der Redner schlug vor, die Political Correctness positiv zu besetzen, befreiend im Sinne von Respekt und Kultur zu benutzen und nicht als Korsett zu empfinden. Ähnliches gilt auch für eine positive Emotionalisierung, die nicht unseriös sei, wenn denn rationale Einsichtsvermittlung so folgenschwach bleibt. Also Aktionen mit Erlebnischarakter, eine humorvolle Entlarvung, die „Verächtlichmachung von Verächtern“. (Vortrag Heiko Sill)

Populisten auf Stimmenfang

Politikwissenschaftler Prof. Frank Decker aus Bonn beschäftigte sich als zweiter Referent mit der Frage, ob der Populismus in die politische Bildung einzubinden wäre oder nicht. Er kam nicht gleich zu Wort, weil sich wohlorganisiert, aber für die Teilnehmer überraschend, Volkes Stimme in Person der kabarettistisch begabten Sprachwissenschaftlerin Maxi Krehl erhob. Die Wutbürgerin animierte gar den Saal, suggerierte Ängste und Frust herauszubrüllen. Ein Selbstversuch.

Decker analysierte nach dieser „Störung“ den Populismus als politischen und wissenschaftlichen Kampfbegriff und schilderte seine Ausformungen in den USA und in Europa, speziell in den Niederlanden. Als Ursache für sein verstärktes Auftreten benannte der Professor vor allem eine sozialökonomische Verteilungs- und eine soziokulturelle Identitätskrise. Die Weltfinanzkrise von 2008, Euroskeptizismus, isla-misch motivierter Terror und der Flüchtlingszustrom verschaffen den neuen Propheten vermeintlich gesicherter archaischer Werte Zulauf.

Prof. Decker gab für die Auseinandersetzung mit Populisten einige Empfehlungen, die über die üblichen Bürgeröffnungsappelle hinausgingen. Man solle nicht über alle hingehaltenen Themen-Stöckchen springen, stattdessen besser die Politikunfähigkeit der Verführer entlarven. Ihr Vordringen in den Meinungsmarkt und in öffentliche Institutionen müsse verhindert werden. Es gelte, Große Koalitionen künftig zu vermeiden und Kontraste und politische Alternativen deutlicher abzubilden. Die CDU habe es versäumt, rechte Ränder nach Möglichkeit zu integrieren. Decker warnte davor, kulturelle Differenzen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden, allein auf soziale Probleme zu reduzieren.

Nicht allen gefiel das, und es waren ausgerechnet zwei Lehrer, die dagegen protestierten, dass Populismus mit Intoleranz gleichgesetzt und ausschließlich mit dem rechten Rand in Verbindung gebracht werde. Decker spalte mit der Kategorisierung „die gegen uns“ die Gesellschaft. Der Professor entgegnete, die Spaltung gehe von den Herausforderern, den Beschimpfern aus. (Vortrag Prof. Decker)

Man muss sich nicht alles gefallen lassen

Die abschließende Fishbowl-Diskussion am Zentraltisch untersetzte die Vorträge mit Erfahrungsberichten. Auch mehrere Mitarbeiter der Landeszentrale steuerten solche bei. Viele sind mit Hassausbrüchen konfrontiert, die auch auf die Vermittler emotionalisierend wirken. Auch in kleinsten Tischrunden, die übereinstimmend als die wirksamsten angesehen werden, kommt es zu Fluchten und Gesprächsabbrüchen, weil viele nur ihre Meinung, ihren Frust loswerden wollen. Früher selbstverständliche Grenzen werden dabei verschoben. Das kann überfordern, kann dazu führen, dass man eine Moderatorenrolle verlassen und „klare Kante“ zeigen muss. (Positionen aus der Fishbowl-Diskussion)

„Was muss ich ertragen?“ lautete eine zentrale Frage. Einerseits gilt es, bereitwilligen Diskutanten entgegenzukommen und durch „Einstiegshilfen“ ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Andererseits sind auch bei den Bildungsträgern Gefühle zulässig, nahmen einige für sich in Anspruch. Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Ein Balanceakt, sich nicht in den Turm hehrer Auffassungen zurückzuziehen, keine „Selbst-beweihräucherung“ zu betreiben, nicht zu indoktrinieren, aber dennoch in einer offenen Diskussion notwendige Grenzen zu ziehen. Werner Rellecke warf zum Abschied noch einmal die Frage auf, ob man sich mit seinem Bildungsanspruch in einer elitären Blase bewege und der Gefahr von Nabelschau unterliege. Diese Partnerkonferenz hinterließ jedenfalls nicht den Eindruck. Eines bekräftigte sie aber nochmals: Zur Kontroverse, aber eben auch zur bemühten Toleranz gehört immer ein klarer Standpunkt.

Der Autor Michael Bartsch ist freiberuflicher Journalist und Autor, u.a. für die taz und den MDR-Hörfunk

Unter dem Titel "Populismus, Pegida, Political Correctness Was tun gegen das Wutbürgertum?" veröffentlichte der Kölner Stadtanzeiger am 13.6.2017 einen Bericht zur Partnerkonferenz