Verzichtbarer Zuzug nach Sachsen

Der zweite digitale Abend der Landeszentrale zur „Rechten Landnahme“ ging am 11. Mai konkreter auf die Situation in Sachsen ein. Er setzte die allgemeine Einführung fort, die eine Woche zuvor bereits Beispiele im Freistaat erwähnt hatte. Auf Fragen gaben erneut Annalena Schmidt, Sprecherin der ökumenischen AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte und bei der Diakonie tätig, sowie Sophie Spitzner und Steven Seiffert von den Mobilen Beratungsteams des Kulturbüros Sachsen Antwort. Die Gesprächsleitung lag diesmal bei Harald Lamprecht, Weltanschauungs- und Sektenbeauftragter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen.

Eine Kurzumfrage zu Beginn ergab, dass ein Drittel der Online-Teilnehmer bereits den Auftakt am 3. Mai verfolgt hatte. Eine Mehrheit interessiert das Thema persönlich, aber einige sind auch beruflich betroffen. Sich selbst verorten die meisten allgemein in der Zivilgesellschaft und weniger in einem politischen Spektrum.

Erfolgreiche und gescheiterte Ansiedlungsversuche

Den Einstieg verfasste Annalena Schmidt einerseits so knapp wie möglich, beschränkte sich aber andererseits auch nicht nur auf Grundstückserwerbungen. „Landnahme“ sieht sie in einem weiteren Sinn als eine Strategie, rechte Szenekerne und Brückenköpfe zu schaffen, die Anknüpfungspunkte für die Bevölkerung bieten.

Das gelingt vor allem bei Jugendlichen über die Musik. Der als führend geltende rechte Rapper Chris Ares lebt eigentlich im Landkreis München. 2019 kreierte er den Song „Neuer Deutscher Standard“ NDS, der zu einem Label wurde. Nach Erkenntnissen Schmidts strebte er auch die Gründung eines Jugendtreff- und Dorfprojektes in Ostsachsen an. In Bischofswerda konnten das 2020 Kommunalpolitik und Zivilgesellschaft verhindern. Auch die Einrichtung eines Tattoo-Studios mit Jugendtreff in Bautzen gelang nicht. Anknüpfend an das rechte Modelabel „Isegrimm“ von Markus Baumgart in Cunewalde wollte Ares alias Christoph Zloch dort mit seinem NDS-Projekt Fuß fassen. Die Gemeinde erteilte keine Genehmigung. Ende 2020 zog sich der Rapper zurück.

"Gemeinwohldörfer" und "Gemeinwohlkasse"

Der Verfassungsschutz warnt, dass der sich selbst als „König von Deutschland“ titulierende Reichsbürger Peter Fitzek zwei so genannte Gemeinwohldörfer in Sachsen plant. Auf der Homepage des „Königreiches Deutschland“ wird in einem Video für ein Dorfprojekt in Bärwalde geworben, das zur Gemeinde Boxberg gehört. Nach Informationen Annalena Schmidts soll Fitzek zwei repräsentative Gebäude erworben haben. „Hippieesk“ und harmlos erscheine das Video, aber dahinter stecke harte rechtsradikale Ideologie.

Ebenso knallharte wirtschaftliche Interessen, ließe sich hinzufügen. Fitzek ist eigentlich verurteilt, betreibt aber mehrere Filialen einer ungenehmigten „Gemeinwohlkasse“, darunter in Dresden-Laubegast in einer Bäckerei. Aus Gesprächen mit dem dortigen „Filialleiter“ wird die Absicht bestätigt, in ausgewählten Dörfern Mehrheiten zu erlangen. Staatsanwaltschaft und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin waren bisher nicht in der Lage, ihm das illegale Handwerk zu legen. Harald Lamprecht wies später in der Diskussion auf eine gewisse Ausstrahlung und Verführungskraft der Person Fitzek hin, die die Sehnsucht nach einem besseren Leben anspreche.

Zur Anastasia-Bewegung kam ergänzend zur Auftaktveranstaltung der Hinweis, dass ihr reisender „Prediger“ Frank Willy Ludwig auch in Dresden und in den Landkreisen Bautzen und Görlitz Vorträge hält. Auch er ist ein „Staatsbürger“ in Fitzeks privatem „Königreich“ und hält Verbindungen in evangelikale Kreise.

„Missionare“ aus dem Westen

Die Kleinpartei „Der dritte Weg“ geriert sich zunehmend als Kümmererorganisation. Sie hilft beispielsweise deutschen Obdachlosen, organisiert eine „Deutsche Winterhilfe“ und veranstaltet Basare. Sie kaschiert damit ein extrem völkisches Menschenbild, ihre Orientierung am Nationalsozialismus und ihre Verflechtung mit der militanten Kameradschaftsszene.

Es fällt auf, dass viele „Missionare“ rechter Siedlungsideologie aus dem Westen Deutschlands einwandern. Oft haben sie eine aussagekräftige rechte Biografie. So etwa Michael B. aus Dortmund, der in der Partei „Die Rechte“ aktiv war und nun für den Chemnitzer Martin Kohlmann und seine „Freien Sachsen“ Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Annalena Schmidt berichtet auch von einer Familie, die aus Hannover nach Ostsachsen kam, ein Grundstück erwarb und zunächst einen harmlos erscheinenden Malwettbewerb im Gemeindeblatt ausschrieb. Alle diese Akteure und ihr Milieu spielen bei Protesten gegen Corona-Schutzmaßnahmen eine wesentliche Rolle. Peter Fitzeks „Krankenversicherung“ dürfen beispielsweise nur Ungeimpfte beitreten.

Schwerpunktraum Leisnig

Sophie Spitzner vom Kulturbüro widmete sich detaillierter der mittelsächsischen Region, die als Zentrum der Ansiedlungsbestrebungen in Sachsen gelten kann.  „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ nennt sich speziell im Raum Leisnig eine Initiative. 2016 kam die erste Familie. Sie fiel Einwohnern durch historische Kleidung wie lange Röcke und Trachten auf. Schon 2015 wurde der rechte „Adoria Verlag Dankwart Strauch“ in Naunhof ins Handelsregister eingetragen. Hier hat auch der „Deutsche Buchdienst“ mit seinem reichsromantischen Programm seinen Sitz. Inhaber Strauch kam von der Heimattreuen Deutschen Jugend HDJ.

Das gilt auch für Beispiel Christian Fischer von der HDJ Leitstelle Mitte, der Lager und Rasseschulungen in einem paramilitärischen Camp nahe der holländischen Grenze organisierte und zeitweise niedersächsischer Vorsitzender der Jungen Nationaldemokraten war. Eine ähnliche Vergangenheit hat auch Lutz Giesen. Kameradschaft Germania, Heimatbund Pommern, später Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern lauten dessen Stationen. Am 13. Februar dieses Jahres meldete er eine Demonstration zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg an und redete dort zum Abschluss. Sophie Spitzner nannte auch noch den Namen Mario Mattes aus Rheinland-Pfalz, bekannt von NPD, “III. Weg“ oder der Bewegung Deutsche Volksgemeinschaft.

„Sie leben alle wenige Kilometer voneinander entfernt in kleinen Ortschaften“, stellt die Beraterin vom Kulturbüro fest. Es gehe konkret nur um etwa fünf Immobilien, aber das Umfeld sei größer als der Kernkreis. Der Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ könnte man eine Scharnierfunktion als parteiungebundene Rechte zuschreiben. Sie bietet weiteren Ansiedlungswilligen Unterstützung, auch mit einer Arbeitsplatzvermittlung dank eines im Aufbau befindlichen eigenen Firmennetzwerks.

Warum gerade in Mittelsachsen siedeln?

Mit der Benennung einiger Ansiedlungsgründe leitete die mobile Beraterin zu ihrem Kollegen Steven Seiffert und seiner Abschlussfrage „Warum gerade hier?“ über. Im mittelsächsischen Raum haben neonazistische Bestrebungen einen langen Vorlauf, wird besonders konservativ gewählt. Die erst 2007 verbotene Kameradschaft „Sturm 34“ beispielsweise strebte hier „national befreite Zonen“ an.

Weiterer Zuzug wird nun damit beworben, dass im Osten noch „Volkssubstanz“ bewahrt worden sei, dass man hier noch anders reden könne als in Westdeutschland, dass in den Schulklassen noch deutsche Kinder dominierten und dass der zivile Widerstand gegen Nazis nicht so ausgeprägt sei. Man könnte auch von einem Resonanzraum sprechen.

Begünstigt wird diese Entwicklung durch wirtschaftlich und kulturell schwache Strukturen. In solche Lücken stoßen völkische Siedler mit Sozialisations- und Freizeitangeboten kultureller und subkultureller Art, mit Brauchtum, Volksliedern oder Lagerfeuern. Sie sollen ein Gefühl von Stärke und Zugehörigkeit vermitteln und subkutan Bindungen an die Neue Rechte bewirken.

Steven Seiffert erwähnt noch einige praktische Faktoren wie niedrigere Immobilienpreise. In ländlichen Räumen wie dem mittelsächsischen werde die AfD außerdem weniger beobachtet, gebe es ein „verbreitetes Zustimmungspotenzial“ und wenig ausgeprägtes Engagement in Vereinen. „Man nutzt Abwanderung und Strukturschwäche“. Es werde von Bürgern positiv wahrgenommen, „wenn endlich wieder jemand etwas macht“.

Damit präsentierten sich Siedler aber nicht aufdringlich. Zur Taktik gehöre vielmehr ruhiges, unauffälliges Ankommen, die Kontaktfindung über selbstverständliche Nachbarschaftsbeziehungen. So etabliert, beginne ebenfalls möglichst unaufdringlich die Einwanderung in Vereine, in die Freiwillige Feuerwehr, in Elternvertretungen von Schulen und Kitas. Das entfalte Sogwirkung. Öffentliches Aufsehen werde möglichst vermieden. Seiffert bezeichnet dieses Vorgehen als Selbstverharmlosung und scheinbare Normalisierung. In diesem Stadium sei das Ankommen in der Gemeinde kaum noch zu verhindern.

Steven Seiffert schätzt ein, dass beim Verfassungsschutz oder im mittelsächsischen Landratsamt die Probleme bekannt sind. Strategie und Taktik der Ankömmlinge werde aber kaum durchschaut, das Interesse an aktiver Auseinandersetzung sei gering. In Ostsachsen setze hingegen sofortige Abwehr inzwischen rechtzeitig an.

Nicht alle haben ein geschlossenes Weltbild

In der abschließenden Beteiligungsrunde tauchte die Frage auf, ob der anthroposophisch-esoterisch beeinflusste Ökolandbauverband „Demeter“ von rechten Neusiedlern unterwandert sei. Nein, soweit wollte die Expertinnen und Experten des virtuellen Podiums keinesfalls gehen. Ungeachtet der Wissenschaftsskepsis bei Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner genösse „Demeter“ einen guten Ruf, meinte Harald Lamprecht. Ähnliches gelte für Waldorfschulen. Zwar strebten völkische Siedler auch autonomes Home Schooling an. Aber das sei in Sachsen untersagt, und im Raum Leisnig gebe es schlichtweg keine Waldorfschulen.

Die Schlusspunkte der Diskussion nahmen den für den 19. Mai geplanten Abschlussabend teilweise vorweg. Dann soll es um Handlungsoptionen von Bürgern und Kommunen gehen. Letztere könnten beispielsweise bei Immobilien ihr Vorkaufsrecht geltend machen. Das aber erfordert schlichtweg Geld und lässt sich nicht beliebig oft wiederholen. Eigene Nutzungspläne müssten entwickelt werden. Die Gesinnung potenzieller Käufer werde außerdem meist geschickt getarnt.

Auf dem gleichen Weg wie deren Ankommensstrategie könne man sich aber darüber vergewissern, über unbefangene Gespräche sozusagen am Gartenzaun nämlich. Aber kann man denn mit möglicherweise nur beeinflussten Mitläufern überhaupt reden, wurde gefragt? Oder sind sie für die Demokratie und unsere Zivilgesellschaft verloren? Das gelte nur für aktive, harte, rhetorisch geschulte Reichsbürger, meinte Annalena Schmidt. Nicht alle Sympathisanten besäßen bereits ein geschlossenes Weltbild. Die anderen seien mithin wie Sektenmitglieder über aufgebautes Vertrauen erreichbar.

Michael Bartsch arbeitet als Freier Journalist/Autor u.a. für MDR und TAZ.

Nächster Termin der Veranstaltungsreihe "Rechte Landnahme" im Juni (genaues Datum folgt): Gemeinsam engagiert vor Ort – was tun gegen rechte Landnahme? ​​​​​​Informationen und Anmeldung hier.

Bericht zur Veranstaltung "Rechte Landnahme in Deutschland - was bedeutet das?"