Supersexy schrumpfen

Am 12. April hatte die Landeszentrale zur Gesprächsrunde eingeladen. In der Reihe „Stadt - Land – Mensch“ sollte die Frage geklärt werden: „Wozu noch Dörfer?“

Eingeladen waren dazu der holländische Stadtplaner, Künstler und Autor Prof. Ton Matton, der Bürgermeister der Kleinstadt Meerane, Prof. Dr. Lothar Ungerer, die Journalistin Diana Wetzestein, und der Demografie-Forscher Dr. Johannes Staemmler. Durch den Abend führte der Direktor der Landeszentrale, Dr. Roland Löffler.

Ton Matton, der an der Kunstuniversität in Linz (Österreich) lehrt und auf einem Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern lebt, leitete den Abend mit dem Bericht über ein Kunstprojekt in dem Dorf Gottsbüren in Hessen ein. Dort hatte er vor ein paar Jahren mit mehreren Kunststudenten leerstehende Häuser „besetzt“ und das Gemeindeleben in dem Dörfchen angekurbelt. Das Ergebnis der Aktion, die nur wenige Tage andauerte, war mediale Aufmerksamkeit und in der Folge auch ein gewisses Aufhalten der Landflucht.

Der Professor war vom Bürgermeister der Gemeinde zu dem Projekt eingeladen worden. Die Erlebnisse und die Konfrontation der Studenten mit den dörflichen Leben und den Dorfbewohnern schildert Matton plastisch und amüsant. Das Publikum dankt es mit teils lautstarken Schmunzlern. Sein Fazit der Aktion: „Das Dorf hat sich emanzipiert“.

Ich sehe nur Möglichkeiten in Sachsen

Er selbst sehe sich als „Möglichkeitsmensch“, dann berichtete er von seiner Fahrt nach Dresden. Er habe unterwegs keine Probleme, sondern „nur Möglichkeiten hier in Sachsen“ gesehen. Auf diesen positiven Auftakt setzte Matton noch einen fünfminütigen Film drauf, der bei dem Projekt in Gottsbüren entstanden war.

https://www.youtube.com/watch?v=WT3OgcZnIDU

Anschließend eröffnete Roland Löffler die Diskussionsrunde. Lothar Ungerer, der Bürgermeister von Meerane knüpfte an die Aktion an: „Wenn man sich die Freiräume nicht nimmt, kann man nichts gestalten.“ Das ist die Überleitung für die Geschichte der Journalistin Diana Wetzestein. Sie berichtete von der der kleinen Gemeinde Wanfried in Hessen, so ziemlich in der Mitte Deutschlands. Auch dort machte sich die Landflucht bemerkbar. 21 Häuser standen in der kleinen Gemeinde leer. Dann gab es die Idee, diese Fachwerkhäuser per Internet zu verkaufen. Interessenten wurden in den Niederlanden gefunden. Ein Musterfachwerkhaus wurde energetisch und ökologisch saniert – zum Vorzeigen. Das Projekt wirkte. Der Leerstand verschwand.

Wenn Gemeinden kippen

Eine Einordnung und einen kleinen Überblick gab nun der Politikwissenschaftler Johannes Staemmler, der verschiedene ost- und westdeutsche Städte im demografischen Wandel untersucht hat. „Der Anfang des Abstieges ist meist der Wegfall einer Funktion“, sagte er. Das könne ein großer Arbeitgeber sein oder ein wichtiger Teil der Infrastruktur. Dann gäbe es einen Kipp-Punkt, und die jungen Menschen ziehen weg. Meist würden die Verantwortlichen nach einem Substitut suchen. Häufig gelinge das aber nicht.

Der Meeraner Bürgermeister erklärte, dass die Binnenmigration schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnen habe. Viele Kleinstädte in der ehemaligen DDR seien künstlich durch Industrieansiedlungen gewachsen. Ganz deutlich sagt er: „Wir müssen schrumpfen.“ Und meint damit, die Struktur der Gemeinde an die geringere Bevölkerungszahl anzupassen. Als er dann von abzureißenden Plattenbauten berichtete, grätschte der Kunstprofessor dazwischen. Dafür müsse es doch bessere, konstruktivere Lösungen geben. Man müsse die Geschichte umdrehen.

Politikwissenschaftler Stemmler ergänzte, dass es bei vielen Weggezogenen ein großes Bedürfnis gäbe, in die Heimat zurück zu kehren. Die Rede ist von Herzblut einerseits, aber auch von sozialen Ängsten, die einer solchen Rückkehr im Wege stehen. Aber vielleicht sei die Kombination aus Herzblut und geschrumpften Gemeinden eine Option.

Gewerbegebietskindergarten

Bürgermeister Ungerer betonte, dass fallende Einwohnerzahlen inzwischen nicht mehr so stark mit der Binnenmigration zusammenhängen, sondern einfach mit der Differenz aus Geburtenquote und Sterberate. Da wolle er ansetzen und erwähnt die Schaffung eines Gewerbegebietskindergartens. Dieser Begriff regte den Linzer Kunstprofessor nun mächtig auf und für einen kleinen Moment kamen Emotionen in die bis dahin sehr sachliche Diskussion.

Direktor Löffler nutzte die Chance und ließ jetzt das Publikum mitreden. Knapp 50 Besucher waren gekommen. Darunter einige weitere Bürgermeister kleiner Gemeinden, die von ihren Problemen und Erfolgen vor Ort berichteten. Der Tenor: Wenn man die kleinen Gemeinden erhalten wolle, solle man auch die Strukturen erhalten und die Verwaltungen stärken. Nach knapp zwei Stunden war das Donnerstagsgespräch beendet, Ton Matton forderte abschließend, die Unterschiede zwischen Stadt und Land zu akzeptieren. Das schönste Schlusswort fand der Politikwissenschaftler Johannes Staemmler: Man solle einen Weg finden, die Gemeinden supersexy zu schrumpfen.

Die Frage der Veranstaltung „Wozu noch Dörfer?“ wurde jedoch nicht geklärt.

Autor Jan Frintert führt die Textwerkstatt Dresden.