Politische Bildung zwischen Krise und Zukunftsvision

Bei der Partnerkonferenz der Sächsischen Landeskonferenz für politische Bildung haben 140 Akteure der politischen Bildungsarbeit aus ganz Europa diskutiert. Und festgestellt: Die Lage ist in vielen Ländern ähnlich schwierig. Bei der Tagung in Chemnitz ging es auch darum, sich über erfolgreiche Methoden in der Praxis auszutauschen.

 

Demokratien sind in Gefahr, auch in Europa. Diese Entwicklung ist ein Kernthema bei der Partnerkonferenz der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung am 5. November in Chemnitz. Und diese Wahrnehmung wird sofort bestätigt, als bei der ersten Podiumsdiskussion Expertinnen und Experten, die in verschiedenen europäischen Ländern im Bereich der politischen Bildung arbeiten, von ihren Eindrücken berichten. Einhellige Wahrnehmung: Überall verstärken sich rechtspopulistische Bewegungen. Sie beobachte in ihrem Heimatland Tschechien „Angriffe auf die Zivilgesellschaft“, sagt Alena Reslová, Projektmanagerin bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Prag. Es werde vor allem von Rechtspopulisten Stimmung gegen Institutionen und die Zivilgesellschaft geschürt. Auch in Frankreich gibt es seit einigen Jahren einen Rechtsruck, mit vergleichbaren Entwicklungen, bestätigt Michael Stange, der das Europa-Haus in Nîmes leitet. Dabei sei politische Bildung wichtig, gerade in solchen Zeiten „unverzichtbar“, sagt er. Ähnlich ist die Lage in den Niederlanden. Dort arbeitet Eric Stokkink, bei Pro Demos, einer Einrichtung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. „Demokratie ist plötzlich nicht mehr die Norm in der Welt“, sagt er. Immer mehr Länder haben autokratische Züge. „Wir sollten Demokratie verteidigen, wir alle“, fordert Stokkink.

Das ist zugleich Anspruch und Fragestellung bei dieser Konferenz: Wie kann das gelingen? Welche Rolle kann politische Bildung in diesen Zeiten spielen? „Es gibt nicht nur ein Problem, sondern viele“, sagt Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, zur Begrüßung. Da sind: der Rechtsruck in vielen Ländern, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und akuter werdende Bedrohungen auch in der EU. „Wir haben den Umgang mit Digitalisierung, mit Fake News, mit Manipulationen“, zählt Löffler weiter auf. Man könne an diesem Tag hoffentlich auch voneinander lernen, um neue Methoden der Bildung zu finden. Die Perspektiven aus den Ländern sollen helfen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erkennen, sagen Heike Nothnagel und Ivo Vacík von der Landeszentrale, die die Veranstaltung inhaltlich konzipiert haben und durch den Tag die Teilnehmenden begletet haben.

Vielfalt der politischen Bildungslandschaft in Europa

Die Partnerkonferenz ist ein Höhepunkt, das jährliche Treffen der politischen Bildung in Sachsen und ein Vernetzungspunkt für Akteure. Etwa 140 Menschen nehmen an der Konferenz im Chemnitzer Carlowitz Congresscenter teil, Mitarbeitende aus politischen, historischen und kulturellen Bildungseinrichtungen, Lehrkräfte, Engagierte aus Vereinen und Bündnissen. Der Tagungsort ist bewusst gewählt, Chemnitz ist 2025 Kulturhauptstadt, die Landeszentrale hat dieses Jahr viele Veranstaltungen in der Stadt gemacht. Bei der Konferenz gibt es mehrere Panels und Workshops von früh bis abends, die Stimmung ist lebhaft, es gibt viele Gespräche während der Programmpunkte und in den Pausen auf den Fluren.

Eine Erkenntnis: Die politische Bildungslandschaft in Europa ist unterschiedlich gestaltet. In Deutschland hat politische Bildung einen vergleichsweise hohen Stellenwert, Einrichtungen wie die Sächsische Landeszentrale werden staatlich gefördert. Anders ist die Situation zum Beispiel in Schweden. Dort ist Mariam Mobiny Vorsitzende der Organisation Demokratibygget, die im Bereich der politischen Bildung arbeitet, Projekte an Schulen durchführt. Staatliche Unterstützung sei geringer, man müsse mit anderen Einrichtungen um sinkende Fördergelder konkurrieren, das sei schwierig, sagt Mobiny. „Früher waren wir mehr in Kooperation mit anderen Organisationen, inzwischen gibt es mehr Konkurrenz.“ Das sei auch in Frankreich so, erklärt Michael Stange vom Europa-Haus Nîmes. Politische Bildung ist vor allem über Schulen organisiert. Unterstützung gebe es zum Beispiel durch Fördergelder der EU.

Auch das Verständnis, was politische Bildung bedeutet, ist in den Ländern unterschiedlich. „Politische Bildung wird oft mit Demokratie verbunden, das Demokratieverständnis ist aber verschieden und auch durch die jeweilige Geschichte der Länder entstanden“, sagt Michael Stange. In Frankreich sei der Begriff der Demokratie vor allem durch die Überwindung der Ständegesellschaft, durch das Prinzip der Gleichheit geprägt, sagt er, „in Deutschland eher durch die Überwindung des Totalitarismus“.

Politische Bildung heißt: Gehirn anschalten und miteinander diskutieren

Auch durch Migration in europäische Länder werde man mit verschiedenen Prägungen konfrontiert, darauf macht Patricia Hladschik aus Österreich aufmerksam. Sie ist Geschäftsführerin der Organisation „polis“, die ebenfalls Projekte für politische Bildung in Schulen anbietet. „Wir treffen inzwischen auf mehr Kinder mit Fluchterfahrungen, die aus Ländern mit weniger Demokratieerfahrungen kommen. Das beschäftigt uns sehr.“ Für den Umgang damit bräuchten Pädagogen Erfahrungen und Wissen. Hilfreich sei, so Hladschik, wenn man Schulen zu Orten mache, „wo Demokratieerfahrungen und Selbstwirksamkeit möglich sind“.

In post-kommunistischen Ländern wiederum gibt es auch die Erfahrung, dass politische Bildung von einigen als „Indoktrination“ verstanden werde, davon berichtet Alena Reslová aus Tschechien. Ein Teilnehmer aus Sachsen meldet sich und erzählt, dass er solche Assoziationen auch aus dem eigenen Umfeld kenne, etwa wenn politische Bildung mit SED-Indoktrinationen in der DDR verglichen werde. Wie kann man darauf reagieren, will er wissen. „Man muss klarmachen, wo der Unterschied liegt“, antwortet Reslová. „Indoktrinierung heißt: Gehirn ausschalten. Politische Bildung heißt: Gehirn anschalten und miteinander diskutieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied.“

Hoffnungsvolle Resilienz trainieren

Im Laufe des Konferenztages wird deutlich: Auch wenn die Länder verschiedene Prägungen haben, die Erfahrungen mit politischen Entwicklungen und zunehmenden Bedrohungen ähneln sich stark. Bei Debatten auf der Tagungsbühne und in Workshops werden Impulse und Ideen ausgetauscht, Erfahrungen aus der Praxis. „Wir gehen alle durch dasselbe in den Ländern“, sagt Mariam Mobiny aus Schweden. „Voranschreitenden Rechtspopulismus erleben wir auch in Schweden. Das war vorher schon so in anderen Ländern, Schweden war nur ein bisschen später dran.“ Ihr Ansatz: „hoffnungsvolle Resilienz trainieren“. Ihre Organisation organisiert Projekte in Schulen, dabei erlebe sie auch aufgewühlte Debatten, über Themen wie Sicherheit, Migration, zum Krieg im Nahen Osten. Das kennen viele Tagungsteilnehmer, sie wollen wissen, welche Regeln Mobiny wichtig findet. Gute Vorbereitung sei für solche Diskussionen essentiell, sagt sie. Außerdem: geschützte Räume schaffen und Regeln für die Debatten festlegen. Aber auch: Kontroversen aushalten.

In einem weiteren Workshop geht es um die Digitalisierung in der politischen Bildungslandschaft und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Das Interesse ist groß. Alena Reslová, die den Workshop leitet, fragt, wer schon KI bei der Arbeit einsetze – viele melden sich. Eine Teilnehmerin, die bei einer Einrichtung für Gleichstellung arbeitet, sagt, KI helfe, Dokumente in Leichte Sprache zu übersetzen. Eine andere Teilnehmerin berichtet von Bildungsarbeit mit Schülern mit Migrationshintergund, bei der ein KI-Instrument für schnellere Übersetzungen eingesetzt wird. Andere erstellen Präsentationen mit KI oder lassen sich bei der Büroarbeit unterstützen. Sich mit der Technik vertraut zu machen, sei wichtig, sagt Reslová. „Wir müssen uns mit KI beschäftigen und sie so schnell wie möglich integrieren. Denn auch die Gefahren steigen, politische Manipulationen werden mit KI einfacher.“

Voneinander lernen

Nach einem intensiven Tag sind viele Erkenntnisse geteilt. „Ich glaube, wir haben alle das Gefühl, wir sitzen in einem Boot“, sagt Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale, in der Abschlussrunde. So verschieden die europäischen Länder sind, es gebe dennoch viele Gemeinsamkeiten, auch bei den Methoden politischer Bildung. „Ich würde mich freuen, wenn alle ein paar Impulse mitnehmen, auch Kontakte und Austausch“, sagt Löffler. „Man kann voneinander lernen. Wenn das der heutige Tag erreicht hat, sind wir zufrieden.“