Polen in meinen Augen. Die Heimreise.

Was ist Polen in meinen Augen – heute? Was bedeutet es in Polen geboren zu sein? Essay und Gedicht von Katarzyna Mazur.

Kann ich noch behaupten, dass dieses Land meine Heimat ist angesichts der aktuellen Entwicklungen, die mit sich vorwiegend Wut, Trauer, Sprachlosigkeit, Angst, Verzweiflung bringen? Wie haben die letzten 10 Jahre im Ausland meinen Bezug zur Heimat geändert? Das letzte Drittel des Lebens zwingt zu einer Reflexion. Während ich mir diese Fragen stelle, muss ich an meinen letzten Besuch in Polen denken. 9 Städte innerhalb von 10 Tagen besucht, sechs Zugfahrten genommen, einige Streits erlebt – einen davon hätte ich fast selbst provoziert. Bin ich dort ein anderer Mensch? Tritt an die Stelle des Verstands mehr das Gefühl, alleine durch die Tatsache, dass ich mich nicht so sehr auf die Bedeutung der einzelnen Wörter konzentrieren muss? Obwohl... Mittlerweile vermischt sich eh alles. Ob Deutsch, Polnisch oder Englisch – ich zerlege die Sprachen, ohne jedoch zu besseren Ergebnissen zu kommen, ganz im Gegenteil – es werden noch mehr Fehler gemacht, vor allem in meiner Muttersprache.

Ich quäle mich aber nicht mehr damit, dass Polen mir ein Stückchen fremder geworden ist und dass ich wiederum nicht so ganz in das Bild meiner Landsleute passe. Es hat lange gedauert, bis ich
bereit war, die Folgen meiner Abwesenheit in Kauf zu nehmen. Nun, ich bekenne mich zu meiner Vorliebe zur Ambivalenz – das Offensichtliche nicht mehr als solches wahrzunehmen. Es gibt immer mehr Sachen, Meinungen oder sogar Erinnerungen, die für mich nicht mehr selbstverständlich sind. In dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, fühle ich mich zerrissen zwischen Freude, Geborgenheit, Vertrautheit und extremen Gefühlen der Entfremdung.

Einerseits lösen bestimmte Bilder, Klänge, Stimmen, Gerüche ein Wohlgefühl aus, auf der anderen Seite wird hier eine Politik betrieben - ohne Moral, ohne Vernunft - mit der ich nicht einverstanden bin. Obwohl ich seit 10 Jahren in Deutschland wohne und in Polen nur noch gelegentlich bin, merke ich, wie sehr mich die politischen Geschehnisse der letzten Jahre müde gemacht haben. Müde, weil ich oft wütend war. Vielleicht war das der Grund dafür, dass viele meiner Fotoprojekte nicht zu Ende gebracht werden konnten; vielleicht aber hat mir auch eine kritische Distanz zu den eigenen Gedanken und Emotionen gefehlt. Mittlerweile scheint es mir so, dass meine Wut in die Traurigkeit übergangen ist. Mit der Traurigkeit kann ich mehr arbeiten, vor der muss ich nicht fliehen oder gegen sie kämpfen. Ich möchte sie verstehen, mich mit ihr vielleicht sogar ein bisschen anfreunden.

Neulich ist mir aufgefallen, dass ich seit gewisser Zeit mehr Männer als Frauen fotografiere oder besser gesagt – sie lieber fotografieren möchte. Möglicherweise wurde diese Neugierde an männlichen Gesichtern von meinem Langzeitprojekt angetrieben, in dem es auf verschiedenen Ebenen um das männliche Element geht. Ich würde aber noch die Behauptung wagen, dass dies sich ebenso auf meine Heimat zurückführen lässt, die mir im Moment männlicher denn je vorkommt...

Dennoch finde ich mich schnell zurecht, in dieser ganzen Wildnis, mit wildfremden Menschen, deren Umarmung mir so viel bedeuten kann; Menschen, die wenig haben, mir aber alles schenken wollen - wie meine Verwandte in Bieszczady, deren Gefühl ihrer Heimat gegenüber ich so sehr bewundere und auf das ich fast ein wenig neidisch bin...

Mein Vaterland,
mehr schwarz und weiß als grau,
mehr weiß und rot als blau.
Du wirst moderner, ich werde nicht schlau.
Was übrig bleibt:
das Feuer am Fluss oder im Wald.
Was ich hier sehe:
Du hast Dich verändert.
Was ich nicht sah:
mein Herz wurde verhärtet
durch die Kritik an Dir.
Ich suche mir Orte aus,
wo der vollgesternte Himmel
nicht zögert
und seine volle Schönheit zeigt.
Ich werde nicht zögern,
Dich zu berühren,
mit meinen Augen
schenke ich Dir die Zärtlichkeit.
Mit zahllosen Worten oder komplett in der Stille,
ohne Deinen Eigenwillen
zu hemmen,
steckt unsere Bindung in der Unendlichkeit:
die vielen ersten Male,
die Du mir geschenkt hast.
Die letzten Jahre war ich verblendet
durch die Lichter der Welt.
Den Blick von Dir habe ich abgewendet
als seist Du eine einfarbige Trübe...
Und jetzt, nach all den Jahren,
mit frischem Blick auf Deine Farben,
falle ich ins Grübeln:
Dein Bild hat zu viel Kontrast.
Ich wünschte Du wärst einfach nur weiß -
dann wärst Du die Summe von allem.