Parteien und politische Beteiligung in der Krise

Warum sinkt das Vertrauen in Parteien? Was könnten Auswege sein? Darüber hat die Politikwissenschaftlerin Dr. Theres Matthieß in der Reihe „Kontrovers vor Ort“ im Steinhaus Bautzen einen Vortrag gehalten und mit Publikum diskutiert. Es ging um Probleme – und Nachdenken darüber, wie politische Teilhabe besser gelingen kann.

Dass die Lage schwierig ist, zeigt sich gleich am Anfang des Abends mit der Wissenschaftlerin Theres Matthieß. Sie ist Juniorprofessorin für Empirische Demokratieforschung an der Georg-August-Universität Göttingen und beschäftigt sich mit Wahlverhalten, der Arbeit und dem Wettbewerb von Parteien. Bei ihrem Vortrag mit Diskussion am 4. September im Steinhaus Bautzen geht es um das Thema: „Braucht die Politik noch Parteien? Zwischen Politikverdrossenheit und neuer Beteiligungskultur“. Die Veranstaltung gehört zur Reihe „Kontrovers vor Ort“ und ist eine Kooperation der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung mit dem Steinhaus Bautzen, dem Verein Willkommen in Bautzen und der Bautzner Kreisvolkshochschule. Das Angebot wird in den kommenden Wochen an weiteren Orten in Sachsen stattfinden, mit jeweils wechselnden Kooperationspartnern vor Ort.

Die Runde in Bautzen ist klein, 15 Menschen sind gekommen, aber sofort wird lebhaft diskutiert. Auch zur Frage, die Theres Matthieß gleich am Anfang stellt: Welche Schlagworte fallen Ihnen ein, wenn Sie an Parteien denken? Das Publikum soll Assoziationen über ein virtuelles Tool eingeben, viele Eindrücke tauchen auf einem Bildschirm auf, zum Beispiel: „mühsam, unflexibel, langsame Entscheidungen, Bürgerengagement, Basisarbeit, Ochsentour“. Ein durchwachsenes Bild. Matthieß möchte noch mehr wissen: Welche Arten der politischen Beteiligungen wurden schon genutzt – von Teilnahme an Demonstrationen bis zur Mitarbeit in Parteien? Wie hoch ist das Vertrauen in Parteien? Die Antworten signalisieren: ein recht hohes Vertrauen und viel Engagement. Das sei höher als das durchschnittliche Verhalten in der Bevölkerung, welches sie aus der Forschung kennt, sagt Theres Matthieß. Hier sitzen also Menschen, die sich für Politik interessieren – auch wenn Probleme gesehen werden. Auch darum soll es an diesem Abend gehen. Um diese Fragen: Warum gibt es Parteien überhaupt? Wozu werden sie gebraucht? Und: Ist die Parteien-Demokratie in der Krise? Was könnten alternative Modelle für Bürgerbeteiligung sein?

Um zu erklären, wie Parteien entstanden sind, unternimmt Theres Matthieß eine Reise in die Zukunft – auf den Mars im Jahr 2135. Dahin ist eine Gruppe von 5000 Menschen ausgewandert, es wird die Marskolonie „Nova Terra“ gegründet, eine parlamentarische, repräsentative Demokratie eingeführt, als wichtigste Themen für die Gruppe werden Kultur und Landbesitz ausgewählt. Auch in dieser Konstellation würden sich Bündnisse bilden, um Interessen zu bündeln und gemeinsam stärker vertreten zu können, erklärt die Wissenschaftlerin. Aus zunächst losen Bündnissen würden vermutlich wiederum Parteien entstehen, exponierte Vertreter würden gewählt. Das System bildet sich aus einem logischen Kreislauf heraus, so war es auch schon in der Vergangenheit. 

Theres Matthieß schildert die historische Entstehung des Parteiensystems, von den Anfängen des Parlamentarismus im 13. Jahrhundert in England bis zu den ersten Parteien im engeren Sinne, ebenfalls in England mit den Whigs und Tories. Parteien füllen Repräsentationslücken, auch deshalb gibt es immer wieder Neugründungen, als Beispiel nennt sie die Grünen, die Piratenpartei und in den vergangenen Jahren die AfD und das Bündnis Sarah Wagenknecht. „Parteien gründen sich auch neu, wenn gesellschaftliche Konflikte aufkommen“, sagt sie.

Im Idealfall sollte das Parteiensystem wie eine Tropfsteinhöhle funktionieren, erklärt die Politikwissenschaftlerin, mit Stalaktiten und Stalagmiten, mit Austausch von unten nach oben, von Bürgern zu Parteien - und umgekehrt. Es kommt Widerspruch aus dem Publikum. Er sehe das System auf einer Ebene, nicht von unten nach oben, sagt ein Mann, „Es ist ja kein Verhältnis von einem Monarchen zum Volk. Man wird als Vertreter für eine Partei gewählt und nach einigen Jahren geht man wieder zurück.“ Auch ein anderer Punkt wird debattiert. „Es machen doch gar nicht so viele Menschen bei Parteien mit“, sagt ein anderer Mann. Stimmt, sagt Theres Matthieß, die Mitgliedschaft von Menschen in Parteien liegt in Deutschland, vergleichen mit dem Bevölkerungsanteil, im einstelligen Bereich. Hinzu kommt ehrenamtliches Engagement, das wiederum höher ist.

Aber die Mitgliederzahlen in Parteien sinken seit Jahren deutlich. Auch das Vertrauen in Parteien, in Ostdeutschland ist es geringer als im Westen des Landes. Warum das so ist, diese Frage treibe sie um, auch mit Blick auf ihre Heimat, sagt Theres Matthies, die aus Dresden stammt. Auch im Publikum wird darüber lange diskutiert. Ein Mann erzählt, dass er von Menschen in Ostdeutschland häufig dies höre: „Viele sagen, wir waren einmal in einer falschen Partei, in der DDR in der SED, deshalb wollen sie nicht mehr in eine Partei. Und es sind nach 1990 viele Erwartungen nicht eingetreten, deshalb gibt es ein Grundmisstrauen gegen das politische System.“ Auch Theres Matthieß beobachtet, dass das eine Rolle spielt. Auch identitätspolitische Fragen, speziell zu Ost-Identitäten, würden sich auswirken. „Das löst sich in den jüngeren Generationen nicht auf, auch da ist das recht stark verankert“. Eine Frau aus dem Publikum bestätigt das mit ihren Eindrücken: „Diktaturerfahrungen wirken lange nach und hier gab es gleich zwei hintereinander, weder die eine noch die andere ist richtig aufgearbeitet.“

Außerdem geht es um die Präsenz von Parteienvertretern direkt vor Ort, etwa im ländlichen Raum in Sachsen. In seinem kleinen Ort hätten über 50 Prozent der Menschen die AfD gewählt, erzählt ein Mann. Er erklärt sich das auch damit, dass die extrem rechte Partei inzwischen dauerpräsent sei in der Region, mehr als andere Parteien, mit Büros, mit Ständen bei Volksfesten und bei anderen Veranstaltungen. Es wird auch über das Phänomen parteiloser Politiker gesprochen, nicht selten in Ostdeutschland, vor allen in der Kommunalpolitik. Das verkörpere auch ein gewisses Misstrauen gegenüber Parteien, ist man sich in der Runde einig, Politiker könnten sich so unabhängiger präsentieren. Dadurch ergebe sich aber auch ein gewisses Repräsentationsproblem, wird ebenfalls festgestellt. Es entstehen Lücken in der klassischen Vermittlerrolle zwischen der Bevölkerung und den parlamentarischen Vertretungen.

Am Schluss wird über alternative Beteiligungsmöglichkeiten gesprochen. Theres Matthieß stellt Modelle vor wie: Volksinitiativen, Volksentscheide und Bürgerräte. In der Theorie immer wieder diskutiert, in der Praxis allerdings nicht besonders häufig umgesetzt. Auch im Publikum werden solche Modelle, auch mangels Erfahrung, nicht als Patentrezepte gegen Krisenstimmung gesehen.

Lösungen für die Zukunft bleiben schwierig - das ist ein Fazit des Abends. Dass die aktuelle Situation problematisch ist, bestreitet in der Runde niemand. Aber Theres Matthieß plädiert auch dafür, nicht alles zu pessimistisch zu sehen. „Krise ist für mich eine Lage, wo wir nicht weiterwissen. Ich würde nicht so schnell von einer Krise sprechen, aber wir haben bedenkliche Entwicklungen“, sagt sie. „Demokratie braucht langfristige Beteiligung und Interesse an Politik.“ Ein Appel an beide Seiten: Parteien und Bevölkerung.