Hasnain Kazim: „Meinungsfreiheit bedeutet nie Widerspruchsfreiheit“

„Grünkohl und Curry“, „Plötzlich Pakistan“, „Post von Karlheinz“ und „Auf sie mit Gebrüll!“ – so die Titel einiger der Bücher von Hasnain Kazim. Er arbeitet als freier Autor und Journalist für DIE ZEIT, taz, Süddeutsche Zeitung und den Deutschlandfunk. Von 2004 bis 2019 schrieb er vor allem als Auslandskorrespondent für den SPIEGEL. Als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer erhält Kazim täglich rassistische Hassmails. Das thematisiert er in seinem Buch „Post von Karlheinz – Wütende Mails von richtigen Deutschen und was ich ihnen antworte“. Nun besucht Hasnain Kazim Sachsen. Am 31. März hält der Bestseller-Autor und Journalist seine „Bautzener Rede“ unter dem Titel „Besser miteinander reden“.

Herr Kazim, Sie kommen am 31. März zu den Bautzener Reden in den Dom St. Petri. Inwieweit kennen Sie diese Ecke Deutschlands eigentlich?

Ich lerne sie immer besser kennen. Als die DDR aufhörte zu existieren, war ich 15 Jahre alt. Ich hatte keine Verwandtschaft und keine Bekannten in der DDR, so dass ich vor 1990 nicht in dieser Region gewesen bin. Nach der Wende war ich oft in Berlin. Bis ich es nach Sachsen geschafft habe, hat es viele Jahre gedauert. Inzwischen reise ich oft hierher und lerne dazu. Ich bin regelmäßig zu Lesungen hier, und kürzlich habe ich eine ausgedehnte Radreise durch Sachsen gemacht.

Wie würden Sie sich einem Unbekannten in fünf Sätzen vorstellen?

Mein Name ist Hasnain Kazim, ich bin als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer im niedersächsischen Oldenburg geboren und in Hollern-Twielenfleth, im Alten Land, sowie in Karatschi, Pakistan, groß geworden. Ich bin Autor und Schriftsteller und war viele Jahre lang Auslandskorrespondent für den "Spiegel", zunächst in Islamabad, Pakistan, dann in Istanbul, Türkei, und zuletzt in Wien, Österreich. In Wien fühlen meine Familie und ich uns so wohl, dass wir beschlossen haben, hier zu bleiben. Im Grunde genommen habe ich mich aber an allen Stationen zu Hause gefühlt. Waren das jetzt fünf Sätze?

"Ich bin überzeugt, dass man das gesellschaftliche Zusammenleben sehr viel besser gestalten kann, wenn man miteinander redet."

Ihre „Bautzener Reden“ haben Sie mit „Besser miteinander reden!“ überschrieben. Welche Idee steckt hinter diesem Thema?

Seit vielen Jahren befasse ich mich mit den Themen Streiten, Kommunizieren, mit der Frage: Wie gehen wir miteinander um? Das sind keine Themen, die ich mir selbst ausgesucht habe, sondern die zu mir gekommen sind. Wenn man einen Namen wie ich hat und eine dunklere Hautfarbe, ist man leider zwangsläufig hier und da mit Diskriminierung und Rassismus konfrontiert. Als Journalist habe ich viele Hassmails und Drohungen erhalten und habe irgendwann angefangen, mich zu wehren. Ich bin überzeugt, dass man das gesellschaftliche Zusammenleben sehr viel besser gestalten kann, wenn man miteinander redet. Darüber möchte ich sprechen.

Warum ist aus Ihrer Sicht uns die Kultur des Streitens und der Streitkultur verloren gegangen?

Gutes Streiten will gelernt sein. Dazu gehört erst einmal die Erkenntnis, dass - konstruktiver! - Streit per se etwas Gutes ist. Wir streiten uns aber immer schlechter, leider. Wir hören einander nicht mehr zu, sehen in jedem, der nicht unserer Meinung ist, einen "Feind", dessen Meinung man bestenfalls "aushalten" muss. Wir ertragen keine Kritik, sehen in ihr gleich einen Angriff. Und tatsächlich wird Kritik oft als persönlicher Angriff vorgebracht, wir wissen also auch nicht mehr, wie man richtig, konstruktiv oder zumindest sinnvoll kritisiert.

Aber?

Gleichzeitig haben wir unseren Humor verloren, sind sofort beleidigt, fühlen uns bei jeder Kleinigkeit angegriffen, "getriggert", können schon gar nicht über uns selbst lachen. Warum ist all das so? Das hat viele Gründe, fängt bei der Erziehung an und reicht bis zu vielen, leider sehr einflussreichen schlechten Vorbildern. Die "sozialen" Medien tragen ihren Teil dazu bei, wo man für jeden Unsinn Applaus erhält und sich mit jeder noch so abwegigen Meinung und noch so unsinnigem Zeug als Vertreter einer Mehrheit fühlt.

Sie blicken inzwischen aus dem Nachbarland auf ihr Geburtsland Deutschland. Wie unterscheidet sich unsere Streitkultur zu anderen Ländern?

Das lässt sich schwer auf Länder definieren. Sehr pauschal gesprochen, streitet man in Österreich, wo ich lebe, eher ungern. Man geht einem Streit gerne aus dem Weg. Man sagt zum Beispiel ungern "Nein", sondern lieber "Schau'n wir mal" - was gleichbedeutend mit "Nein" ist, aber weniger direkt, höflicher, gesichtswahrender. Ich musste das lernen. Deutsche Direktheit wirkt hier ziemlich schroff. Ist sie ja auch. Andererseits mag ich gerne wissen, woran ich bin. Ich mag die Klarheit.

"Mehr miteinander zu sprechen, lernbereit zu sein, offen für Neues, gleichzeitig sich über die eigenen Standpunkte klar zu sein, sie in Worte fassen zu können, sie aber auch selbstkritisch zu hinterfragen, all das hilft im zivilisierten Miteinander."

Wie ließen sich denn Probleme aus Ihrer Sicht besser ansprechen?

Indem man sie überhaupt erst einmal anspricht. Aber nicht emotional, laut, durch eine ideologische Brille, sondern nüchtern, sachlich, möglichst mit Worten, die nicht verletzen. Und mit der Bereitschaft, den anderen auch zuzuhören, ihren Argumenten Raum im eigenen Kopf zu geben, sie abzuwägen, um dann die bestmögliche Lösung zu finden. Also auch die eigene Position aufzugeben, wenn der andere die besseren Argumente hat. Mehr miteinander zu sprechen, lernbereit zu sein, offen für Neues, gleichzeitig sich über die eigenen Standpunkte klar zu sein, sie in Worte fassen zu können, sie aber auch selbstkritisch zu hinterfragen, all das hilft im zivilisierten Miteinander.

Wie denken Sie, können solche Formate wie die „Bautzener Reden“ das Miteinander-wieder-ins-Gespräch-kommen fördern?

Ich denke, solche Formate sind Impulse, über das Thema nachzudenken. Und vielleicht wieder mit Leuten ins Gespräch zu kommen, zu denen der Gesprächsfaden aus welchen Gründen auch immer abgerissen ist. Ich bin überzeugt, dass wir gerade Themen, die als heikel gelten, jene Themen, die man am liebsten ausklammern möchte, damit es bloß keine schlechte Stimmung gibt, ansprechen und diskutieren müssen, und zwar auf eine Art und Weise, dass man trotz allem respektvoll miteinander umgeht. Das bedeutet aber auch, dass Leute, die extremistisch sind -  hassvoll, mit Gewalt in der Sprache - entweder lernen, anders zu sprechen und zu denken, oder sich selbst aus dem Diskurs ausgrenzen. Andere, auch gegensätzliche Meinungen sind zu tolerieren. Was nicht bedeutet, dass man ihnen nicht widersprechen darf. Meinungsfreiheit bedeutet nie Widerspruchsfreiheit, das ist leider ein großes Missverständnis. Extremismus hingegen ist nie zu akzeptieren.

Der Dom St. Petri ist das älteste Simultaneum Deutschlands. Was steht noch auf Ihrer Besuchsliste, wenn Sie nach Bautzen kommen?

Ich möchte mir den historischen Stadtkern anschauen, den ich zwar schon von früheren Besuchen kenne, aber gerne immer wieder sehe. Und dann bin ich, immerhin habe ich schon ein Kochbuch geschrieben, ein Fan guter Küche. Ich würde sehr gerne regionaltypische Bautzener Küche erleben. Gibt es hier Eierschecke? Ich höre, es gibt da Grabenkämpfe, geradezu einen Clash der Kulturen zwischen Dresdner und Freiberger Eierschecke. Da wäre doch eine Bautzener Eierschecke als Versöhnung ein tolles Zeichen!

„Bautzener Rede“ mit Hasnain Kazim am Freitag, dem 31. März, 19.30 Uhr im Dom St. Petri in Bautzen. Zur Veranstaltungsreihe „Bautzener Reden“ laden die Initiative „Bautzen gemeinsam“, der Verein „Ökumenischer Domladen Bautzen“ mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung ein. Unter dem Motto „Wie wollen wir in diesem Land zusammenleben?“ geben die „Bautzener Reden“ Impulsen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik um, in herausfordernden Zeiten ein positives und vielfältiges Miteinander in der Stadt zu unterstützen und für ein demokratisches Werteverständnis zu begeistern.