„Kinder und Jugendliche haben den Durchblick!“: Der Wettbewerb um den Goldenen Erklärbären

Politik ist langweilig? Auf keinen Fall! Seit 2018 ruft die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahren dazu auf, beim Film-Wettbewerb um den Goldenen Erklärbären mitzumachen: Sie sind eingeladen, Kurzvideos zu aktuellen politische Themen zu gestalten. Sabine Kirst, Referentin der SLpB für Medienbildung und Medienkompetenz, begleitet den Wettbewerb seit fünf Jahren und ist Mitglied der Jury

Sabine, warum ist der Erklärbär-Wettbewerb wichtig: Was ermöglicht er den Kindern und Jugendlichen, die mitmachen? Und warum bieten wir als Landeszentrale dieses Format an?

Für die Kinder und Jugendlichen ist der Wettbewerb wichtig, weil sie selbst was machen und sich ausprobieren können. Weil sie beweisen können, dass sie den Durchblick haben und politische Dinge gut verstehen. Dabei ist für uns Erwachsene lehrreich zu sehen, wie reflektiert und mit gut recherchierten Fakten sie an politische Themen herangehen - oder auch wie unerschrocken. Wir dürfen jungen Menschen also mehr zutrauen. Einige Erklärvideos nehmen Sachverhalte in den Blick, etwa: Wie wird die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler gewählt? Andere Videos setzen sich eher mit Politik im Kleinen auseinander. Oder die Jugendlichen greifen aktuelle Themen auf – dieses Jahr gab es zum Beispiel einen beeindruckend eloquenten Beitrag zu den Protesten der Frauen im Iran. „Schaut hin! Menschenrechte gehen uns alle an“, war der klare Appell der jungen Filmemacherinnen. Die thematische Vielfalt ist jedes Mal groß. Als Sächsische Landeszentrale für politische Bildung wollen wir gemäß unseres Auftrags die Medienkompetenz junger Menschen fördern. Der Wettbewerb um den Goldenen Erklärbären ist ein wichtiges und auch ein schönes Format politischer Medienbildung. Denn: Man lernt am meisten, wenn man mit Engagement bei der Sache ist, Dinge ausprobiert und selbst Lösungen findet.

Maximal drei Minuten lang dürfen die Erklärfilme sein: Wieviel Inhaltliches kann man in dieser Zeit rüberbringen?

Alles! In drei Minuten kann man so viel reinpacken. Die Frage ist, wie man es macht. Die Fülle an selbst recherchierten und erarbeiteten Informationen auf ein kurzes Format zu komprimieren, ist eine sehr große Herausforderung. Das haben uns die Teams der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geschildert – und zwar in dem Arbeitspapier, das sie gemeinsam mit dem Film bei uns einreichen müssen. Wir attestieren allen Teams, die am Wettbewerb teilgenommen haben, dass sie absolut kreativ sind und ihre Ressourcen sowohl einschätzen als auch nutzen können, um ein gutes Ergebnis vorzulegen. Das ist großartig! Und das ist es ja letztlich, was Medienbildung bedeutet. Die Kinder und Jugendlichen fuchsen sich inhaltlich in Themen rein und reflektieren dabei auch ihren Arbeitsprozess und ihre Methoden. Dazu gehört im besten Fall zum Beispiel, sich für eine Filmschneide-App zu entscheiden, die Datenschutz-konform ist.

36 Filme wurden in diesem Jahrgang eingereicht, sechs davon haben eine Auszeichnung bekommen: Der Goldene, Silberne und Bronzene Erklärbär werden jeweils in zwei Altersklassen vergeben. Was sind eure Kriterien für die Auswahl?

Ein gutes Erklärvideo ist sachlich, klar strukturiert und leicht verständlich, kurzweilig – und wenn es zum Thema passt, gern auch witzig oder unterhaltsam. Und es sollte ein Thema möglichst kontrovers abbilden, so dass verschiedene Perspektiven zum Vorschein kommen. Hier gibt es ein spannendes Beispiel: Der Bronzene Erklärbär, der Dritte Preis in der Altersklasse B, geht 2023 an den Beitrag „Die Sonderrolle der Kirche in Deutschland“. Mit einfachsten Mitteln, nämlich mit Zeichnungen auf einem Whiteboard, wird beeindruckend gut erklärt, welch eigenmächtigen Spielraum die Kirche in Deutschland hat, gerade auch auf rechtlicher Ebene. Das Spannende ist, dass dieser Beitrag eine sehr klare Haltung bezieht – er thematisiert auch Missbrauchsfälle in der Kirche und verdeutlicht, dass Ermittlungsverfahren staatlicherseits nicht richtig greifen können, weil die Kirche diese Fälle selbst aufklärt. Hält diese Form der Aufarbeitung rechtsstaatlichen Kriterien stand? Dazu beziehen die jungen Leute eindeutig Position. Das hat mich beeindruckt. Aber ein Erklärvideo soll ein Urteil ausdrücklich nicht vorwegnehmen, so dass der Film im Grunde mit einem wichtigen Kriterium bricht. Als Jury sind wir zu dem Schluss gekommen: Das Video fordert trotzdem zur Kontroverse heraus. Denn als Zuschauende müssen wir die Haltung des Films nicht teilen, sondern können sie hinterfragen, uns mit ihr auseinandersetzen. Was übrigens auch toll ist: Weil die Schülerin, die für das Video gezeichnet hat, Linkshänderin ist, fiel beim Filmen immer ein Schatten über die Bilder. Daher hat die Gruppe schließlich kopfüber gefilmt und die Bilder erst im Schnittprogramm gedreht.

Gibt es weitere Filme oder konkrete Szenen und Ideen, die dich sofort gepackt haben? Was hat dich daran besonders überzeugt?

Es waren sehr viele tolle Videos dabei, ich kann hier nur manche davon nennen. Mich hat zum Beispiel der Film zu Verschwörungstheorien beeindruckt: Noch nie habe ich erlebt, dass 14-jährige Jugendliche dieses komplexe Thema so gut erklären können. Das war sachlich, prägnant und einprägsam, das hat mir sehr gefallen. Den Film haben wir mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Dann gab es einen englischsprachigen Beitrag zur Black-Lives-Matter Bewegung, der aus einem Referat im Englisch-Unterricht hervorgegangen ist. Fachlich war der Beitrag sehr, sehr gut. Mein persönlicher Favorit in diesem Jahr war der Gewinner des Silbernen Bären in der Altersklasse B, Fast Fashion. Ein total schön umgesetzter Animationsfilm über die Produktion von Mode. Und es ist ein Crossmedia-Projekt: Am Ende des Videos wird ein QR-Code zum Abscannen eingeblendet, hinter dem eine vom Filmteam eigens erstellte Website steckt. Auf der Homepage gibt es Tipps und Tricks, wie man selbst einen bewussteren Modekonsum praktizieren kann, zum Beispiel indem man Seconhand kauft oder nähen lernt und kleine Löcher in Pullis stopft und so weiter. Der Film war sehr klar und präzise, die Musikauswahl war toll. Und das Team realisiert auf sehr kreative, coole Weise ein zusätzliches Format für die Informationen, die sich im Drei-Minuten-Video nicht mehr unterbringen ließen.   

Welche Trends konntet ihr in den letzten fünf Jahren beobachten?

Im Vergleich zu 2018 haben die szenischen Darstellungen zugenommen. Mittlerweile werden auch Videosequenzen in Apps eingespielt und dort verändert, etwa indem Gesichter verfremdet oder Töne neu eingespielt werden. In den ersten Jahren des Wettbewerbs gab es mehr Stop-Motion-Beiträge, dabei wurden Szenen teilweise akribisch mit Legofiguren nachgestellt: ein unglaublich aufwendiges Verfahren, für eine Sekunde Film braucht es 24 Fotos. Und inhaltlich: Seit einigen Jahren ist Klimawandel ein großes Thema. Das tangiert die Jugendlichen echt. Ihre Sorge um die Zukunft, die Dringlichkeit, die Umwelt und Klimathemen für sie haben, ist sehr spürbar. In diesem Jahr wurden zwei Beiträge dazu eingereicht, einer mit dem Blick auf Energieversorgung. Armut ist auch immer ein Thema. Wie schon erwähnt gibt es die ganz klassischen Erklärfilme: Wie funktionieren Wahlen? Oder: Was ist Inflation? Aktuelle Bezüge spielen natürlich auch eine große Rolle, wie 2020/21 die Corona-Pandemie. Da haben Schülerinnen und Schüler ein superwitziges Erklärvideo dazu gedreht, wie man Masken korrekt trägt. Eigentlich profan, aber ganz klar eine Botschaft an die Erwachsenen. Denn die Jugendlichen haben sich über diejenigen geärgert, die das Maskentragen nicht ernst genommen und sie gern mal unter der Nase getragen haben. Und in diesem Jahr, in dem die Beiträge bis Anfang Dezember 2022 eingereicht werden mussten, gab es auch zwei Beiträge zur Fußball-WM in Katar. Die konnten wir aber aus formalen Gründen nicht berücksichtigen.

Welche formalen Regeln gibt es neben der maximalen Länge von drei Minuten? Mir ist beim Anschauen der sechs prämierten Filme aufgefallen, dass kein einiges Gesicht zu sehen ist: Das Mädchen in „Pretty Privilege“, dem Siegerfilm der Altersklasse A, trägt die Maske, die dem Gesicht einer schönen Influencerin nachempfunden ist. Andere ziehen sich die Kapuzen ihrer Hoodies vors Gesicht. Im Beitrag „Einheitliche Ladekabel in der EU“, dem Zweitplatzierten, setzt sich der Darsteller eine Pferdemaske auf…

Es dürfen ausdrücklich keine Gesichter zu erkennen sein. Der Schutz von Persönlichkeits- und Urheberrechten gehört zu den klaren Regeln des Wettbewerbs. Zu beachten sind unbedingt auch die Rechte Dritter an Clips, Tönen, Musik und Videosequenzen. Auch die Angabe der Quellen, die verwendet wurden, ist Pflicht: entweder im Video selbst oder in der Dokumentation. Nicht immer wurden diese Regeln eingehalten, daher konnten wir zum Teil sehr gute und absolut preisverdächtige Filme nicht berücksichtigen. Das ist schade. Als Faustregel kann hier helfen: Statt Inhalte aus dem Netz zu übernehmen, so viel wie möglich selber machen! Ich persönlich bin Fan der Lege-Technik, weil sie ein so inklusives und kreatives Format ist. Hier kann mit Zeichnungen, Schrift, Figuren oder Knete gearbeitet werden, da ist für jede und jeden was dabei. Außerdem gilt seit Mai 2022 die Regel, dass wir nur noch Gruppenbeiträge prämieren. Gemeinsam ein Video zu machen, fördert sowohl die Ausdrucksfähigkeit als auch die Teamfähigkeit. In einer Gruppenarbeit geht es neben der filmischen Umsetzung immer auch darum, für die eigene Position einzustehen, aber auch Konsens zu erzielen – und das gehört zur politischen Bildung dazu.

Wie finden sich die Teams zusammen? Und was wären deine Tipps für Kinder und Jugendliche, die tolle Ideen haben aber nicht das richtige Equipment?

Wir haben den glücklichen Umstand, dass die teilnehmenden Gruppen sich bislang vor allem über schulische Zusammenhänge finden, meist sind sie in einer Klasse. So dass durch die Lehrkräfte viel angeleitet werden kann, zum Beispiel was solide Quellenarbeit betrifft. Gerade in Fächern wie Geschichte, Geographie, Englisch oder auch Deutsch bietet sich an, Videos als Format mit in den Unterricht einzubeziehen. Es sind schon Lehrerinnen und Lehrer auf uns zugekommen, die das Erklärvideo durch den Wettbewerb für sich entdeckt haben – als neue Herangehensweise, um Unterrichtsinhalte zu vermitteln: Warum nicht Referate oder Hausaufgaben auch mal in Form eines Videos präsentieren? Und wenn Jugendliche kein technisches Equipment zuhause haben – etwa ihr Smartphone und ein Schnittprogramm, das gratis heruntergeladen werden kann, stellen teilweise die Schulen Technik zur Verfügung. Falls das an der Schule nicht möglich ist, können Kinder und Jugendliche sich an lokale Medienwerkstätten oder medienpädagogische Zentren wenden. Dort gibt es nicht nur technische Ausstattung zum Drehen und Schneiden, sondern auch Hilfe bei der Konzeption und Umsetzung von Videos. Alle zwischen 12 und 21, die in Sachsen wohnen und Lust haben, beim Erklär-Wettbewerb mitzumachen, sollen dies tun – und auch tun können! Wir laden Kinder und Jugendliche ausdrücklich ein: Sucht euch eine Gruppe, gern auch außerhalb der Schule. Findet euch zusammen in eurem Sportverein, in ehrenamtlichen Gruppen wie bei der freiwilligen Feuerwehr oder dem THW, in Jugendclubs, Jugendparlamenten oder Kirchengruppen.

Infos zum Wettbewerb gibt es hier. Außerdem bietet die SLpB einen Selbstlernkurs zum Herstellen von Erklärvideos an.