Kein garstig Lied, weil ein politisch Lied!

Anders als Brander in Goethes Faust I singt die Landeszentrale in Chemnitz ein Lob auf das politische Lied und seine Wirkung auf Politik und Geschichte.

 

Die Landeszentrale für politische Bildung könnte sich ebenso passend in LandesDEzentrale umbenennen. Seit dem März des Vorjahres betreibt sie nämlich auch in der europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz ein Projektbüro, unmittelbar hinter dem Karl-Marx-„Nüschel“ auf der Brückenstraße gelegen. Christine von Brühl leitet es. Der Veranstaltungsraum hinter der Glasfront zur Straße bietet etwa 40 Personen Platz. Im hinteren Teil übernimmt eine Küche einfache Verpflegungsaufgaben. Dort gelangt man zur Toilette und in Abstellräume.

Am 28. August 2025 zeigte zum Auftakt des Herbstprogramms der kleine Veranstaltungsort, dass er ideal für innovative Formate im Geiste der Kulturhauptstadtbewerbung geeignet ist. Ein Hauch von Woodstock, von Friedensbewegung, von Weltverbesserungsromantik zog durch den Raum. Weniger Talkin´als Singin´about a revolution. Denn Landeszentralen-Mitarbeiter Dr. Joachim Amm, Jahrgang 1963 und eigentlich für Publikationen zuständig, erwies sich als Multitalent und animierte singend zur Gitarre die leider nur 18 Gäste mindestens zum Mitsummen. Es ging nicht nur um Protestlieder im engeren Sinn, sondern um den Einfluss populärer Musik allgemein auf Politik und Gesellschaft.

Lecture Performance wird neudeutsch dieses Format genannt. Für das Performative sorgten neben dem Hobbybarden aus der Landeszentrale auch vier LED-Strahler mit wechselnden Farben. Auf jedem Platz lag ein umfangreiches Songbook-Handout mit den Texten zahlreicher Ohrwürmer zum Mitsingen. Auch gut für den Haus- oder Lagerfeuergebrauch, wenn die Harmonien beispielsweise von „Child oft he universe“ von Barclay James Harvest unklar sein sollten. Im Umfang nur drei Doppelseiten schmal, dafür nach anspruchsvollem Inhalt nicht spontan während der Veranstaltung zu studieren, hatte der „Star“ des Abends außerdem Kernfragen und Essentials zum politischen Lied nochmals komprimiert zusammengefasst. Denn „das ist ein Workshop, kein Konzert“, betonte Joachim Amm gleich zu Beginn.

Beschwörung scheinbar vergangener Ideale

Aber er musste gar nicht viel erklären oder gar dozieren. Die Leidenschaft, das Leiden an Zuständen erschloss sich durch die deutschen oder englischen Texte, mehr noch durch den Gestus der Melodien und den durch sie geweckten Kontext des jeweiligen Zeitgeistes. Der fiel für manche Hörer mit Erinnerungen an ihre Tanzstundenzeit zusammen. Aber auch ein junges Pfadfinderpärchen beherrschte offensichtlich einen Großteil des Repertoires und sang mit. Sogar sie schien ein Hauch von „Damals war´s“ zu ergreifen. Denn der Zweistundenabend musste nahezu ausschließlich retrospektiv erscheinen. Wem fiele schon ein populäres Protestlied, gar ein Revolutionsgesang aus den vergangenen 35 Jahren ein?

Joachim Amm nahm für sein Programm den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes zum Maßstab und gliederte die erste Stunde nach dessen ersten Artikeln. Voran den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel drei. Im Kontext damals viel gelesener dystopischer Romane wie Huxleys „Schöne neue Welt“ ist Peter Maffays „Denn die Liebe wird verboten“ von 1980 zu sehen. Wohl jeder kennt bis heute Reinhard Mey´s Bürokratie-Satire „Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars“ von 1977. Zeitlich dazwischen liegt Georg Danzers Drogen-Abzählvers „Zehn kleine Fixer“.

Danzer war beim Freiheitsartikel zwei des Grundgesetzes gleich noch einmal dran. Im Mittelpunkt stand hier der „Redemption Song“ von Manfred Mann oder in der Reggae-Version von Bob Marley. Der erste Vers dieses „Erlösungsliedes“ beginnt mit der Zeile „Emancipate yourselves from mental slavery“. Aber wie?

Anlass für den Gastgeber, hier erstmals ins Publikum nach der Wirkung politischer Lieder zu fragen. Also nach ihren persönlichen Erfahrungen. Damit waren sowohl die Altersspanne der Gäste als auch ein weiter historischer Zeitraum aufgerufen. Das Pfadfinderpaar kennt Lagerfeuerromantik bis heute, lernt dabei auch Lieder der Romantik oder der Revolution 1848 kennen. Noch relativ frisch sind die Erinnerungen von DDR-Bürgern an einen auch durch die gemeinsame Oppositionshaltung gegen den SED-Staat gestützten Zusammenhalt. Nicht nur in Kirche und Untergrund, auch beim Trampen nach Bulgarien hing oft eine Gitarre auf dem Rücken. Die so formulierten Sehnsüchte entluden sich dann beispielsweise Silvester 1989 bei David Haselhoffs „Looking for freedom“ auf der Berliner Mauer.

Anlass für den singenden Referenten, die Gäste um ihre Antwortkarten auf die zentrale Frage zu bitten, ob ihrer Meinung nach politische Lieder auf die Politik einwirken können. Man hätte die Frage gern vorbehaltlos bejaht, war zu spüren, aber viele zögerten.

Wellenbewegungen von Aufbruch und Resignation

Eindeutige Gefühlslagen löste dann der vielzitierte Artikel eins des Grundgesetzes unter dem Aspekt von Krieg und Frieden aus. John Lennon und die Beatles voran. Viele benötigten keine Texthilfe für die deutsche Marlene-Dietrich-Version von Pete Seegers „Sag mir wo die Blumen sind“. Noch erschütternder klingt bis heute Hannes Waders „Es ist an der Zeit“, während Nenas „99 Luftballons“ 1982 doch eher locker auf der Neuen Deutschen Welle schwammen.

Ausläufer der bis heute unerreichten letzten, an die schönsten menschlichen Grundwerte mahnenden weltweiten Erneuerungsbewegung von 1968. Sie müssen auch den damals erst fünf Lebensjahre jungen Joachim Amm geprägt haben, denn er widmete der Flower-Power-Ära ein breites Kapitel. Genauer ihr und den darauffolgenden Kapiteln von Desillusionierung und neu erwachender Hoffnung. Es blieb halt Scott McKenzies Träumen von San Francisco nicht viel.

Der Barde aus der Landeszentrale erinnerte aber auch an neue Hoffungen durch die wiedererstehende Friedensbewegung Ende der 1970-er Jahre. Fleetwood Mac´s „Dont stop“ oder Patti Smith´s Emanzipationslied „People have the power“ stehen dafür. Sogar ein sich verändernder US-Präsident Ronald Reagan und erst recht Michail Gorbatschow ab 1985 in der Sowjetunion indizieren jenen „Wind of change“ der Scorpions. Eingebettet in die deutsch-deutsche Entkrampfung war der Besuch Udo Lindenbergs in der DDR mit seinem Gitarren-Gastgeschenk an Staatschef Erich Honecker und dem berühmten „Sonderzug nach Pankow“.

Nur ein Ausschnitt aus einem breiten Genre

Gegen Ende näherte sich Joachim Amm den bereits in seinem Handout ausgelegten Gliederungen, Thesen und Grundfragen. Eingeleitet durch die erneut von den Gästen zu beantwortende Frage, ob die Effekte politischen Liedgutes messbar seien. Hier überwogen eindeutig Zweifel oder Unentschlossenheit. Was der singende Referent auch plausibel fand, denn Musik sei nur ein möglicher Einflussfaktor auf Veränderungsprozesse, die von einem Motivations- oder Bewusstseinswandel gespeist werden.

Im Handout nachlesen musste man die Relativierungen, die er selber vornahm. Er habe nur einen „winzigen Bruchteil“ politischer Lieder vorstellen können, die sich durch alle musikalischen Stilrichtungen zögen. Die aber bei weitem nicht alle die Popularität der ausgewählten 27 Beispiele erreichen, ließe sich hinzufügen. Vorgetragen übrigens ohne jede virtuose Attitüde oder Selbstinszenierung.

Joachim Amm schränkte auch ein, dass die Vorstellung von Beispielen aus dem Hard Rock oder elektronischer Musik in diesem Rahmen nicht möglich sei. Ohne es zu ahnen, beantwortete er damit eine sich zunehmend aufdrängende Frage nach dem Rechtsrock. Denn wenn auch in den jüngsten Jahrzehnten kaum noch ein progressiver populärer Song entstand, mobilisierten doch Nazikonzerte mit von Hass, Hetze und Rassismus geprägten Titeln Tausende, etwa im thüringischen Themar oder in Ostritz an der Neiße.

Ein Beispiel aus der US-amerikanischen Countryszene aber hatte Amm denn doch noch parat, bevor er mit der Einsamkeitsklage von Simon&Garfunkels „The Boxer“ schloss. Willie Nelsons „Beer for my horses“ ist eine ziemlich üble Aufforderung zur Selbstjustiz in einem vermeintlich überforderten Rechtsstaat. Es passt genau zu jenem Ungeist, der die gewesene westliche Führungsmacht schon seit längerem deformiert. Wo der Platz Deutschlands in dieser neuen Weltordnung oder treffender -unordnung liegen könnte, darüber spricht der Journalist Christoph von Marschall am 10. September im Chemnitzer Projektbüro.