Katalonien Aktuell - Eine Nachbetrachtung

Am 24. November 2017 fand in der SLpB eine Diskussionsveranstaltung zur aktuellen politischen Lage in Katalonien statt. Auf Wunsch von vielen Teilnehmenden dokumentieren wir hier einige der Beiträge der Referentinnen und Referenten.

Katalonien Aktuell – Eine Nachbetrachtung

Am 27. Oktober 2017 erklärte das katalanische Parlament Katalonien für unabhängig. Die spanische Regierung rief daraufhin den Bundeszwang aus, erklärte die katalanische Regierung für abgesetzt und setzte Neuwahlen an. Der Ministerpräsident Kataloniens, Carles Puigdemont, reiste daraufhin nach Belgien aus. Ermittlungen gegen ihn und weitere Mitglieder der Regionalregierung wegen Rebellion laufen. Spanien fühlt sich der Gewährleistung seiner staatlichen Souveränität und Integrität verpflichtet, Katalonien dem Wunsch vieler Bürger nach Unabhängigkeit. Beide Seiten beharren auf ihren jeweiligen Standpunkten. Die Situation scheint verfahren, eine Lösung unmöglich.

Auf dem Höhepunkt der Krise lud die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung am 24. November 2018 Vertreter der spanischen und katalanischen Seite ein, ihre jeweiligen Beweggründe einem sächsischen Publikum näher zu bringen. Die Moderation übernahm Herr Prof. Dr. Patzelt.

Geladen waren der Botschaftsrat der Spanischen Botschaft, Herr Santamaría, die Vertreterin der Katalanischen Regierung in Berlin, Frau Kapretz und der Europarechtler Herr Prof. Hanschel. Durch die Verschärfung der politischen Situation in Katalonien war es dem Vertreter der spanischen Seite kurzfristig nicht möglich, an der Podiumsdiskussion teilzunehmen. Deren Perspektive vertrat daraufhin auf Empfehlung der Botschaft Frau Prof. Riedel als Separatismus-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Frau Kapretz betonte insbesondere das Selbstbestimmungsrecht der katalanischen Bevölkerung und verwies auf die als diskriminatorisch empfundene Politik der konservativen Regierung in Madrid. Frau Prof. Riedel nahm die wirtschaftspolitischen Aspekte in den Blick und verwies darauf, dass es beim Unabhängigkeitsprozess auch um Fragen der Verteilung von katalanischen Steuergeldern gehe. Schließlich problematisierte Herr Prof. Hanschel die politische Entwicklung aus völkerrechtlicher Sicht und betonte, dass nur das gesamte spanische Volk über die Zukunft seiner staatlichen Einheit entscheiden könne.

Alle Beteiligten waren sich in der Auffassung einig, dass die anstehenden Regionalwahlen in Katalonien am 21. Dezember eine Chance darstellen, zu einem konstruktiven Dialog zurückzukehren. Die Wahlen wurden schließlich durch das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter gewonnen. Es besteht die Möglichkeit, dass Katalonien eine neue Regierung bekommt, deren Minister im Brüsseler Exil sitzen. Das Oberste Gericht Spaniens hat zuletzt den europäischen Haftbefehl gegen den abgesetzten katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont zurückgezogen. Dies signalisiert eine grundsätzliche Dialogbereitschaft, die weiteren politischen Entwicklungen sind aber vollkommen offen.

Wir baten die Diskussionsteilnehmer um eine schriftliche Zusammenfassung ihrer Sicht der politischen Lage.

 

Statement von Prof. Dr. Sabine Riedel  von der Stiftung Wissenschaft und Politik - Lösungsansätze im katalanischen Sezessionskonflikt

Seit 2010 strebte die katalanische Regionalregierung nach einem eigenen Staat. Da nur Nationen ein Recht auf Selbstbestimmung haben, fordern die Katalanen seitdem die Anerkennung als eine eigene Nation. Die spanische Verfassung hat jedoch den Nationsbegriff für die spanischen Staatsbürger reserviert. Sie sind der Souverän, der allein über die Staatsform und das Staatsterritorium entscheidet. Das Modell einer katalanischen Nation setzt dagegen auf politische und kulturelle Differenz. Was bisher zusammengehörte, soll nun voneinander getrennt werden. Dies führt zwangsläufig zu gesellschaftlichen Konflikten.

Schon jetzt zeigen sich für beide Seiten die negativen Folgen des Sezessionskonflikts. Ein politischer Schaden ist auch dadurch entstanden, dass alternative Lösungswege bislang außer Acht gelassen wurden. Erst der Ausbruch der Krise hat die die spanische Regierung und die Oppositionsparteien dazu gezwungen, eine Reform ihres Autonomiensystems in Angriff zu nehmen. Es wurde eine Kommission unter Beteiligung alle spanischen Regionen eingesetzt. Dies könnte auch zu einem Umbau des spanischen Zentralstaats in einen Bundesstaat führen. Hierfür wäre ein Erfahrungsaustausch auf europäischer Ebene mit Regionalautonomien und föderalen Strukturen hilfreich.

 

Statement der ehemaligen Vertreterin katalanische Regierung Berlin

Seit dem 1. Oktober 2017 betrachtet die deutsche Öffentlichkeit mit Staunen und etwas Unwohlsein die Vorgänge in Katalonien. Seit dem Unabhängigkeitsreferendum haben sich die Ereignisse überschlagen, der Ministerpräsident Puigdemont und mehrere Staatsminister leben obligatorischer Weise in Brüssel, die Mehrzahl der Staatsminister wurden in Madrid in Untersuchungshaft gesteckt. Die Anklage lautet: Aufruhr und Rebellion.

Was aber haben die Katalanen angezettelt, dass sich die spanische Staatsgewalt mit solcher Wucht gegen die Regionalregierung wendet, und vor Allem: warum?

Katalonien hat eine politische Perspektive: Die Umsetzung europäischer Werte in Solidarität mit der internationalen Gemeinschaft. Katalonien auch hat eine wirtschaftliche Perspektive: eine starke Mittelschicht, starke mittelständische Unternehmen und ein Steuersystem, das für Chancengleichheit sorgt.

Zu diesem Zweck war es nötig, das Autonomiestatut Kataloniens zu reformieren, denn es war absolut veraltet. 2006 wurde das Gesetz nach langem politischem und emotionalem Gezerre zwischen der Region und dem Parlament von Madrid verabschiedet und durch die staatlichen Instanzen in Kraft gesetzt. Der damalige Oppositionsführer Rajoy hielt es für einen geschickten Schachzug, das Statut anzufechten und durch eine Normenkontrollklage politische Stimmung gegen die Region Katalonien zu machen. In der Tat half ihm die in ganz Spanien geführte Kampagne, denn er gewann nach dem für die PP günstigen Urteil von 2010, das eine Aushöhlung der Grundprinzipien des neuen Statuts mit sich brachte, 2011 die Wahlen zum Ministerpräsidenten Spaniens. Seine Haltung hat sich seitdem nicht verändert: alle weiteren Vorschläge Kataloniens zur Reformierung des Verwaltungsrahmens wurden mit dem Verweis auf bestehende Gesetze als juristisch nicht zulässig abgeschmettert.

Gleichzeitig benutzt die Regierung Rajoy Normenkontrollklagen weiterhin als ein politisches Instrument, insbesondere gegen katalanische Anliegen: seit 2011 wurden 32 Gesetze, die vom Regionalparlament verabschiedet wurden, durch das Verfassungsgericht ganz oder teilweise aufgehoben. Dabei handelt es sich oft auch um soziale Gesetzgebung, wie z.B. das Gesetz gegen Energiearmut oder das Gleichstellungsgesetz von Mann und Frau.

Vor dem Panorama einer politischen und juristischen Blockade auf der einen Seite und wachsende Unmut in der eigenen Bevölkerung auf der anderen Seite, muss sich die katalanische Regierung entscheiden, was sie tut. Ihre eigentliche Rolle ist es ja, zwischen ihren Wählern und der Zentralregierung zu vermitteln. Da es sich gezeigt hat, dass Verhandlungen mit der Zentralregierung quasi unmöglich sind und auf der anderen Seite seit 2010 jährliche Kundgebungen für die Unabhängigkeit mit jeweils ca. einer Million Teilnehmer stattfinden, dachte man, dass es am besten wäre, durch ein Referendum herauszufinden, ob denn eine Mehrheit der Katalanen überhaupt für eine Unabhängigkeit sind.

Es war keine Überraschung, dass Madrid dies auch nicht zulassen wollte. Die Regierung in Katalonien ist der Meinung, dass Madrid ihre demokratische Legitimität durch ihr stetiges Abblocken und Verweigerung eines Dialogs verspielt hat und setzt auf das Referendum um Klarheit zu schaffen. Bei einer Teilnahme von 43% (rechnet man die 55 000 beschlagnahmten Stimmzetteln mit, die sich nicht auszählen lassen mit, erhöht sich die Teilnahme auf 55%) lagen die Befürworter einer Unabhängigkeit bei 90%.

Madrid hat erwartungsgemäß gehandelt und die Regionalregierung des Amtes enthoben und in Untersuchungshaft gesteckt und überraschend zügig Neuwahlen für den 21. Dezember 2017 angesetzt. In der Erwartung der Ergebnisse dieser Wahlen bleibt eine Frage offen: Hat die Regierung Rajoy sachliche Argumente für einen Verbleib Kataloniens in Spanien vorzubringen und eine politische Alternative für die Region? Und wenn ja: wann gedenkt sie diese vorzustellen?

 

Statement der Spanischen Botschaft

Katalonien, seine Sprache und Kultur, ist ein überaus beliebter und wichtiger Teil von Spanien. Doch die letzte Regierung Kataloniens, die bei den vergangenen Wahlen nicht einmal numerisch die Mehrheit der Wählerstimmen erreicht hatte, verstieß mit ihrem Vorgehen sowohl gegen die spanische Verfassung als auch gegen das eigene Autonomiestatut. Und Spanien ist ein Rechtsstaat, der die Rechte aller Spanier, und damit auch der Katalanen, schützen muss.

Die große Mehrheit der europäischen Verfassungstexte kennt Vorrichtungen, mit denen sie sich gegen eine Nichtbefolgung ihrer Vorschriften schützt, und somit auch dagegen, dass ein einzelner Landesteil das Recht ignoriert oder offen dagegen agiert. Beim Artikel 155 der spanischen Verfassung (in seiner Wirkung nahezu identisch mit Artikel 37 GG) geht es genau darum. Seine Anwendung wurde mit einer Vierfünftel-Mehrheit der verschiedensten politischen Parteien beschlossen. Und sie bedeutet nicht die Aufhebung der Autonomie. Außerdem basieren die rechtlichen Maßnahmen, die zur vorläufigen Verhaftung derjenigen, die gegen das Gesetz verstoßen haben, geführt haben, auf Entscheidungen einer ganz und gar unabhängigen Justiz, wie es sich für einen Staat mit Gewaltenteilung gehört.

Die heutige Situation, in der fast 2.600 Unternehmen Katalonien verlassen haben und die Gesellschaft tief gespalten ist, ist also die Konsequenz des unverantwortlichen Vorgehens der letzten katalanischen Regierung gegen das Gesetz und gegen die richterlichen Beschlüsse des Obersten Gerichtshofes von Katalonien, des spanischen Obersten Gerichtshofes und des Verfassungsgerichts.

Der Vorwurf mangelnder Dialogbereitschaft steht im Raum, doch es war der Expräsident der katalanischen Regionalregierung, der sich allein in diesem Jahr bereits sieben Mal den Einladungen des Abgeordnetenhauses oder des Senats, seine Position darzulegen, verweigert hat. Auch zu einer Teilnahme an der diesjährigen Konferenz der Regionalpräsidenten war er nicht bereit.

Nach dem antidemokratischen und illegalen Abschweifungen der alten Regierung muss die neue Regionalregierung, die aus den Wahlen am 21. Dezember hervorgehen wird, einen Weg aus der Krise finden, indem sie zu Demokratie und Dialog zurückkehrt und dabei innerhalb von Recht und Gesetz und Verfassungslegalität agiert, damit die Rechte aller Katalanen weiterhin gewährleistet werden.