Jung, wütend, rechts? – Wie Jugendliche sich radikalisieren und was man dagegen tun kann
Anlässlich dieser Entwicklungen hat die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung am 27.11.2025 in Chemnitz zur Veranstaltung „Jung, wütend, rechts? – Extrem rechte Radikalisierung bei Jugendlichen in Sachsen“ eingeladen, um mit Expertinnen und Experten sowie dem Publikum über Ursachen, eigene Erfahrungen und Lösungen dieses Problems ins Gespräch zu kommen.
Die Veranstaltung fand im Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex „Offener Prozess“ statt. Im Mittelpunkt steht eine Ausstellung zum NSU-Komplex. Darüber hinaus ist das Zentrum auch Archiv sowie Begegnungs- und Bildungseinrichtung.

Zum Einstieg in das Thema hält Gideon Wetzel einen Impulsvortrag, in dem er vor allem die aktuelle Lage in Sachsen beleuchtete. Wetzel forscht am Else-Frenkel-Brunswik-Institut Leipzig zu Phänomenen der extremen Rechten in Sachsen, mit einem Fokus auf Entwicklungen im digitalen Bereich, insbesondere den Sozialen Medien.
Wetzel erklärt, dass die Rekrutierung der rechten Szene heute hauptsächlich auf TikTok stattfände. Der Algorithmus der Plattform mache es sehr leicht, große Reichweiten zu erzielen und zeige die Inhalte auch Nutzenden an, die nicht aktiv danach suchten. Dazu zeigt er Beispiele: ein junger Mann, der seine Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln stolz der Kamera präsentiert oder vermummte Gruppen, die Deutschlandflaggen schwingen, ergänzt von dem Schriftzug „Deutsche Jugend voran!“.
Das Mobilisierungspotential, welches auch durch solche Videos verstärkt wird, zeigte sich in den letzten zwei Jahren deutlich durch die Gegendemos zu den sächsischen CSDs. Für großes Aufsehen sorgte der CSD in Bautzen im August 2024 mit fast 700 Gegendemonstranten – unter ihnen vor allem junge Männer.

Abschließend informiert Wetzel zu aktiven rechten Gruppierungen in Sachsen. Die Identitäre Bewegung bilde das politische Vorfeld und versuche, Begriffe und Themen in der öffentlichen Debatte zu prägen. Platziert werde etwa die Neudeutung von „Remigration“ oder der „Stolzmonat“ – ein rechter Gegenentwurf zum „Pride Month“. Gruppen wie die Jungen Nationalisten, die Nationalrevolutionäre Jugend oder Urbs Turrium aus Bautzen mobilisieren vor allem junge Menschen durch Angebote wie Camps, Wanderungen oder Kampfsport. Ergänzend dazu sammeln sich immer mehr junge Leute lose auf digitalen Plattformen, finden dort Gleichgesinnte und verbreiten extrem rechte Ideologien.
Anschließend an Wetzels Vortrag findet eine Podiumsdiskussion statt. Auf dem Podium vertreten waren neben Gideon Wetzel auch Ines Vorsatz, welche die Geschäftsstelle des Kriminalpräventiven Rats der Stadt Chemnitz leitet, und Christian Lieberwirth, Referent für politische Bildung beim Landesamt für Schule und Bildung im Standort Zwickau.
Ausgehend von Wetzels Vortrag drängt sich vor allem eine Frage zu Beginn auf: Sind die „Baseballschläger-Jahre“ wieder da? Oder waren sie vielleicht nie weg? Ines Vorsatz meint, rechtes Gedankengut erlebe nicht direkt ein Revival. Es fasse strukturell in der Bevölkerung wieder Fuß, sei aber an sich nie weg gewesen. Wetzel ergänzt, die Qualität rechter Gewalt der 90er sei nicht erreicht, deutlich sei aber, dass alte Strukturen sich neuer Mittel bedienten, zum Beispiel Sozialer Medien für die Mobilisierung. Lieberwirth erklärt, die Zahlen rechter Vorfälle in sächsischen Schulen stiegen an, Hakenkreuzschmierereien oder Hitlergrüße seien keine Seltenheit mehr. Seiner Meinung nach seien diese Jugendlichen aber keine gefestigten Extremisten. „Führungspersonen“ rechter Jugendgruppen würden sich in Schulen hingegen eher unauffällig verhalten.

Aber was kann getan werden? Wie kann man verhindern, dass immer mehr junge Menschen in Sachsen sich radikalisieren, gewaltbereit und demokratiefeindlich werden? Vorsatz findet eine deutliche Antwort: „Genau das machen, was die Nazis auch machen, nämlich Raum zu nehmen.“ Junge Menschen bräuchten demokratische und vielfältige Orte und Angebote für ihre Freizeit. Außerdem appelliert sie an die Zuversicht: „Wer denkt, dass man nichts tun kann, der hat schon verloren.“ Wetzel betont, dass vor allem den Betroffenen rechter Diskriminierung und Gewalt Raum und Schutz gegeben werden müsse. Auch er sehe darüber hinaus großen Bedarf in der politischen Bildung, insbesondere aber in der Medienbildung.
Auch das Publikum nimmt rege an der Diskussion teil und nimmt Platz auf dem freien Stuhl neben den Podiumsgästen, um Fragen zu stellen, über eigene Erfahrungen zu berichten oder sich zu positionieren.
Ein Teilnehmer fragt, ob nicht gerade die hohe Diversität der jungen Generation ein Vorteil in der Präventionsarbeit wäre. Vor allem in Schulen würden sehr verschiedene Kinder und Jugendliche aufeinandertreffen, wodurch sich Vorurteile abbauen könnten.
Lieberwirth berichtet aus dem Schulalltag. Zwar sei die Diversität in sächsischen Klassenzimmern im Bundesvergleich nicht so hoch, jedoch kann Schule trotzdem ein Ort der Begegnung sein. Vorurteile könnten in der Schule so aufgebrochen und dieser Prozess von Lehrkräften begleitet werden. Vorsatz widerspricht ihm in dieser Position. Ihrer Erfahrung nach würden in Klassen häufig Gruppen mit bereits sehr gefestigten, teilweise extremen Meinungen aufeinandertreffen. Lehrkräfte seien überfordert und die Konflikte würden über das Klassenzimmer hinaus zwischen den Peer-Groups ausgetragen.

Ein anderer Teilnehmer, der selbst Projekte mit Jugendlichen macht, erzählt, dass es ihm schwerfalle, die Jugendlichen für das Angebot zu begeistern. Wie kann Präventionsarbeit zum Thema Extremismus interessant für junge Menschen sein? Hier ist sich das Podium einig. Die Jugendlichen sollten Selbstwirksamkeit erfahren, statt nur Informationen vermittelt zu bekommen. Wetzel merkt an, es gehe viel um Identitätsbildung – ähnlich wie auch rechte Gruppen Mitglieder für sich gewinnen. Ines Vorsatz sieht noch eine weitere Hürde bei der Prävention: In Schulen würde Prävention immer häufiger als Makel gesehen, als Eingeständnis, die Schule hätte ein Problem mit Rechtsextremismus. Zuletzt wird die Frage aufgeworfen, wer für Präventionsarbeit zuständig sei. Die Angebote der freien Träger seien überlastet, eine einmalige Intervention helfe nicht nachhaltig. Vorsatz plädiert dafür, sowohl die „Profistrukturen“ zu stärken, als auch Personen vor Ort zu befähigen, langfristig wirksam zu bleiben. Auch in der Schule sei Prävention nicht nur Aufgabe der Lehrkräfte, sondern funktioniere nur gemeinsam mit den Eltern, ergänzt Lieberwirth.
Abschließend können die Podiumsgäste Wünsche äußern, wie aus ihrer Sicht die extrem rechte Radikalisierung bestmöglich eingedämmt werden kann. Christian Lieberwirth wünscht sich zum einen mehr Medienbildung, zum anderen langfristige und verstetigte Präventionsangebote. Ines Vorsatz und Gideon Wetzel ergänzen, aus ihrer Sicht brauche es dringend mehr finanzielle Mittel und bessere Bedingungen für die Jugendarbeit und die Forschung zum Thema. Die Politik müsse die Prioritäten entsprechend setzen, beispielsweise in der Haushaltsplanung.
Diese unterschiedlichen Perspektiven verdeutlichen noch einmal, wie komplex die Aufgabe ist und wie wichtig es bleibt, Jugendliche selbst stärker einzubeziehen. Denn auch wenn auf dem Podium keine junge Person vertreten war, wurde deutlich, dass nachhaltige Präventionsarbeit nur gelingt, wenn Jugendliche aktiv mitgestalten können. So lautet das gemeinsame Fazit des Abends: Es sollte mehr mit Jugendlichen statt über sie gesprochen werden.
Der abschließende Appell ans Publikum greift diesen Gedanken noch einmal auf: „Fragt doch einfach mal die Jugendlichen!“

