„Irgendjemand muss es ja machen“

Wie berichten Journalistinnen aus Kriegen – und wie verändert das ihr Leben? Davon erzählt Lotta Pommerien in ihrem Dokumentarfilm „Was bleibt? Journalistinnen in Krisenregionen“. Bei einer Filmvorführung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung sprach die Filmemacherin in Chemnitz mit dem Publikum über den Wert unabhängiger Berichterstattung.

 

Es ist eine eindrückliche Szene: Bewaffnete Männer halten ein Auto an. „Kamera wegpacken!“, ruft jemand. Die Passagiere mit ihren Westen, auf denen „Presse“ steht, müssen aussteigen, die Hände auf das Auto legen. Dann geht alles ganz schnell – Schüsse fallen, Menschen rennen.

Die Szene, die Pommerien gleich zu Beginn ihres Films zeigt, ist eine Übung – ein Training, das Journalistinnen und Journalisten auf den Ernstfall vorbereitet. Doch wie real diese Gefahr ist, wird im weiteren Verlauf des Films deutlich. Auf Einladung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung zeigte Pommerien „Was bleibt? Journalistinnen in Krisenregionen“ Mitte Oktober in Chemnitz.

Der Film begleitet drei deutsche Journalistinnen, die unter unterschiedlichen Bedingungen für verschiedene Medien aus Afrika, Asien und der Ukraine berichten. Pommerien zeigt dabei nicht nur ihre alltägliche Arbeit zwischen Schreibtisch und Einsatzgebiet, sondern auch, wie diese Arbeit ihr privates Leben prägt.

Sie folgt der taz-Korrespondentin Simone Schlindwein, reist nach Neu-Delhi zur damaligen ARD-Korrespondentin Silke Diettrich, die über Südasien von Afghanistan bis Indien berichtet, und begleitet Juliane Tutein, die als freie Journalistin aus Osteuropa filmt.

„Mir war wichtig, unterschiedliche Medien zu porträtieren“, sagt Pommerien in der Diskussion nach der Vorführung. Denn die Arbeitsbedingungen, unter denen Journalistinnen aus Krisenregionen berichten, beeinflussen auch ihre Sicherheit. „Ich habe einen Vorteil gegenüber Freelancern“, erklärt Diettrich im Film. Sie verweist auf die Sicherheitsexperten der ARD, die die Korrespondentinnen im Auslandseinsatz unterstützen – ein Sicherheitsnetz, das freie Journalistinnen nicht haben.

Doch auch als ARD-Korrespondentin sei man in Krisengebieten gefährdet. So erzählt Diettrich, wie sie nach dem Dreh einer Demonstration von Frauenrechtsaktivistinnen in Afghanistan kurzzeitig inhaftiert wurde. Von brenzligen Situationen können alle drei porträtierten Reporterinnen berichten. Pommerien gelingt es, diese Gefahren nicht nur abstrakt nachzeichnen zu lassen, sondern zu zeigen, wie sie den Alltag bestimmen.

Als Simone Schlindwein die Regisseurin im Auto mit zu ihrem Haus in Uganda nimmt, bittet sie, die Anfahrt nicht zu filmen. Sie erzählt, wie sie 2016 in ihrer damaligen Wohnung vom Geheimdienst überfallen wurde, der alle Unterlagen beschlagnahmte. „In Uganda haben die Straßen immer noch keine Namen. Die Regierung würde mich nie finden. Damals wussten sie, wo ich wohne. Das würde ich jetzt gern vermeiden – auch wegen meines Kindes“, sagt sie, während sich das große Tor zu ihrem Haus öffnet.

Die taz-Korrespondentin beschreibt im Film, wie sich ihre Arbeit verändert hat, seit sie Mutter ist. Pommerien begleitet sie wie sie mit ihrem Kind privat unterwegs ist und dennoch immer wieder auf ihr Smartphone schaut, weil es im Nachbarland gerade eine Entwicklung gibt, über die sie berichten muss.

Früher berichtete sie immer direkt aus vor Ort Konfliktgebieten, erklärt Schlindwein. Heute wäge sie genauer ab, in welche Regionen sie sich selbst begebe. „Ich dachte immer, ich bekomme keine Kinder, weil der Job es nicht zulässt. Jetzt umgehe ich Themen, bei denen ich weiß, das wird brenzlig. Irgendeinen Kompromiss muss ich ja machen – im Spagat zwischen meinem Job und meinem Kind.“

Einen besonderen Fokus legt Pommerien dadurch, dass sie bewusst drei Frauen begleitet. So zeigt sie Diettrich, wie sie vor ihrer Reise nach Afghanistan verschiedene Verschleierungen anprobiert. Seit der Machtübernahme der Taliban können westliche Journalistinnen dort nicht mehr arbeiten, ohne sich den islamischen Kleidungsvorschriften zu unterwerfen – eine Einschränkung, die männliche Kollegen nicht betrifft.

„Ich finde es manchmal gut, einen Taliban als Frau zu interviewen, weil davon sind die wirklich genervt“, sagt Diettrich. Als Frau zu berichten, habe auch Vorteile, meint sie. Ihre männlichen Kollegen kämen oft ohne O-Töne von Frauen zurück, weil diese in Afghanistan versteckt würden, sobald ein anderer Mann ein Haus betritt.

Auch Juliane Tutein, die aus der Ukraine berichtet, spricht im Film über Vor- und Nachteile als Reporterin unterwegs zu sein. „Es ist schwierig – man wird von Männern manchmal nicht ernst genommen. Manche erzählen aber auch offener, wenn sie von einer Frau interviewt werden“, sagt sie.

Thematisch widmet sich der Film, der ohne Erzähler auskommt und allein entlang der Beschreibungen der Protagonistinnen erzählt, auch der Gratwanderung, die Journalismus in Krisenregionen bedeutet. Pommerien begleitet Tutein, wie sie in Deutschland Spenden sammelt, Lebensmittel kauft und sie selbst in die Ukraine bringt. Diettrich reflektiert: „Ich habe früher gedacht, mit der Arbeit etwas zu verändern.“ Ihre Aufgabe sei es aber vor allem, sauber darzulegen, was passiert. Ob sich etwas durch ihre Arbeit verändert, wisse sie nicht. „Was passiert, würde nicht gezeigt werden, wenn niemand diese Arbeit macht“, sagt sie.

Das, was in Afghanistan geschehe, lasse sie jedoch nicht kalt. „Gerade bei jungen Frauen bricht es mir das Herz“, sagt Diettrich über die vielen Menschen vor Ort, die sie bitten, ihnen aus dem Land heraus zu helfen. Auch Journalistinnen blieben davon nicht unberührt. Als die Taliban 2021 die Macht übernahmen und die Bilder vom Flughafen Kabul um die Welt gingen, wäre sie wie gelähmt gewesen und hätte nicht arbeiten können, erzählt sie im Film.

Die Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung in Chemnitz interessierten sich nach der Vorführung nicht nur für die Details und Abläufe journalistischer Arbeit. Sie wollen auch Pommeriens persönliche Perspektive hören.

Die Regisseurin berichtet, wie sie beim Dreh selbst gespürt habe, in welchem adrenalingeladenen Zustand die Journalistinnen arbeiten. „Ich habe lange gebraucht, um das zu verarbeiten“, sagt sie. Für sich persönlich habe sie aber entschieden, dass diese Form des Arbeitens nichts sei. „Ich habe nicht den Mut dieser Frauen.“