Hoffen auf das Ende des Putin-Regimes
Der 10. Dezember ist ein besonderer Tag: „Internationaler Tag der Menschenrechte“. Die Vereinten Nationen erinnern an diesem Tag an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und daran, dass diese Rechte weltweit verletzt werden. Zu diesem Anlass gebe es auch in Russland Veranstaltungen, aber derartige Inszenierungen könne man längst nicht mehr ernst nehmen, sagt die Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulman. Zu verlogen seien die beteiligten Gremien in Russland heute, besetzt seien sie vor allem mit „Denunzianten“. „Man kann sich das nicht mehr anschauen, ohne angewidert zu sein“, sagt Schulman. Sie kommt aus Russland, inzwischen lebt sie in Deutschland. Ihre Heimat hat sie verlassen, wie viele andere Menschen, die unter dem Regime von Wladimir Putin nicht mehr sicher leben und arbeiten können.

Sie sei froh, an diesem Tag in Dresden sprechen zu können, sagt Ekaterina Schulman, über die aktuelle Lage in Russland und die Verletzung von Menschenrechten dort. Die Veranstaltung ist Auftakt der Reihe: „Was uns verbindet: Menschenrechte weltweit“. Beim ersten Teil liegt der Fokus auf Russland. Veranstaltungen zu weiteren Ländern, in denen Menschenrechte verletzt werden, sollen folgen. Der Abend ist eine Kooperation der Landeszentrale für politische Bildung, der Gedenkstätte Bautzner Straße und des Vereins Russischsprachige Demokratinnen und Demokraten Sachsen.
Putin ist quasi mit im Raum
„In den 90er-Jahren war Aufbruchstimmung. Man dachte, es wird besser, was die Einhaltung der Menschenrechte angeht“, sagt Henry Krause, Vorsitzender des Trägervereins der Gedenkstätte Bautzner Straße zur Begrüßung. „Aber nach der Jahrtausendwende änderte sich das. Man hörte zunehmend von Menschenrechtsverletzungen aus vielen Ländern.“ In den vergangenen Jahren habe sich das stetig verschärft. „Die drei Kooperationspartner empfinden eine besondere Verantwortung für die Menschenrechte, für die Freiheit“, sagt Krause, deshalb habe man diesen Abend organisiert.

Die Diskussion findet an einem ebenfalls besonderen Ort statt: im Festsaal der Dresdner Stasi-Gedenkstätte. Wladimir Putin ist quasi mit im Raum. Von 1985 bis 1990 hat er in Dresden als KGB-Agent gearbeitet, in einer Villa gegenüber auf der anderen Straßenseite. Putin war damals auch in diesem Saal, KGB-Agenten und Stasi-Funktionäre haben hier 1987 beim „Ball der Waffenbrüderschaft“ zusammen gefeiert. Putin bekam damals sogar einen Orden überreicht. Fotos und Dokumente aus dieser Zeit sind auf einem Tisch im Saal ausgestellt, Erinnerungen an die Allianzen früher. Und daran, wo die Karriere des Machthabers Putin begonnen hat. An diesem Ort hat Putin aber auch eine der größten politischen Niederlagen seines Lebens miterlebt: den Zusammenbruch der DDR. Menschen aus Zivilgesellschaft und Bürgerrechtsbewegungen haben 1989 dieses Haus, die damalige Dresdner Stasi-Zentrale, gestürmt. Es ist unklar, ob Putin selbst in jenem Moment in der Menschenmenge war. Aber sicher ist, beim Zusammenbruch der DDR war er dabei. Es gehört zu den Erfahrungen, die ihn ebenfalls geprägt haben: Dass Menschen ein System auch stürzen können.

An diesem Abend hoffen in dem Dresdner Saal viele, dass das Regime von Putin in Russland eines Tages zusammenbrechen wird. Das Interesse an der Veranstaltung ist groß, über 120 Menschen sind gekommen. Im Publikum sind interessierte Zuhörer aus Sachsen. Auch Menschen aus Russland sind darunter, teils leben sie schon lange in Dresden und Umgebung, teils sind sie nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine aus Russland geflohen.
Oppositionelle und Minderheiten als Feindbilder
In einem Impulsreferat analysiert die Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulman die aktuelle Lage aus ihrer Sicht. Russland sei noch keine totalitäre Diktatur, sondern bewege sich im Spektrum eines autoritären Staats, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten geht, so schätzt sie es ein. „Der Hauptunterschied ist, dass es in totalitären Regimen Repressionen für etwas gibt, was Menschen sind. In autoritären Regimes für etwas, was Menschen tuen.“ In Russland seien aktuell vor allem Oppositionelle und Minderheiten Feindbilder. Und: „Die Repressionen nehmen zu.“ Der russische Machtapparat habe im Land Gesetze geschaffen, in diesem Spektrum bewege sich das Regime größtenteils. „Aber es gibt Ausnahmen: Das betrifft die von Russland okkupierten Gebiete in der Ukraine und die Aktivitäten des russischen Geheimdienstes FSB“, sagt Schulman. „Das sind Zonen, wo Menschen spurlos verschwinden.“ Da gebe es keine Einhaltung von Rechten.
Auf dem Podium sitzt auch Olga Romanowa. Sie ist Journalistin und Leiterin der NGO Russland hinter Gittern, die Organisation engagiert sich für Häftlinge, darunter politische Gefangene in russischen Haftanstalten und Straflagern. Auch Romanowa ist nach Deutschland emigriert und arbeitet seither mit weiteren Helfern von hier. Wie würde sie das Lebensgefühl in Russland gerade beschreiben, fragt sie Moderator Alexander Thamm. „Das erste Wort, das mir einfällt, ist: Angst, sogar Panik, wenn ich mir die Nachrichten von Helfern anschaue, die Gefangene unterstützen“, antwortet sie, so schlimm seien die Schicksale vieler Gefangener, die Zustände in Lagern. In Russland wurde die NGO als „unerwünschte Organisation“ eingestuft, die Bedingungen ihrer Arbeit seien sehr schwierig. Es müsse viel auf die Sicherheit von Beteiligten geachtet werden. Aber: Die Arbeit geht weiter. „Weil das eine Hoffnung für die Menschen ist, die dort gefangen gehalten werden“, sagt Romanowa.

Viele Gegner des Putin-Regimes sind aus Russland emigriert, andere sind geblieben und machen ihre Arbeit im Land weiter, konspirativ, unter prekären Bedingungen. Wie viel Opposition ist in Russland noch möglich? Die Arbeit der NGO sei auch eine Art von Opposition, sagt Olga Romanowa. „Menschen sehen die Möglichkeit etwas zu machen, auch unter diesen Bedingungen.“
Der Moderator erinnert an den Ort, an dem man hier sitzt. Der Ort, wo Putin früher auch war. Aber auch ein wichtiger historischer Punkt, an dem man sehen konnte, wie ein System, die DDR, zerstört wurde. „Wie sehen Sie die Wahrscheinlichkeiten, dass das System Putin auch kaputtgeht?“ Bei den aktuellen „Friedensverhandlungen“, in denen vor allem Trump und Putin sowie ihre Unterhändler dominieren, sehen beide Frauen bisher keine großen Anzeichen, dass diese einen Waffenstillstand und einen nachhaltigen, gerechten Frieden bringen werden. Aber eines Tages wird das System Putin zusammenbrechen, das hoffen sie. „Das Regime in Russland stützt sich auf Persönlichkeiten und Verbindungen, das verschafft ihm Stärke“, sagt Ekaterina Schulman. Man sehe am Assad-Regime in Syrien, dass solch ein Regime auch schnell fallen könne. Die Prognose für Russland sei schwierig. „Aber die Erfahrung aus der Geschichte ist, dass solche Regimes selten ihre Anführer überleben.“
Am Ende will der Moderator wissen: Was kann Deutschland tun, um die Arbeit zu unterstützen. Die Antwort von Olga Romanowa kommt schnell: „Geben Sie der Ukraine Waffen“, sagt sie. Und sie erinnert daran, dass man auch kleine Dinge tun könne. Briefe an Gefangene in russischen Haftanstalten schreiben zum Beispiel. Das könne man auch von Deutschland aus machen. Für die Häftlinge in Russland sei es wichtig, nicht vergessen zu werden.