„Grönland wird nicht amerikanisch werden, aber es wird weniger dänisch“

Für manche mag Grönland nur ein weißer Fleck auf der Landkarte sein – nicht für Donald Trump. Im Februar sagte der US-Präsident, früher oder später werde Grönland Teil der USA werden. Grönlandexpertin Birgit Stöber von der Business & Law School in Berlin erklärt, wie ernst Trumps Drohung zu nehmen ist, und wie die Bevölkerung ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit näher kommen kann.

 

Frau Stöber, warum ist Grönland für die USA von strategischer Bedeutung?

Birgit Stöber: Grönland liegt zentral zwischen Nordamerika sowie dem russischen und chinesischen Einflussraum. Das ist eine wichtige strategische Position, die Grönland bereits im Zweiten Weltkrieg für die USA hatte. Hinzu kommt der Rohstoffreichtum des Landes. Es wird von großen und vielfältigen Vorkommen ausgegangen. Besonders die seltenen Erden stehen derzeit im Fokus, da viele Staaten unabhängiger von China werden wollen. Es geht also sowohl um eine geostrategische Position als auch um Rohstoffe.

Norwegens Militärführung sagte, Trumps Ansprüche seien reine Rhetorik. Zugleich berichtete der dänische Rundfunk Ende August von verdeckten US-Operationen, die die Beziehung zu Dänemark schwächen sollen. Wie ernst meint es Trump?

Birgit Stöber: Man sollte Trumps Ansprüche nicht herunterspielen. Er handelt oft erratisch, die verdeckten Operationen sind aber eine hässliche Form der Einflussnahme – und nicht die erste. Schon länger kursieren Gerüchte über Strohmänner, die in der Hauptstadt Nuuk Immobilien kaufen. Trump ignoriert, dass in Grönland 56.000 Menschen leben, die keine Schachfiguren, sondern stolze Grönländerinnen und Grönländer sind.

Wie reagieren die Grönländer auf Trump?

Birgit Stöber: Die vorgezogenen grönländischen Parlamentswahlen im März waren ein klares Signal: Die Grönländer wollten zeigen, dass sie sich politisch selbst äußern können. Viele betonen, dass sie nach dem Prozess der Loslösung von Dänemark keinesfalls bereit sind, sich erneut einer anderen Macht unterzuordnen.

Wie verhält sich Dänemark als einstige Kolonialmacht Grönlands?

Birgit Stöber: Einige in Grönland sagen, dass die amerikanische Rhetorik das Gute hat, dass Dänemark sich nun seiner Verantwortung stärker bewusst wird. Jahrzehntelang hat Dänemark eine Aufarbeitung der dänisch-grönländischen Vergangenheit versäumt. Jetzt, unter Premierministerin Mette Frederiksen, nimmt Dänemark eine deutlich aktivere Haltung in der Aussöhnung mit den Grönländern ein.

Was heißt das konkret?

Birgit Stöber: Ein besonders dunkles Kapitel sind die Zwangssterilisationen: In den 1960er- und 70er-Jahren erhielten mehrere Tausend Frauen ohne ihr Wissen unter dänischer Verantwortung Spiralen eingesetzt, um Schwangerschaften zu verhindern. Diese Praxis endete nicht einmal, als das Gesundheitswesen in grönländische Verantwortung überging. Ende August entschuldigte sich die dänische Premierministerin erstmals offiziell. Viele Betroffene sagen, eine Entschuldigung reicht nicht. Sie fordern auch Entschädigungen.

Der neue grönländische Ministerpräsident Jens-Frederik Nielsen will die Beziehungen zu Dänemark zunächst ausbauen. Trumps Ansprüche weist er zurück. Langfristig setzt er sich aber für die Souveränität Grönlands ein. Wie realistisch ist dieser Weg?

Birgit Stöber: Der Weg zur vollständigen Souveränität ist noch weit und mit vielen Hürden verbunden. Über die Jahrzehnte wurden zwar immer mehr Kompetenzen auf die grönländische Regierung übertragen. Außenpolitik, Polizei und Justiz liegen aber weiterhin bei Dänemark. Gerade im Rechtswesen könnte es künftig mehr Eigenständigkeit geben. Dafür braucht es jedoch gut ausgebildete Grönländerinnen und Grönländer. Die fehlen auch in anderen Bereichen. In der Stadt Sisimiut, in der ich kürzlich war, gibt es keine Anästhesisten, sodass größere Operationen nach Nuuk oder Dänemark verlegt werden müssen. Das zeigt, dass Grönland noch lange Unterstützung braucht, bevor es auf eigenen Beinen stehen kann.

Kann Grönland ökonomisch überhaupt auf eigenen Beinen stehen?

Birgit Stöber: Grönland erhält jährlich rund 550 Millionen Euro aus Dänemark. Eigene Rohstoffe könnten Unabhängigkeit bringen, doch bislang blockieren das Eis und die fehlende Infrastruktur den Abbau. Zwar nimmt die Zahl der Touristen zu, doch sind die Kapazitäten im Hotelwesen und Flugverkehr trotz Neueröffnung des Flughafens in Nuuk begrenzt. Flughäfen funktionieren teils schlecht, das liegt zum einen am Wetter, zum anderen aber auch an den Grönländern selbst.

Inwiefern?

Birgit Stöber: Gerade der Flughafen in der Hauptstadt hat hart zu kämpfen mit der Personalsituation. Obwohl die Beschäftigten einen Vertrag haben, erscheinen sie manchmal einfach nicht. Viele in Grönland räumen selbst ein, dass an einigen Stellen die Arbeitsmotivation angepasst werden müsste, um bestimmte grönländische Wünsche auch selbst umsetzen zu können.

Gibt es innerhalb Grönlands auch unterschiedliche Visionen für die Zukunft des Landes?

Birgit Stöber: Eine zentrale Frage im Land ist: Wer darf sich Grönländer nennen? Manche wachsen hier auf, ohne Grönländisch zu lernen, andere weigern sich konsequent, Dänisch zu sprechen, was ihnen wiederum den Weg zu höherer Bildung erschwert. Diese Sprach- und Identitätspolitik reibt das Land gerade ziemlich auf.

Was denken Sie, was kann sich realistisch in den nächsten Jahrzehnten in Grönland verändern?

Birgit Stöber: Wahrscheinlich wird Grönland künftig weniger Eis haben, was neue Möglichkeiten eröffnet, etwa in der Landwirtschaft oder beim Aufbau stabilerer Infrastrukturen. Zudem wird die Gesellschaft vielfältiger: Schon jetzt arbeiten viele Filipinos in unterschiedlichen Funktionen, was die Gemeinschaft verändert. Auch Englisch gewinnt an Bedeutung, nicht durch amerikanischen Einfluss, sondern weil mehr Nicht-Dänen und Nicht-Grönländer hinzukommen.

Und außenpolitisch?

Birgit Stöber: Ich bin mir sicher, Grönland wird nicht amerikanisch, aber es wird wohl etwas weniger dänisch. Diesen Weg wünsche ich auch der grönländischen Bevölkerung. Gleichzeitig gibt es noch viele Hürden und Einflüsse, durch die sie sich bis dahin navigieren müssen.

Birgit Stöber berichtet über "Grönland – Spielball der Großmächte? Was das „Land der Menschen“ bewegt." bei weiteren Veranstaltungen dieser Reihe:

Birgit Stöber kennt Dänemarks Verhältnis zu Grönland aus jahrelanger Tätigkeit in Wissenschaft, Journalismus und Diplomatie. Heute lehrt sie als Professorin an der Business & Law School in Berlin. Zuvor berichtete sie unter anderem für die Berliner Zeitung aus Kopenhagen, promovierte über dänisch-schwedische Medienkooperationen an der Universität Kopenhagen, lehrte an der Copenhagen Business School und verantwortete die Pressearbeit der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin.