Flandern, Sachsen und Europas Regionen

Am 19. April waren Vertreter des flämischen Regionalparlamentes in Dresden zu Besuch. Am Abend waren sie zu Gast bei einer Podiumsdiskussion in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Der Parlamentspräsident Flanderns, Jan Peumans und der Sächsische Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler diskutierten zum Thema „Die Rolle der Regionalparlamente in Europa von Morgen“. Das Gespräch, das live ins Deutsche und Niederländische übersetzt wurde, moderierte der ZDF-Journalist Michael Bewerunge.

Flandern ist der nördliche Teil Belgiens, wird auch noch die Flämische Region genannt, und bezeichnet die Heimat der niederländisch sprechenden Belgier. Das Gebiet ist mit rund 6,5 Millionen Einwohnern auf rund 13.500 Quadratkilometern zwar etwas kleiner als Sachsen, aber wesentlich dichter besiedelt. Zum Vergleich: Sachsen zählt etwas mehr als 4 Millionen Einwohner.

Auch politisch gibt es Unterschiede. Darauf geht Jan Peumans in seinem ersten Statement direkt ein: „Wir haben mehr Zuständigkeiten, in Ausbildung und Schulbildung sind wir zum Beispiel völlig autonom.“ Das sei aber eine lange Entwicklung gewesen. In den vergangenen Jahrzehnten habe es sechs Staatsreformen gegeben und bei jeder haben die einzelnen Regionen in Belgien mehr eigenständige Rechte bekommen.

Reformen beschneiden die Länderkompetenzen

Matthias Rößler verweist auf die 1000-jährige Geschichte Sachsens und die eigene Verfassung. Dennoch sei das einheitliche Deutschland grundsätzlich positiv zu bewerten. „Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt“. Der Föderalismus sei auch historisch bedingt. Rößler beklagte, dass es für die Länder nahezu keine eigene Steuer gäbe. Und im Gegensatz zu Belgien würde der Anteil an eigenen Kompetenzen nach jeder Reform sinken. Die Bundesaufsicht mische sich in immer mehr Bereich ein. Wobei es durchaus sinnvoll sei, Standards zwischen den Bundesländern zu vereinheitlichen.

"Der Bund hat uns gar nichts zu sagen"

Jan Peumans verdeutlicht die Unterschiede. In Belgien könne Bundesrecht nicht Landesrecht brechen, so wie dies in Deutschland gehandhabt wird. „Regionale Konflikte bleiben auf regionaler Ebene.“ Die Steuern würden in Belgien geteilt und die Regionalregierung ist für den Umgang damit in der Region verantwortlich. Allerdings gäbe es auch Themen, für die dann die Föderalregierung zuständig sei, so zum Beispiel die Sicherung der Außengrenzen oder die Einwanderung.

Bei dem Thema stellt Matthias Rößler fest, dass das Deutsche Zweikammersystem nicht vollständig sei. Zwar gebe es den Bundestag und die Ländervertretung Bundesrat. Dieser sei aber eine Vertretung der jeweiligen Regierungen, nicht der Parlamente. Diese hätten es schwer, auf den Bundesrat einzuwirken. Noch schwerer sei es für ein Landesparlament auf die Europäische Gesetzgebung Einfluss zu nehmen, aber er betont: „Sachsen hat auch Landtagsvertreter in Brüssel“.

"Wir merken Europa jeden Tag"

An der Stelle hakt der Belgier Jan Peumans ein, er lebt in einem kleinen Dorf, spürt aber die Auswirkungen europäischer Politik jeden Tag. Er stellt fest: „Europa wird von der Bevölkerung nicht akzeptiert“. Rößler ergänzt: „Meine Heimat ist Sachsen, aber der Heimatbegriff ist auch integrativ, ich sehe mich als deutschen Patrioten.“ Kultur verbinde und Werte wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit seien auf der europäischen Kultur gewachsen.

Dann schwenkt die Diskussion auf Unabhängigkeitsbestrebungen innerhalb der EU. Peumans hebt die Schotten hervor, die gegen den Brexit gestimmt haben und leitete dann über auf die Unabhängigkeiten in Belgien. Das sei ein föderaler Staat, auch wegen der Kultur, der Sprache aber auch wegen der Industrie. Er sagt: „Das Volk muss auch seinen Willen aussprechen können.“

Peumans plädiert für katalanische Selbstbestimmung

Dass die Schotten, die Basken, die Katalanen ihre Unabhängigkeit wollen, begrüßt er. Der europäische Staat solle sich für die Rechte dieser Bürger einsetzen. Er hätte erwartet, dass der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, bei dem Katalonien-Konflikt vermittelt hätte. Aber die EU habe sich darauf zurückgezogen, die Einheit Spaniens zu respektieren. „Ich habe Belgien als Einheitsstaat erlebt, wir mussten auch für unsere Sprache kämpfen.“ Inzwischen gäbe es immer mehr Regionalkompetenzen und das sei gut so.

Mit deutschem Föderalismus wunderbar bedient

Auf die Frage, ob er sich einen Austritt Sachsens aus Deutschland vorstellen könne, muss Rößler erstmal herzhaft lachen. Nein, er sei schließlich mit dem Wiedervereinigungswunsch sozialisiert worden. Es müsse einen vernünftigen Ausgleich zwischen Bund und Ländern geben, mit klaren Zuordnungen. Er könne nirgendwo eine Tendenz für eine Herauslösung aus Deutschland erkennen, selbst bei den Nettozahlern im Bund. Damit ist die Diskussion beim Finanztransfer. Während es in Belgien einen Ausgleich von Flandern in die strukturschwache Walonie gibt, hebt Rößler hervor, dass sich Deutschland sehr solidarisch zeige. Seit 1990 seien rund zwei Billionen Euro von West nach Ost geflossen. Das hätte viel zur Stabilität in der Gesellschaft beigetragen. „Die Wiedervereinigung ist eine Erfolgsgeschichte.“

Nach gut anderthalb Stunden gibt der Moderator die Fragerunde frei. Erläutert wird nun noch einmal die genaue regionale Struktur in Belgien mit dem Sonderfall Brüssel. Landeszentralendirektor Löffler beschließt die Diskussionsrunde mit einem Verweis auf die gemeinsame europäische Geschichte und die Besucher folgen der Einladung des Landtagspräsidenten zum Empfang. 

Autor Jan Frintert führt die Textwerkstatt Dresden. Fotos: Benjamin Jenak

Bericht des Flämischen Parlamentes zum Besuch in Sachsen.