Peer-Angebote, Planspiel, Faktenchecks: Fachtag „Irgendwas mit Medien 3.0“
„Die Schüler haben heftig protestiert, das wäre alles gar nicht so“, erzählt eine Leipziger Berufschullehrerin. Das Video einer Hilfsorganisation über Schulunterricht in Syrien führt zu einer heftigen Diskussion in ihrer Vorbereitungsklasse. Als die Schüler ihr dann ein YouTube-Video zeigen, dass ein gänzlich anderes, geradezu glänzendes Bild von Schulunterricht in Syrien zeigt, kommt sie zu dem Schluss: Das dürfte Propaganda sein.
In der Diskussion mit den Lernenden aber kommt sie an ihre Grenzen. Sie merkt: Ihr fehlen die Methoden und Instrumente, um zu vermitteln, was Propaganda ist. Also hat sie sich zum Fachtag „Irgendwas mit Medien 3.0 – politische Medienbildung im Fokus“ angemeldet.
Schulische und außerschulische Angebote verbinden
Und da ist sie genau richtig: Gemeinsam veranstalten Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) und Aktion Zivilcourage e. V. zum dritten Mal diesen Fachtag. Längst ist die Veranstaltung zur Institution geworden, die politische Bildung und Medienbildung verbindet und schulische wie außerschulische Angebote sichtbar macht. Rund 120 Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie pädagogische Fachkräfte aus dem außerschulischen Bereich sind der Einladung gefolgt.

Neben Lehrkräften haben die beiden Veranstalter dieses Mal auch bewusst Schülerinnen und Schüler eingeladen. So soll ein gegenseitiger Lernprozess entstehen, der die alltägliche Mediennutzung der Jugendlichen einbezieht, erläutert Sabine Kirst von der SLpB zu Beginn der Veranstaltung. Denn, so sagt Kirst : „Ich wüsste nicht, wie ich bei TikTok etwas stitche. Viele Lehrkräfte vermutlich auch nicht, aber die Schülerinnen und Schüler wissen es!“
Verwundert schaut nicht nur die Berufsschullehrerin aus Leipzig: Was bitte ist ein „Stitch“? Später wird sie es erfahren – eine TikTok-Funktion, mit der sich Ausschnitte fremder Videos in den eigenen Clip einfügen lassen – und erleichtert feststellen, dass sie nicht die einzige Person im Raum ist, die das nicht wusste.
Wie gefährlich ist der Rechtsextremismus bei TikTok?
Die Veranstaltung in Dresden ist geprägt von intensiver Diskussion, Erfahrungsaustausch und Wissensvermittlung. Zunächst betritt Theresa Lehmann die Bühne, politische Referentin und Projektleiterin bei der Amadeu Antonio Stiftung. Unter dem Titel „Trend: Radikalisierung – politische Meinungsbildung auf TikTok“ referiert sie über die Verbreitung rechtsextremer Inhalte in dem sozialen Netzwerk, das sich gerade bei Jugendlichen allergrößter Beliebtheit erfreut.

Lehmann nennt aktuelle Zahlen: Laut einer Forsa-Studie haben bereits 76 Prozent der Befragten Hass im Internet wahrgenommen. Sie beschreibt drei zentrale Ebenen der Nutzung der Plattform durch Rechtsextreme: Die Verbreitung von Propaganda, die Vernetzung und Rekrutierung für die Szene sowie die Bedrohung anderer politischer Positionen, verbunden mit dem Versuch, die Diskurshoheit zu erlangen. Rechtsextreme Influencerinnen und Influencer würden dabei an die bestehende Popkultur anknüpfen, Reichweiten aufbauen und versuchen, durch vermeintliche Trends Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen, berichtet sie. Dabei handle es sich aber oft um „Astro-Turfing“ – also den Versuch, eine große Bewegung vorzutäuschen, die in Wahrheit viel kleiner ist.
TikTok reiht sich für sie ein in eine ganze Sammlung von sozialen Netzwerken und Plattformen, die von Extremisten genutzt werden, um ihre Inhalte zu verbreiten. Lehmann betonte, dass es weniger um die Plattform selbst als vielmehr um die Art und Weise gehe, wie sie genutzt werde. Aus ihrer Sicht sei es sehr wichtig, das rechtsextreme Agieren auf den Plattformen im Blick zu behalten. Es gehe schlicht darum, Schaden von der Demokratie abzuhalten.
Am Ende ihrer Keynote spricht Lehmann auch Empfehlungen aus: Wer das soziale Netzwerk beobachten wolle, um auf dem Laufenden zu bleiben, arbeite besser mit einem Zweitaccount. Wichtiger aber: Man solle versuchen, mit den jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern im Gespräch zu bleiben. Denn, so Lehmann, hätten die Kinder und Jugendlichen häufig Fragen, wie bestimmte Inhalte einzuordnen sind, und bräuchten dabei Hilfe. „Wir sollten sie damit nicht allein lassen.“
Methoden, Spiele, Medienkompetenz
Nach der Keynote folgen die Projektspots. In den 45-minütigen Formaten können Lehrkräfte Einblicke in die Arbeit der außerschulischen Initiativen gewinnen. Für Vertreterinnen und Vertreter anderer Bildungseinrichtungen wiederum bieten die Spots eine hervorragende Gelegenheit, neue Methoden kennenzulernen und in den Erfahrungsaustausch zu gehen.

Fünf Projektspots stehen auf der Tagesordnung: Die Aktion Zivilcourage e. V. stellt zum Beispiel ihre Peer-Projekte „Goodbye Hate Speech“ und „Grundgesetz und Werte“ vor. Im ersten werden Jugendliche ausgebildet, schulische Diskussionen zu Hassrede und Extremismus anzuleiten. Dabei geht es um einen kritischen und reflektierten Umgang mit den Netzphänomenen. Bei „Grundgesetz und Werte“ vermittelt die Aktion den Jugendlichen, wie man Diskussionen über die Demokratie moderieren kann. Mit im Angebot: ein selbstständig angeleitetes Aktionsformat.
Speziell an Grundschülerinnen und Grundschüler richtet sich das Angebot der Aktion Zivilcourage „Schöne digitale Welt“, das ebenfalls einen Projektspot füllt. Das Angebot vermittelt hier auf spielerische Weise einen reflektierten Umgang mit eben jener "schönen digitalen Welt".
Im Projektspot der SLpB stellt Sabine Kirst die aktuellen Projekte und Formate der Landeszentrale zur politischen Medienbildung vor. Ihre Vorstellung des Medienplanspiels an Schulen und des kommenden Blended-Learning-Kurses der SLpB, wo traditionelle Präsenzveranstaltungen und moderne E-Learning-Formate miteinander verknüpft werden, stoßen auf reges Interesse. Die Fortbildung für pädagogische Fachkräfte in Schule, Ausbildung, Sport und Freizeit zeigt in mehreren Modulen, wie Themen wie Hate Speech oder Desinformation im Unterricht besprochen werden können. Kirst stellt den anwesenden Lehrerinnen und Lehrern aber auch die Frage: Wo kann die Landeszentrale noch weiter unterstützen? Welche Bedarfe gibt es, die noch nicht abgedeckt werden?
In den Workshops der Lie Detectors und von Salon5 Chemnitz, einem Angebot von Correctiv, schließlich geht es um weitere Formate, die direkt von Schulen gebucht und im Unterricht eingesetzt werden können. Beide Projekte vermitteln altersgerecht Medienkompetenz und begeisterten die Teilnehmenden mit konkreten Beispielen und Übungen.
Ein Hai als alter Bekannter
Um das Wissen bei den Anwesenden noch weiter zu vertiefen, stehen nach dem Mittagessen vier Workshops zur Auswahl, deren Inhalte sich teilweise mit den Projektspots überschneiden. So soll allen Teilnehmenden ermöglicht werden, die einzelnen Projekte kennenzulernen. Der Fernsehjournalist Sven Knobloch von den Lie Detectors führt in seinem Workshop „Fit im Umgang mit Fakes, Lügen und Enten“ die Teilnehmenden praktisch an die Recherchearbeit heran und lässt sie Aussagen, Bilder und Zitate überprüfen. Dazu gehört das Foto von einem Hai, der nach einem Hurrikan angeblich auf einem US-amerikanischen Highway seine Bahn zieht. „Richtig, der Hai schwimmt seit mindestens 15 Jahren durch das Internet“, kommentiert Knobloch die Rechercheergebnisse einer Gruppe. Immer wieder taucht der Fisch in Fotomontagen im Netz auf – so auch bei dem vermeintlichen Highway-Foto. Knobloch stellt auch über die Lie-Detectors-Checkliste aus zehn Schritten vor, um Falschmeldungen zu prüfen – darunter Quellenanalyse, Bilderrückwärtssuche oder das Kontrollieren eigener Emotionen.

Auch in den anderen Workshops wird fleißig gearbeitet: Das Serious Game „Deine Stimme“ (Workshop 2) der Bayrischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit vermittelt Schülerinnen und Schülern ab Klasse 8, wie Wahlentscheidungen wirken und wie populistische Strategien funktionieren. Heute sind die Teilnehmenden aber zum Teil deutlich älter und lernen das Spiel richtig kennen. Charlott Ebert von der Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung Sachsen referiert in Workshop 3 über antifeministische Narrative und deren Verbreitung über Social Media. Titel ihres Workshops: „Rechtsradikale Influencerinnen: weiblich, jung, reichweitenstark“. Und im Correctiv-Faktencheck-Workshop schlüpfen Lehrerinnen und Lehrer in die Rolle von Schülerinnen und Schülern und trainieren selbst das Überprüfen von Informationen.
Die Workshops machen deutlich, wie vielfältig die methodischen Ansätze sind: Sie reichen von Spielen über journalistische Recherche bis hin zu Diskussionsstrategien.
Impulse und Einblicke
Am Nachmittag werden die Projektspots in mehreren Durchläufen angeboten. So können die Teilnehmenden von Station zu Station wechseln, unterschiedliche Methoden ausprobieren und die vorgestellten Initiativen besser kennenlernen. Neben inhaltlichen Diskussionen stehen auch praktische Fragen im Raum: Wie kann man Projekte an die eigene Schule holen? Wie lassen sich Eltern einbinden? Und welche Rolle spielen Peers bei der Ansprache?

Deutlich wird dabei, warum eine solche Veranstaltung notwendig ist: Denn bei der reinen Netz-Recherche ist es für Lehrerinnen und Lehrer häufig sehr schwer, einen Überblick über die Angebote zu bekommen. Vor allem aber ist aus den Selbstdarstellungen oftmals nicht richtig ersichtlich, in welcher Qualität und Tiefe die jeweiligen Projekte agieren. Allein deswegen lohnte es schon, zum Fachtag zu kommen und tiefer einzutauchen in die Welt der außerschulischen Angebote, die sich mit politischer Medienbildung und Medienkompetenz-Vermittlung beschäftigen.
Zum Ende des Tages sind sich die Teilnehmenden einig: Veranstaltungen wie der Fachtag geben einen hervorragenden Einblick in die unterschiedlichen Formate. Unsere Berufschullehrerin aus Leipzig ist am Ende überaus dankbar: „Ich habe heute Impulse über sehr spannende Projekte bekommen, die ich gern an meiner Schule weiterempfehlen will. Und ich habe eine Person gefunden, die auch in meine Vorbereitungsklasse kommt und Medienbildung macht! Das ist großartig!“
Text: Peter Stawowy
Redaktion: SLpB