Digitalisierung: Ökologische Chancen und Grenzen am Beispiel der Landwirtschaft

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Er bezieht sich auf das Thema der Veranstaltung "Digitale Technologien als nützliche Helfer oder stromfressende Monster im Kampf gegen den Klimawandel?" vom 24. Februar 2021 und liefert einen weiteren Blickwinkel und Beitrag zur Diskussion.

In digitale Innovationen werden große Hoffnungen gesetzt. Sie sollen beispielsweise helfen, gesellschaftlichen Herausforderungen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu begegnen, etwa indem Ressourcennutzung und Energieverbrauch effizienter gestaltet werden, die Logistik entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum Abfall optimiert wird oder indem Prozesse und Umweltnutzung besser überwacht werden. Die EU-Kommission erkennt den Agrarsektor in ihrer Mitteilung „Künstliche Intelligenz für Europa“ als ein Haupteinsatzgebiet für KI an, in dem es ausreichender Investitionen bedarf, um umwelt- und nachhaltigkeitsbezogene Zielsetzungen einschließlich sozialer und gesundheitlicher Ziele zu erreichen.

Stärkere Automatisierung

Generell kommt der Landwirtschaft in Bezug auf die beiden vielleicht größten globalen Nachhaltigkeitsherausforderungen Klimawandel und Biodiversitätsverlust – und damit verknüpft auch Schadstoffbelastungen, gestörte Nährstoffkreisläufe, Knappheit von Trinkwasser, Hunger, Armut, Kriege um Ressourcen u.ä. – eine besondere Bedeutung zu. Technische, insbesondere digitale Innovationen versprechen diesbezüglich einige Ansatzpunkte – einzeln oder auch in Kombination. So können im Rahmen des Precision Farming ("Präzisionslandwirtschaft") Ackerbau und Tierhaltung stärker automatisiert und optimiert werden, etwa indem die Düngemittelausbringung standortangepasst und effizient auf Grundlage einer genauen, teils echtzeitfähigen Nährstoff- und Düngebedarfsermittlung mithilfe von Sensorik erfolgt und dadurch gewässergefährdende Nährstoffüberschüsse vermieden werden.

Möglich ist es außerdem, den Tierbesatz räumlich zu differenzieren, u.a. durch Baugenehmigungen für Ställe, die entsprechend der erhobenen Daten zu den regionalen Nährstoffbudgets erteilt werden. Und grundsätzlich lässt sich nicht nur der Einsatz von Düngemitteln, sondern auch der Pestizid- und Wassereinsatz etc. durch die Standortanpassung optimieren. GPS-gesteuerte Maschinen, Drohnen und Roboter können schwere, energieintensive Landwirtschaftsmaschinen ersetzen und beispielsweise Bodenverdichtungen vermeiden. Sensoren und die satellitengestützte Fernerkundung können eine umfassende Datenbasis liefern, etwa zur Landnutzung, speziell auch zur Bestimmung der angebauten Ackerfrüchte, zu deren Erträgen und Zustand. Darauf aufbauend lassen sich effiziente Bearbeitungsmethoden ableiten.

Mögliche Intensivierung des Sektors

Gleichzeitig erlauben stärkere Rechenleistungen die Auswertung enormer Datenmengen (Big Data), Algorithmen und KI bieten neue Wege der Datenverarbeitung und des Erkenntnisgewinns. Die Datenübertragung wird durch Vernetzung und Netzausbau, offene, standardisierte Dateiformate und ein besseres Schnittstellen-Management optimiert. Dies kommt auch der Kontrolle zugute. Der Verwaltungsaufwand kann durch die einmalige Erfassung von Daten und die gemeinsame Datennutzung zwischen Behörden verringert werden. Denkbar sind auch Online-Genehmigungsverfahren. All dies unterstützt die Politikumsetzung und -überwachung, die gerade in den Bereichen Umwelt, Klima und Landwirtschaft aufgrund vieler Einzelvorgänge regelmäßig sehr aufwendig ist, sowie die faktengestützte, politische Entscheidungsfindung.

Grundsätzlich zu vermeiden gilt es, dass Produktivitäts- und Effizienzgewinne bei der Landbewirtschaftung durch Rebound- und Verlagerungseffekte nivelliert werden: Werden durch digitale Innovationen, etwa durch das Precision Farming, beispielsweise weniger Pestizide und Düngemittel pro Hektar ausgebracht, könnte durch einen vermehrten Anbau von Futtermitteln und Energiepflanzen diese Ersparnis zunichte gemacht werden. Der Einsatz neuer Technologien könnte auch zur weiteren Intensivierung des Sektors beitragen. Bislang ungenutzte Flächen könnten beispielsweise durch kleine Feldroboter neu erschlossen werden. Denkbar wäre auch, dass Landwirtinnen und Landwirte das Kapital, das sie durch den niedrigeren Einsatz von Produktionsmitteln sparen, in andere Bereiche investieren, im ungünstigen Fall könnten diese Mittel etwa für Stallerweiterungen für eine vermehrte Tierhaltung eingesetzt werden.

Gesteigerter Ressourcen- und Energieaufwand 

Denkbar wären auch Investitionen in neue, emissionsintensive Landmaschinen. Grundsätzlich benötigt ein Betrieb, der sich zunehmend digital aufstellen will, ohnehin eine neue technische Ausstattung. Im günstigen Falle können verschiedene Maschinen von mehreren Betrieben geteilt werden, wobei diesem Ansatz hier angesichts begrenzter, günstiger Aussaat-, Dünge- und Erntezeiträume u.ä. auch Grenzen gesetzt sind. Und selbst, wenn die neuen Maschinen besonders emissionsarm und effizient sind, so sind Herstellung, Wartung und Entsorgung der Technik grundsätzlich immer mit einem gewissen Ressourcen- und Energieaufwand verbunden, etwa mit Blick auf die Nutzung der begrenzten seltenen Erden. Und auch die Datenverarbeitung und -speicherung verbraucht insgesamt erhebliche Energiemengen.

Rebound- und Verlagerungseffekte könnten nur durch eine absolute, sektorenübergreifende und geographisch breit ansetzende Begrenzung des Ressourcenverbrauchs weitgehend ausgeschlossen werden. Ebenso kann die Erreichung der Umweltziele etwa in puncto null fossile Brennstoffe und sehr viel weniger Tierhaltung nicht durch einzelne technische Optimierungen erreicht werden, auch durch Digitalisierung und KI nicht.

Punktuelle Veränderungen wie Effizienzsteigerungen bei der Düngung mit Gülle oder bei der Fütterung ersetzen nicht die nötige Verringerung der Tieranzahl, die aus Klima- und Biodiversitätsgründen nötig ist. Nötig bleibt eine Adressierung der Haupttreiber diverser Umweltprobleme durch einen verbesserten Emissionshandel, der die fossilen Brennstoffe bis 2035 aus dem Markt nimmt, und durch einen Emissionshandel für tierische Produkte, der die Tierhaltung stark reduziert. Der notwendige Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen und ein stark reduzierter Konsum tierischer Produkte, also Suffizienz, sind bislang jedoch wenig präsent in der Diskussion um das Thema Digitalisierung im Nachhaltigkeitsbereich. Der Fokus liegt momentan häufig auf (Ressourcen-)Effizienz. Grundsätzlich ist die Digitalisierung kein Selbstzweck. Vielmehr ist sie von den Zielen abhängig, für deren Erreichung sie eine Strategie ist.