„Deutschland ist meine zweite Heimat“. 50 Jahre Deutsch-Vietnamesische Beziehungen

Im Dresdner Weltclub feiern Menschen aus Vietnam und Deutschland mit Reden, Bier und Kulinarik das 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Vietnam.

 

Der Erfurter Michael Campioni produziert monatlich bis zu 300 Tonnen Thüringer Wurstspezialitäten, in Vietnam. Vor 25 Jahren begann er in dem Land mit einer Bratwurst Firma. Seitdem ist er in dem südostasiatischen Küstenstaat heimisch geworden. Sein Sohn hat eine Familie gegründet und die Firma übernommen. Campionis bester Freund ist der Künstler Le Huy Van. Beide eint die Erfahrung einer zweiten Heimat: „So wie Le Huy Van sagt, er habe in Deutschland eine zweite Heimat gefunden, kann ich sagen, ich habe in Vietnam eine zweite Heimat gefunden.“

Das Wetter spielt mit, als am 23. September im Dresdner Weltclub ein zweites Hanoi entsteht und eine Ausstellung des Künstlers Le Huy Van feierlich eröffnet wird. Genau 50 zuvor nahmen die Bundesrepublik Deutschland und Vietnam gemeinsame diplomatische Beziehungen. Beide Länder erfuhren eine Teilung und Wiedervereinigung, so ist die Geschichte der gemeinsamen Beziehungen äußerst vielfältig. Die vergangenen 50 Jahren waren durch kulturellen Austausch, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit sowie durch viele persönliche Geschichten geprägt. Dass man in Hanoi zwischen verschiedensten Thüringer Bratwurstständen und in Dresdens Alaunstraße nunmehr zwischen 16 Vietnamsischen Restaurants auswählen kann, zeigt, wie eng Vietnam und Deutschland inzwischen miteinander verbunden sind.

Eine lange facettenreiche Geschichte

Doch die deutsch-vietnamesische Geschichte reicht weiter zurück. Schon in den 50er Jahren kamen Kinder aus Vietnam in die DDR nach Moritzburg und Dresden und gingen dort zur Schule. Der Designer und Künstler Le Huy Van war eines dieser Kinder. Später studierte er an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle bei Hannes H. Wagner. Heute ist Le Huy Van Direktor einer Kunstschule in Hanoi. Mit seinen Grafiken und mit seinem Industriedesign erlangte er weit über die vietnamesischen Grenzen hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad. Sein bekanntester Entwurf ist ein Bierglas, welches überall in den Straßen Hanois zum Einsatz kommt und auch bei dem Fest im Weltclub. Ein Teil des Weltclubs an diesem Sonntag zur vietnamesischen Bierhalle mit den typischen kleinen Plastikhockern und Tischen. Die Gäste saßen dort, knabberten Erdnüsse und konnten live mit Le Huy Van sprechen, der online zugeschaltet war.

Le Huy Van spricht perfekt Deutsch. Zusammen mit anderen Ehemaligen übersetzt und veröffentlicht er deutsche Literatur. Besonders Goethe ist stark gefragt. Le Huy Van steht für die vielfältigen und langfristigen Verbindungen zwischen den beiden Nationen.

In Dresden leben viele Vietnamesen, die seit den 1970er Jahren ins Land kamen, sowie deren Kinder und Enkelkinder. Zuerst kamen Studierende und Auszubildende in die DDR. Mitte der 1980er gab es dann ein sogenanntes „Vertragsarbeiterabkommen“ zwischen der DDR und Vietnam. Viele Menschen aus Vietnam sollten den Arbeitskräftemangel in den Betrieben in der DDR ausgleichen.

Die Bundesrepublik Deutschland begann ihre diplomatischen Beziehungen nach dem Ende des Vietnamkrieges (oder wie er in Vietnam genannt wird: dem Verteidigungskrieg gegen Amerika). In dieser Zeit kamen viele „Boatpeople“, Südvietnamesen, die über das Meer vor der sozialistischen Regierung flohen, in die alte Bundesrepublik. Die heutigen Beziehungen sind strategischer, wirtschaftlicher und kultureller Art und die beiden Länder stehen, trotz ideologischer Unterschiede und Krisen, in engem Kontakt zueinander.

Die Kultur stand auch zum Jubiläumstag im Weltclub im Mittelpunkt. Eingeladen hatten Hung Cao The, der Weltclub Afropa e.V., die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung und vielen Freiwilligen der vietnamesischen Community in Dresden. Zu Beginn gab es Musik mit traditionellen vietnamesischen Instrumenten und Gesang. Es folgten Tänze, in denen die Tänzerinnen wunderschöne Seidengewänder unterschiedlicher vietnamesischer Minderheiten präsentierten. Vietnam ist multikulturell. Es leben 54 ethnische Gruppen in dem Land, die Kinh (Viet) bilden die größte Gruppe.

Licht und Schatten

Es folgten Reden, die die vielfältigen Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam aufgriffen. Huong Thanh An, der stellvertretende Vorsitzende der buddhistischen Gemeinde Sachsens, wünscht sich, dass die Geschichte der Vietnamesen und Vietnamesinnen in der offiziellen Geschichtserzählung mehr Beachtung finden. Neben der großen Unterstützung der DDR und der BRD in Vietnam müsste auch über die Bedingungen der Vertragsarbeiter der DDR gesprochen werden. Sie hatten keine gesellschaftliche Teilhabe, ihre Unterbringung war prekär und besonders hart traf es vietnamesische Frauen: Sie mussten sich im Falle einer Schwangerschaft zwischen einer Abtreibung oder einer Rückkehr nach Vietnam entscheiden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands war die Situation der Vietnamesinnen ungeklärt und führte zu vielen unfreiwilligen Ausreisen oder prekären Lebensrealitäten in Deutschland. Huong Thanh An appellierte, diesen Teil der Geschichte und Gesellschaft aufzuarbeiten und sichtbar zu machen. Gleichzeitig freute er sich über die vielfältigen und tiefen Verbindungen zwischen den beiden Nationen, die gefeiert werden sollten.

Roland Löffler, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politischen Bildung, begrüßte, dass die Veranstaltung auch auf die von Huon Thanh Anh angesprochen Verhältnisse aufmerksam macht. Die politische Ausrichtung der DDR zeige sich in der Geschichte der vietnamesischen Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen und es ist wichtig, darüber zu sprechen, dies sei auch eine Aufgabe der politischen Bildung. „Die vielen Menschen mit vietnamesischen Wurzeln in Deutschland fallen selten auf, doch es gibt im Rundfunk, im Fernsehen, im Journalismus oder auch im Design zahlreiche prominente junge Menschen, die aus vietnamesischstämmigen Familien kommen. Dieser Tag ist ein guter Anlass, genauer auf die gemeinsame Geschichte zu schauen.“ so Roland Löffler.

Wie in den Straßen von Hanoi

Neben historischen und politischen Auseinandersetzungen kam an diesem Tag das Essen nicht zu kurz. Das Essen ist in der vietnamesischen Kultur sehr wichtig. Viele Teilnehmerinnen brachten Köstlichkeiten mit, die mit großer Begeisterung probiert wurden. Auch eine kleine Garküche war aufgebaut, in zwei Töpfen köchelte das Essen, genau wie in den Straßen von Hanoi. Die vietnamesische Küche ist ohne Kräuter undenkbar und so hatte Oang Saenger anlässlich der Feierlichkeiten einen vietnamesischen Kräutergarten im Weltclub angelegt. Sie erläuterte die kulinarische und medizinische Bedeutung der Kräuter: „Vietnam war über lange Zeit im Krieg, mit China, Frankreich und Amerika. Die Menschen hatten wenig und versteckten sich oft in den Bergen. Sie konnten kaum Gemüse anbauen oder lagern, außerdem gab es keine Medizin. Die Kräuter waren dann die Medizin, wenn du Bauchschmerzen hast, nicht schlafen kannst, eine Entzündung hast, für alles gibt es die richtigen Kräuter.“

Es war ein Tag voller Gespräche, Wiedersehensfreude, Wertschätzung für die vietnamesische Community in der sächsischen Gesellschaft, aber auch mit dem Appell, die deutsch-vietnamesischen Beziehungen in all ihren Facetten zu beleuchten, sie geschichtlich als auch politisch intensiv aufzuarbeiten.