„Daß ein gutes Deutschland blühe - Wie ein andres gutes Land“

Der Schauspieler Roman Knižka und das Musikensemble OPUS 45 beschäftigen sich in einem Programm mit der Zeit von 1945 bis 1949. Es geht um ein Land zwischen Apokalypse und Aufbruch, um die Konfrontation der Deutschen mit den Gräueltaten des NS-Regimes, um das Schicksal jüdischer KZ-Überlebender. Im September waren die Künstlerinnen und Künstler mit einer Erinnerungs-Collage zu Gast in Chemnitz.

 

Die ersten Sätze gehen unmittelbar zurück in das Grauen von 1945. Roman Knižka zitiert aus den Erinnerungen des Holocaustüberlebenden Leslie Schwartz, aus dessen Buch „Durch die Hölle von Auschwitz und Dachau. Ein Junge erkämpft sein Überleben.“ Als Kind hat Schwartz erlebt, wie seine jüdische Schule geschlossen wurde, er war Verfolgung ausgesetzt, wurde mit seiner Familie nach Auschwitz und in andere Konzentrationslager deportiert. Er überlebte, abgemagert und entkräftet kam er im Frühjahr 1945 zurück nach Deutschland. Der Zweite Weltkrieg war fast vorbei – aber das Grauen noch lange nicht. Der Schauspieler Roman Knižka berichtet, wie Leslie Schwartz herumirrte, noch in seiner Häftlingskleidung, wie er versuchte Essen und etwas zum Anziehen zu finden. Er sah, wie SS-Personal floh, entdeckte liegengelassene Uniformen der Hitlerjugend. „Ich zog meine Häftlings-Uniform aus und schlüpfte in eine Hitlerjungen-Uniform“, zitiert Knižka. Ein Opfer musste in jenen Tagen, aus purer Not, die Kleidung der Täter tragen.

Die Gräuel rücken an diesem Abend in vielen Details wieder nah heran. 80 Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen, viele Veranstaltungen erinnern dieses Jahr daran. Auch der Schauspieler Roman Knižka und das Bläserquintett OPUS 45 haben dieser Zeit ein Programm gewidmet: „Dass ein gutes Deutschland blühe … Leben nach Kriegsende 1945 bis 1949“. Seit langem engagieren sich Roman Knižka und das Ensemble für Erinnerungsarbeit, sie haben schon viele Programme gestaltet, etwa über die Weimarer Republik, über NS-Widerstand und jüdisches Leben. Damit touren sie durch ganz Deutschland, um aufzuklären und Erinnerungen wachzuhalten. Im Herbst sind sie auf Einladung der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung zu Gast in mehreren sächsischen Städten, am 13. September im Chemnitzer Veranstaltungszentrum Luxor. Die Zahl der Gäste liegt unter den Erwartungen, nur 25 Menschen sitzen im Saal. Trotzdem wird es ein emotionaler Abend, Knižka und die Mitglieder des Ensembles präsentieren knapp zwei Stunden eine dichte Collage von Eindrücken aus jener Zeit, das Publikum hört gebannt zu.

Das Programm reiht Ausschnitte aus literarischen Texten, Reportagen und Zeitzeugnissen aneinander. Begleitet von OPUS 45, das Quintett zeichnet ein musikalisches Porträt jener Phase. Gespielt werden Werke der Nachkriegsavantgardisten György Ligeti und Karl Amadeus Hartmann, Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch und Hanns Eisler, aber auch Schlager und Unterhaltungsmusik aus jenen Jahren. Denn auch das lag damals nah beieinander, Grauen und Eskapismus. 

Ein prägnantes Datum ist der 8. Mai 1945. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht war Hitler-Deutschland offiziell besiegt. Fast sechs Jahre hatte der Zweite Weltkrieg gedauert und unvorstellbare 60 Millionen Opfer gekostet. In Deutschland waren viele Städte zerstört, unzählige Menschen obdachlos, auf der Flucht oder in Kriegsgefangenschaft. Es folgte die Ankunft der Siegermächte, die Konfrontation der Deutschen mit den Gräueltaten des NS-Regimes.

Roman Knižka zitiert aus Berichten der amerikanischen Kriegsreporterin Margaret Bourke-White über die von einem US-General angeordnete Zwangsbesichtigung des Konzentrationslagers Buchenwalds durch Weimarer Bürgerinnen und Bürger. „Die Kamera zu bedienen, war wie eine Barriere zwischen mir und dem Grauen“, schilderte die Fotografin. „Ich musste mir klarmachen, dass das wirklich Menschen getan haben.“  Immer wieder sei von Weimarerinnen und Weimarern gesagt worden: „Wir haben doch von nichts gewusst.“ Häftlinge entgegneten: „Natürlich habt ihr es gewusst.“

Der Horror ist allgegenwärtig. Und doch passiert vieles nebeneinander, Not, Elend, banaler Alltag, Weltgeschichte, Zerstreuung. Das Programm blendet zügig von einem Ausschnitt zum nächsten. Roman Knižka liest Passagen aus dem Tagebuch einer Journalistin, Besuch in einem Berliner Konzertsaal, flirrende Stimmung, Verdrängung. In einem anderen Abschnitt berichtet die Journalistin davon, dass russische Soldaten Frauen vergewaltigt haben. Einige Frauen galten danach in ihren Familien als geschändet und haben sich umgebracht. Auch aus Erinnerungen des damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman wird gelesen, Eindrücke von seiner Fahrt durch Berlin im Sommer 1945: „Eine derartige Zerstörung habe ich noch nie gesehen.“ Ein weiterer historischer Moment sind die Nürnberger Prozesse, die im November 1945 beginnen. Verbrecher höchster Ränge des NS-Regimes sind angeklagt.  Erwartungen, dass sie ihre Schuld eingestehen, sind vergeblich. Die Männer sitzen teilnahmslos im Saal, einer liest einen Roman, während die von ihnen begangenen Verbrechen verhandelt werden.

Das Schicksal jüdischer KZ-Überlebender wird geschildert, die nach ihrer Befreiung als „Displaced persons“ durch das Land der Täterinnen und Täter irrten. Roman Knižka liest aus Erinnerungen von Zeitzeugen: „Wir Geretteten bitten euch, zeigt uns langsam eure Sonne, lasst uns das Leben leise wieder lernen. Es könnte sonst unser schlecht versiegelter Schmerz wieder aufbrechen. Zeigt uns noch nicht einen beißenden Hund. Es könnte sein, dass wir zu Staub zerfallen.“

Der Schauspieler Roman Knižka wechselt ständig von einer Perspektive zur nächsten, spielt hochkonzentriert, oft ist der Ton ernst, immer wieder dramatisch. Aber es gibt auch Momente, in denen er singt und tanzt. Er zeigt eine Ausgelassenheit, die vergessen will, auch das hat zur Ambiguität dieser Zeit gehört. In einer Szene spielt er den Tod, als zynischen, rülpsenden Zeitgenossen – den Tod, der sich überfressen hat, weil so viele Millionen Menschen gestorben sind in diesen Jahren.

Zum Abschluss gibt es Bertholt Brecht, sein Gedicht „Kinderhymne“ aus dem Jahr 1950, vertont wurde es von Hanns Eisler. Entstanden ist es aus den Prägungen durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Konzipiert hat Brecht es als Absage an diese Zeit, als Gegenentwurf zu überhöhtem Nationalstolz. Die ersten Zeilen lauten: „Anmut sparet nicht noch Mühe - Leidenschaft nicht noch Verstand - Daß ein gutes Deutschland blühe - Wie ein andres gutes Land.“

Und noch ein anderer, weniger bekannter Mann setzt den Schlussakkord des Abends, Günter Kern aus Kamenz, der Bruder des Malers Georg Baselitz. Roman Knižka liest aus Erinnerungen von Kern, an dessen Vater, der Ortsgruppenleiter der NSDAP und bei der Wehrmacht war. 1944 wurde der Vater von einem Granatsplitter getroffen, er verlor ein Auge. Er kehrte gebrochen zurück zur Familie, mit einer späten Einsicht – dass er sich von einer Ideologie hat vereinnahmen lassen und, das nie wieder tun würde. „Mein Vater musste erst halbblind werden, damit er sehen konnte“, zitiert Roman Knižka aus den Erinnerungen des Sohns. Es sind die letzten, mahnenden Sätze an diesem Abend.