Babiš ist zurück an der Macht

Nach der Parlamentswahl kann der umstrittene Unternehmer und ANO-Politiker Andrej Babiš Tschechiens neue Regierung bilden. Was die Wahlergebnisse für das Land und die internationale Zusammenarbeit bedeuten, diskutierten Tschechien-Experten bei einer Podiumsdiskussion der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Dresden.

 

Die Parlamentswahlen am ersten Oktoberwochenende haben das politische Kräfteverhältnis in Tschechien deutlich verschoben. Babiš’ Partei ANO (deutsch: ja) ging mit rund 35 Prozent der Stimmen als klare Siegerin hervor und dürfte gemeinsam mit den beiden rechten Parteien Svoboda a přímá demokracie (SPD, deutsch: Freiheit und direkte Demokratie) und Motoristé sobě (AUTO, deutsch: Autofahrer unter sich) die bisherige liberale Regierung von Petr Fiala ablösen. Überraschend kam der Erfolg nicht. „Den Sieg von Babiš hat man schon vor vier Jahren erwartet“, sagte die Prager Politikwissenschaftlerin Zuzana Lizcová bei einer Podiumsdiskussion der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

Petr Kolář, stellvertretender Chefredakteur der MF Dnes, erklärte den erneuten Erfolg mit Babiš’ Fähigkeit, Wähler aus unterschiedlichen Lagern zu mobilisieren. Sowohl Sozialdemokraten als auch die rechte SPD hätten Stimmen verloren, während das liberal-konservative Bündnis Spolu unter Ministerpräsident Petr Fiala rund vier Prozentpunkte einbüßte – und damit auch die Chance, erneut eine Regierung zu bilden.

„Babiš hat allen alles versprochen“

Inflation, Corona-Pandemie und die Energiekrise: Die amtierende Regierung Fiala stand vor ähnlichen Herausforderungen wie die deutsche Ampelkoalition, sagte Maik Herold, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. „Der Unterschied ist: In Tschechien ist es immerhin gelungen, die Regierung bis zum Ende zusammenzuhalten.“

Doch der Rückhalt reichte nicht. Ob Renten, Energiepreise oder Steuern – viele Themen boten Babiš im Wahlkampf Angriffsfläche. Fiala hatte vor der Wahl 2021 Steuersenkungen versprochen, am Ende aber die Grundstückssteuer erhöht und sich lange gegen einen Preisdeckel für Energie gewehrt. Babiš hingegen habe „allen alles versprochen, wie immer“, so Journalist Kolář.

Ob das Populismus ist, blieb auf dem Podium der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung umstritten. Lizcová sah in der stark auf Babiš zugeschnittenen ANO-Partei typische populistische Züge. Patrik Eichler, Direktor der Masaryk-Demokratischen Akademie, warnte hingegen vor einer Spaltung in ein demokratisches und populistisches Lager. Eine solche Einteilung erschwere den politischen Diskurs, sagte er. Zumal der Wahlkampf ohnehin stark emotionalisiert gewesen sei.

Ein junges Parteiensystem

Nachdem bereits 2021 keine linke Partei ins Parlament eingezogen war, scheiterten linke Parteien auch bei der diesjährigen Wahl. In den Zuschauerfragen der Podiumsdiskussion ging es auch um die Bedeutung dieses Fehlens für den politischen Diskurs in Tschechien. Eichler sprach von einer „Erschöpfung“ linker Themen seit dem Ende des Sozialismus. Ohne linke Parteien im Parlament würden sozialpolitische Konflikte aber ausgespart bleiben.

Journalist Kolář widersprach: Auch ANO vertrete klassische linke Positionen, und mit den Piraten hätte eine grün-linke Kraft seit der vergangenen Wahl noch einmal Stimmen zulegen können. „Die alte Aufteilung in links und rechts, wie wir sie in den 90er-Jahren kannten, ist heute verschwunden. Heute dominieren kulturelle Themen die Debatte“, sagte er.

Die tschechische Parteienlandschaft hat sich seit der Samtenen Revolution 1989 stark verändert. Nur zwei der heutigen Parlamentsparteien wurden vor 2004 gegründet. Auch Babiš’ oft als populistisch beschriebene ANO entstand erst 2012 aus einer Bürgerbewegung gegen Korruption und die „politische Elite“. Nach einer ersten Regierungsbeteiligung 2013 mit Babiš als Finanzminister führte sie nach der Wahl 2017 bereits einmal die Regierung an.

Die Partei ist dabei eng mit ihrem Gründer verknüpft. Der Milliardär Babiš, einer der reichsten Tschechen, hat im Agrar- und Chemiesektor ein Firmenimperium aufgebaut. Gegen ihn läuft derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs mit EU-Subventionen für ein Ferienresort.

Koalition mit den Rechten

Auch um eine Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität zu verhindern, sei Babiš auf eine Koalition mit der rechtsextremen SPD und der AUTO-Partei angewiesen, sagte Lizcová. Die AUTO-Partei ist erstmals in das Parlament eingezogen. Sie vertritt wirtschaftsliberale und wertkonservative Inhalte und versteht sich als Stimme der Autofahrer. Bereits am Wahlabend hatte Babiš angekündigt, mit beiden Parteien verhandeln zu wollen. Eine Woche später kursierten erste Namen für Ministerposten.

Für Aufsehen sorgte die mögliche Nominierung des ehemaligen Rennfahrers und Ehrenvorsitzender der AUTO-Partei, Filip Turek, als Außenminister. In Beiträgen in sozialen Medien, die ihm zugeschrieben werden, soll er sich rassistisch und sexistisch geäußert haben. Unter anderem soll Turek den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama mit dem N-Wort bezeichnet haben. „Turek wird auf keinen Fall Außenminister sein“, ist sich die Politikwissenschaftlerin Lizcová sicher. Wahrscheinlicher sei ein anderer Posten, etwa als stellvertretender Parlamentsvorsitzender.

Auch rechtsextreme Minister aus der SPD werden voraussichtlich nicht der neuen tschechischen Regierung angehören. Die SPD wolle auf eigene Minister verzichten und Fachleute vorschlagen. Diese würden letztlich von Babiš auswählt werden, erklärte Journalist Kolář. „Das ist der SPD ganz recht – so kann sie sich weiter als Opposition inszenieren.“

„Tschechien wird nicht die EU oder NATO verlassen“

Nicht nur personell, auch inhaltlich dürfte Babiš die Kontrolle behalten. Zwar forderten SPD und AUTO-Partei im Wahlkampf ein EU-Austrittsreferendum und stellten die Unterstützung für die Ukraine infrage. Doch Kolář zeigte sich überzeugt: „Tschechien wird nicht die EU oder NATO verlassen. Es wird kein Referendum geben – das wird Babiš nicht zulassen.“ Babiš verstehe sich als Europäer. Kolář rechnet aber damit, dass Babiš die Visegrád-Gruppe wiederbeleben werde. Ein Bündnis aus Polen, der Slowakei, Ungarn und Tschechien, das laut Kolář unter Premier Fiala an Bedeutung verloren hat.

Auch in Deutschland werde man genau hinsehen, wie die Zusammenarbeit der neuen Regierung in Tschechien nun verlaufe, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Maik Herold. „Eine Regierung zusammen mit Rechtspopulisten ist auch etwas, das in Ostdeutschland bevorstehen könnte.“

 

Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen in Prag, der Brücke/Most-Stiftung, EUROPE DIRECT Dresden und der SLpB durchgeführt.