Fast wie im Krieg

Der belarussische Filmemacher Aliaksei Paluyan über die Proteste anlässlich der Präsidentschaftswahlen in Belarus und die zunehmende Gewalt gegen Medienschaffende.

Während ich diesen Artikel schreibe sitzen 21 Journalisten in verschiedenen belarusischen Gefängnissen. Katerina Borisewitsch - eine von diesen 21 verhafteten Journalistinnen und Journalisten, wurde am 20.11.2020 verhaftet und zum KGB-Gefängnis gebracht, weil sie einen Artikel über einen jungen Mann, der von den Sicherheitskräften totgeprügelt wurde, vorbereitet hatte. Nach der Präsidentschaftswahlen in Belarus wurden mittlerweile über 230 Medienschaffende während ihrer professionellen Tätigkeit verhaftet. Es kling, als ob sie in einem Kriegsgebiet arbeiten. Hier kann ich zustimmen, oft habe ich auch dieses Gefühl. In Wirklichkeit befinden wir uns in einem osteuropäischen Land, das nur 800 Kilometer von Berlin entfernt ist.

Ich selbst bin kein Journalist, sondern Filmemacher. Für die Vorbereitung zu den Dreharbeiten meines Dokumentarfilms COURAGE habe ich mit der Kamerafrau Tanya Haurylchyk vorsichtshalber Gasmasken gekauft, bevor wir die Proteste gefilmt haben. Uns war schon längst vor der Scheinpräsidentenwahl klar, dass bei den Protesten geschossen wird. Wir waren erstaunlicherweise einige von wenigen Menschen, die am Abend des 09. August 2020, während die Sicherheitskräfte friedliche Demonstranten mit Gas- und Blendgranaten beschossen haben, die überhaupt darauf vorbereitet waren. Nichtsdestotrotz wurde in dieser Nacht unser Kamera-Equipment durch einen Wasserwerfer-Einsatz so beschädigt, dass wir nicht weiter drehen konnten. Allerdings hat uns dieses Ereignis vor den darauffolgenden brutal durchgeführten Verhaftungen gerettet, da wir gezwungen waren, die Dreharbeiten frühzeitig zu beenden.

Nach diesen unmenschlichen und zugleich willkürlichen Verhaftungen wurde uns klar, dass die weiteren Dreharbeiten unmöglich ohne Schutzwesten durchgeführt werden konnten. Nach den eindringlichen Empfehlungen von Kolleginnen, Kollegen und Berichterstattenden konnten wir eine der letzten Schutzwesten besorgen. Da es in Belarus für die Zivilbevölkerung verboten ist Metalleinsätze für Schutzweste zu besitzen, mussten wir dieses Hindernis fantasievoll umgehen. Wir haben Holzschneidebretter in die Weste eingebaut, um wenigstens psychologisch Schutz zu gewinnen. Wir hatten Glück, dass wir nicht verhaftet und verletzt wurden und im ersten Monat der bis heute andauernden Proteste drehen konnten. Bis ich letzten Sonntag, den 15.11.2020, die Nachricht bekommen habe, dass die Kamerafrau Tanya Haurylchyk verhaftet wurde.

Nach meinen Beobachtungen bietet eine PRESS-Weste keinerlei Schutz, denn jetzt ist sie ein Ziel. Wenn die Sicherheitsbeamten oder OMON den Befehl haben, Journalisten festzunehmen, helfen diese Westen und Abzeichen dabei, Reporter schneller zu finden und festzusetzen. Die Strafverfolgungsbeamten sind nicht daran interessiert, dass ihre Gewalt gegen Demonstranten auf Fotos und Videos festgehalten werden. Heutzutage sollte man sich in Belarus nicht auf das Gesetz verlassen. Wer trotzdem während der Proteste arbeiten möchte, sollte so gekleidet sein, dass es bequem ist, ein paar Tage oder Nächte im Gefängnis zu verbringen. So habe ich während der Dreharbeit immer in meinem Rucksack einen warme Pullover und eine Zahnbürste dabei gehabt. In einer Situation, in der Gesetze mit Füßen getreten werden und Menschenrechtsverletzungen auf der Tagesordnung stehen, ist es unmöglich, ein Rezept dafür zu geben, wie jemand sich vollständig davor schützen kann. 

Aliaksei Paluyan ist einer unserer Gesprächspartner im Webtalk "Freie Medien und Zivilgesellschaft in Belarus und Ukraine" am Montag, dem 30. November 2020 von 19:00 bis 20:00 Uhr. Nehmen Sie teil und reden Sie mit: https://us02web.zoom.us/j/85276780527 

Hintergrundinformationen zum Zustand der Pressefreiheit in Belarus finden Sie unter anderem bei Reporter ohne Grenzen