Die Einstiegshürden für das Gaming

Ein letzter Mosaikstein des Nerdhaften am Videospiel ließ sich lange nicht beiseiteschieben:

Es bedarf eines beträchtlichen Aufwandes an Geld und vor allem Zeit, um sie in vollem Umfang zu erleben. Ob der heimische Rechner neben Büroaufgaben auch aktuelle Spiele stemmen kann, sollte schon beim Kauf bedacht werden und erfordert für die meisten Menschen einen schmerzhaft tiefen Griff in die Geldbörse. Neben dem Geld steht dessen Zwillingsschwester Zeit, welche ebenfalls großzügig ausbezahlt werden will: Viele Spiele, auch solche, die erzählerische Substanz zu ihrem Fokus machen, entlassen die Spielenden erst nach über 30 Stunden in den Zustand des sehnsüchtigen Trennungsschmerzes, während die Credits über den schwarzen Bildschirm rollen. Spiele vom Kaliber eines ästhetisch sowie narrativ hoch gewürdigten „Death Stranding“ lassen sich nicht eben am Wochenende einschieben, sondern bauen ihren Sog über Monate auf, der dann eher dem Soundtrack einer Jahreszeit entspricht. Wer verfügt heute schon noch über solche Ressourcen?

An diese Stelle trat nun, unter dem Radar der Öffentlichkeit, das Programmspiel. „Indie“ lautet hier das Stichwort, gemeint sind kleinere Produktionsstätten, die mit weniger Mitarbeitenden, mit weniger technischem Bombast eine intimere Auseinandersetzung anstreben. Nicht zuletzt die seit den 10er-Jahren immer zugänglicheren Entwicklungstools sowie die wachsende Reichweite digitaler Verteilungsmöglichkeiten ebneten so den Weg für einen Markt für Spielerinnen und Spieler, die zunehmend gelangweilt damit verfuhren, das hundertste Gewehr nachzuladen oder den tausendsten Drachen mit dem Schwert zu erschlagen.

Indiespiele erkennen die Nöte einer Gesellschaft an, in der Aufmerksamkeit teuer ist und ungern gewährt wird, in der die neueste technische Innovation eine geringere Rolle spielt als die preisgünstiger darzustellende, abstrakte Ästhetik einer guten Spielidee.

Ein Spiel, welches innerhalb von drei Stunden erzählt, wofür ein AAA-Produkt (das Äquivalent zum Hollywood-Spiel) vierzig Stunden braucht? Warum eigentlich nicht? Ein Spiel, in dem das Prinzip von „Button – Awesome“ verworfen wird zugunsten einer nachdenklichen oder ernsthaft nach Tiefe suchenden Langsamkeit, die die Spielenden mitunter auf die Rolle reduziert, in einer Welt schlicht zu flanieren? Oder eines, in dem nur noch Entscheidungen getroffen werden, ohne die Spielfigur überhaupt zu bewegen? Was sollte dagegensprechen? Warum die Spielenden nicht in die Rolle einer oder eines Grenzbeamten stecken, den ganzen (virtuellen) Tag am Stuhl gefesselt, während die einzige Interaktion im Entgegennehmen von Anweisungen des totalitären Arbeitgebers, im Überprüfen der Einlass suchenden Geflüchteten besteht, in der Hoffnung, selbst nicht entlassen zu werden, wenn man zu entgegenkommend über deren Schicksal urteilt?

Der Kern des Programmspiels besteht in dessen Fähigkeit, die eigentliche Stärke des Videospiels zu nutzen: Nicht Fotorealismus, sondern die Einbeziehung der Spielenden ist das Originelle am Medium. Die „Immersion“, also der Moment, in dem sich die Realität der Spielenden mit der der erzählten Welt vollkommen überlagern, ist dabei natürlich dem Spiel nicht exklusiv vorbehalten. Auch ein Buch lässt die Lesenden ihre Rückenschmerzen vergessen, wenn diese keine gemütliche Haltung eingenommen haben, bevor sie in den Sog der Erzählung eintauchten. Auch ein Film lässt die Zuschauenden aus einer verwirrten Trance erwachen, wenn die Lichter im Kino angehen. Denn letztlich entsteht Immersion immer aus dem Rausch des Dabeiseins – aber gerade hier verfügen Videospiele über Möglichkeiten, welche nur diesem Medium innewohnen.