Ausstellungsstück 1: prozedurales Musikdesign

Der Film fügt dem Buch nicht nur eine visuelle Ebene hinzu, sondern auch die Möglichkeit, all das Gesehene musikalisch und thematisch zu untermalen. Soundtracks sind wirkmächtige Werkzeuge, die bestimmte Gefühle provozieren, bestimmte Personen oder Gegenstände in die Welt einschreiben oder bestimmte Handlungen andeuten können. Im Videospiel erfahren Soundtracks nun eine neue Form der Interaktivität: Da sie anders als Filme nicht von Anfang bis Ende immer gleich verlaufen, kann auch die Musik nicht direkt über den geschnittenen Streifen gelegt werden, vielmehr passt sie sich dem Spielgeschehen an. Die Musik reagiert auf die Eingaben der Spielenden – was das Gefühl vertieft, dass die Welt selbst auf deren Handlungen reagiert. Aber auch die gespiegelte Variante sorgt für situative Spannung und Immersion, wenn die Welt selbst in Form von Musik zu den Spielenden spricht, um Handlungsanweisungen zu erteilen.

Im Spiel INSIDE erkunden Spielerinnen und Spieler eine dystopische Welt, welche auf kryptische und parabelhafte Weise erzählt wird. Wenn sich ein größeres Actionspiel mit einem Roman vergleichen ließe, dann müsste INSIDE als Lyrik verstanden werden, wobei sein Sounddesign die Metrik der Verse beschreibt. Das Gameplay selbst besteht aus Rätseln, die im Stil klassischer Knobelaufgaben den Weg versperren.

Schon vor dem Beginn der gezeigten Szene etablierte sich der bedrohliche Sound einer gleichgeschalteten Gesellschaft langsam im Hintergrund. Zunächst erfüllt die Musik hier eine gängige Funktion: Sie erzeugt Unbehagen und verknüpft die urbane Szenerie mit einem Gefühl der orwellschen Allgegenwärtigkeit einer gesichtslosen Bürokratie. Als der Protagonist jedoch durch einen morschen Boden in das Zentrum der Aufmerksamkeit stürzt, schlägt die Stimmung um. Versucht man hier, der Bedrohung zu entlaufen, schlägt der Überwachungsapparat direkt zu – game over. Nach einem kurzen Neuladen finden sich die Spielenden erneut im Moment der Spannung, in dem der Musik eine zentrale Rolle zukommt. Einerseits thematisch – der düstere Beat zeigt nun die Schnittstelle zwischen dem Protagonisten und der Spielwelt auf. Innen klopft ihm das Herz, außen wird in gleichgeschalteter Manier marschiert. Gleichzeitig gibt die Musik hier eine Handlungsanweisung und weist den Spielenden den Weg: Reihe dich ein, und du wirst nicht entdeckt werden. Der Rhythmus des Soundtracks wird hier gleichzeitig zum Schutzschild des Jungen: Zwei Takte marschieren, zwei Takte stillstehen. Keine Fragen stellen. Als der Protagonist schließlich doch als Eindringling identifiziert wird und die Wachhunde anschlagen, stoppt die Musik schlagartig. Das Maskenspiel ist vorbei – renn um dein Leben.

Musik kann jedoch auch kommentierend in das Geschehen eingreifen und an damit an der vierten Wand anklopfen. An der gezeigten Stelle gilt es, ein Areal zu durchqueren, welches von einer Art Druckwelle erschüttert wird. Dabei kommen die Spielenden an ein Schalterrätsel: Im Hintergrund dreht sich eine schützende Metallplatte, aber im zunächst im falschen Rhythmus. Per Hebel kann diese zum Stillstand gebracht werden, aber dann schützt sie den Protagonisten nur an einer Stelle, das Rätsel ist noch nicht gelöst. Erst wenn die Spielenden das gesamte Puzzle lösen, nämlich die Platte zuerst auf der richtigen Höhe zum Halt zu bringen, dann im Moment der Druckwelle in einen neuen Rhythmus zu versetzen, honoriert das Spiel die gedankliche Arbeit: Fährt der Protagonist fort, wird aus dem Umgebungssound der Druckwelle ein musikalisches Thema, welches eine nahe Rettung vor der tödlichen Bedrohung signalisiert. Entscheidend ist jedoch, dass dieser Themenwechsel nicht allein an einer bestimmten räumlichen Stelle einsetzt, nämlich hinter der schützenden Platte, sondern nur dann, wenn vorher alle Weichen gestellt wurden: Das Spiel erkennt an, dass das Rätsel im Kopf gelöst wurde. Je weiter der Protagonist im Anschluss fortschreitet, desto mehr rückt der Klang der Bedrohung in den Hintergrund, während das sakrale Thema der Rettung den Raum erobert – die Gefahr ist überstanden.