Mehrere hundert Todesopfer bei 200.000 Fluchtversuchen
Am 5. Februar 1989 wurde der 20-jährige Chris Gueffroy durch Grenzsoldaten an der Berliner Mauer erschossen, welche den Befehl umsetzten, Bürgerinnen und Bürger der DDR an der Ausreise zu hindern. Gueffroy war damit der letzte sogenannte Mauertote an der innerdeutschen Grenze. Insgesamt forderte das DDR-Grenzregime mehrere hundert Opfer, wobei die genaue Zahl umstritten ist. Neben diesen "illegalen" Versuchen, bei denen über 200.000 Menschen die DDR verließen, reisten seit dem Mauerbau bis 1988 über 350.000 DDR-Bürger "legal" aus ihrer Heimat Richtung Westen aus.
Ende der 1980er Jahre erreichten die Ausreiseanträge einen Höchststand. Die DDR-Führung hoffte entgegen ihrer bisherigen restriktiven Politik, durch nunmehr großzügige Ausreisegenehmigungen eine Entspannung der Situation zu erzielen, erreichte aber genau das Gegenteil. Die Politik der großzügigen Regelung von Ausreisegenehmigungen verbreitete sich in der Bevölkerung vor allem durch Berichte westdeutscher Medien und führte dazu, dass noch mehr Ausreiseanträge gestellt wurden.
Erfolgreiche Flucht über das Ausland im Jahr 1989
Im September 1989 erreichte auch die illegale Fluchtbewegung über die ungarisch-österreichische Grenze ihren Höhepunkt. Bereits ab Anfang Mai begann Ungarn, auf Druck ungarischer Bürgerrechtsbewegungen hin seine Grenzanlagen nach Österreich abzubauen. Einige tausend Menschen nutzten diese Gelegenheit zum Grenzübertritt, der österreichische Staat sorgte dabei für gute Aufnahmebedingungen vor Ort. Der DDR-Führung gelang es nicht, diese Ausreisebewegung politisch einzudämmen. Der Versuch, die Sowjetunion dazu zu bewegen, gegenüber Ungarn an die Solidarität der Ostblockstaaten zu appellieren und so die Massenflucht zu stoppen, führte zu keinem Erfolg.
Weiterhin kam es vor allem in Prag, aber auch Warschau, zu mehrfachen und wiederholten Besetzungen der westdeutschen Botschaften durch ausreisewillige Bürgerinnen und Bürger der DDR. So hielten sich allein in Prag bereits Anfang September etwa 3.500 Menschen auf dem Botschaftsgelände auf. Aufgrund der wachsenden Flüchtlingszahlen und des nahenden 40. Jahrestages der DDR entschied die SED-Führung, die Botschaftsflüchtlinge ausreisen zu lassen, um die Situation zu entspannen. Hans Dietrich Genscher (FDP), Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, verkündete diese Nachricht am 30. September. In Reisezügen, die durch die DDR fuhren, verließen mehr als 17.000 Menschen das Land. Als Konsequenz veranlasste die SED-Führung am 3. Oktober 1989 die Schließung der Grenze zur Tschechoslowakei.
Die Mauer als Symbol des autoritären Realsozialismus
Die hohe Zahl der Bürgerinnen und Bürger, welche darauf drängten, das Land zu verlassen, trug entscheidend zur Ausgangslage für die Massenproteste des Herbstes 1989 bei. Einerseits verbildlichte sie die Unzufriedenheit über die Lebensbedingungen in der DDR, andererseits hielten sie dem SED-Regime einen Spiegel vor: Dieses bezeichnete die Grenzanlagen als „antifaschistischen Schutzwall“, welcher den Zweck verfolge, die Bevölkerung vor Angriffen von außen zu schützen. Dass das eigentliche Ziel im genauen Gegenteil bestand, also darin, die Bürgerinnen und Bürger der DDR auf autoritäre Weise an der freien Wahl ihrer Lebensumstände zu hindern, konnte im Angesicht der Fluchtbewegungen nicht mehr ansatzweise bestritten werden. Auch die Maßnahmen der Aufrechterhaltung dieser Einschränkungen bis hin zum Befehl, auf die eigene Bevölkerung das Feuer zu eröffnen, stellte einen von vielen Belegen dafür dar, welche Mittel die staatlichen Funktionäre zu ergreifen bereit waren, um den Aufbau der DDR aufrechtzuerhalten. Als die Reaktion der SED auf die Fluchtbewegung des Sommers 1989 wiederum keinerlei Reformbereitschaft erkennen ließ, stärkte dies die Bereitschaft der Bevölkerung, in massenhafte Proteste einzutreten.