Ein kritisches Vertrauen in Wissenschaft und Medien. Teil 2

Zweiter Teil-Bericht zur Fachtagung „Politische Medienbildung? Perspektiven für politische Bildung und Medienpädagogik“ im September 2022 in Dresden.

 

Der zweite Tag begann mit einem Vortrag von Jochen Fasco. Er ist Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt TLM und seit 2021 zusätzlich Beauftragter der Landesmedienanstalten für Medienkompetenz.

Zur Einordnung: Die Arbeitsgemeinschaft der 14 Landesmedienanstalten (ALM bzw. „die medienanstalten“) haben in der jüngeren Vergangenheit einen massiven Aufgabenzuwachs bekommen. Einst wurden sie gegründet, um die private Medienaufsicht und die Regulierung (vor allem Lizenzen von privaten Radio- und TV-Veranstaltern) umzusetzen. Inzwischen gehören die Vermittlung von Medienkompetenz, die Sicherung der lokalen Medienvielfalt sowie die Aufsicht über problematische Internet-Angebote zu ihrem Auftrag. „Im Bereich Algorithmen und Intermediäre sind wir die ersten weltweit, die vom Gesetzgeber gesagt bekommen haben, sich die neuen Angebote anzuschauen“, berichtete Fasco. So sei etwa Google News genau wie die Angebote anderer Intermediäre aktuell unter Beobachtung der Medienanstalten.

Einen tieferen Einblick über die neuen Aufgaben der Medienaufsicht gab er am Beispiel des Verbots von RT Deutschland, was ihm und den anderen Chefs der Landesmedienanstalten ein Einreiseverbot nach Russland eingebracht hatte.

Fasco: Förderung von Informationskompetenz ist Schlüsselprozess

Auch in Sachen Medienkompetenz-Vermittlung wusste Jochen Fasco einiges vorzutragen. So stellte er eine große Zahl spannender Projekte (nicht nur aus Thüringen) vor, u.a. die Medienscouts aus Mecklenburg Vorpommern, Juuuport aus Niedersachsen oder das Projekt Zebra aus NRW. Auch erwähnte er Kooperationen mit „Journalismus macht Schule“ und die Initiative „Verfolgen & Löschen“, die in vielen Bundesländern umgesetzt wird. Weiter empfahl er die ALM-Publikationen „Der Ton wird härter“ und „Fakt oder Fake?“, die kostenlos auf der ALM-Seite zum Download bereit stehen.

Im Rahmen einer sogenannten Schwerpunktanalyse haben sich die Medienanstalten außerdem mit über 400 Games befasst; aktuell werde das Thema „Legal high“ bearbeitet, also die Darstellung von Drogen und Alkohol bei Instagram und Co. Ziel der Analysen: Einen Überblick zu bekommen und daraus Handlungsbedarfe zu ermitteln.

Medienanstalten stehen als Partner bereit

Fasco skizzierte in seinem Vortrag außerdem die Herausforderungen für die Vermittlung von Medienkompetenz: Man wisse nicht, welche Technik in Zukunft die Nutzung dominieren werde. Angebote müssten aber verstetigt werden, die Strukturen verfestigt und die Finanzierung gesichert werden. Die Verzahnung von politischer Bildung und Medienbildung benannte er als sinnvoll und überaus produktiv. Aus seiner Sicht sei die „Förderung der Informationskompetenz“ der „Schlüsselprozess“ der Medienbildung. Seinen Vortrag schloss er mit den Worten: „Die Medienanstalten stehen als Partner bereit.“

Doing Memory: Gegen das Vergessen und Verdrängen rechter Gewalt

Die zweite Keynote des zweiten Tages sensibilisierte dann für ein gänzlich anderes Thema: Professorin Tanja Thomas von der Universität Tübingen lud dazu ein, die Perspektive zu wechseln und nicht von den Medien und deren Wandel, sondern vom Gesellschaftswandel auszugehen.

Thomas und ihr Team untersuchen im dem interdisziplinären Projekt Doing Memory, wie an rassistische Gewalttaten in Deutschland nach 1945 erinnert wird und wurde. Denn, so die These der Professorin für Medienwissenschaft: „Vergessen und Verdrängen gehören dazu, um die Erzählung: ‚Wir haben NS-Zeit überwunden’ zu festigen.“ De facto ginge damit aber eine Tabuisierung etwa von Rassismus und eine Dethematisierung von rechter Gewalt einher, die strukturelle Unsichtbarkeit der migrantischen Bevölkerung werde damit verstärkt.

Auf dem Portal Doing Memory sammelt sie mit ihren Projektpartnern Beispiele dafür, welche Bedeutung Ereignissen nachträglich medial und gesellschaftlich zugeschrieben werden. In dem dazugehörigen Podcast werden Impulse für das öffentliche Verhandeln diskutiert. Den Medien attestierte sie dabei durchaus eine Veränderung zum Positiven: „Da hat sich viel getan.“ Ihr Wunsch am Ende des Vortrags, erntete viel Applaus im Saal: Politische Medienbildung könne Räume dafür eröffnen, Minderheiten nicht zu vergessen, sondern als Teil der Gesellschaft zu sehen.

Workshop-Ergebnisse sehr unterschiedlich

In der Folge begaben sich die Teilnehmenden wieder in die Workshops, die erneut zu den Themen Desinformation, Medienkritik, Partizipation und Netzpolitik arbeiteten. Die Ergebnisse der Diskussionen, die nach Mittagspause und ausführlichem Besuch des Markts der Möglichkeiten erfolgte, lassen sich aufgrund des begrenzten Platzes hier, aber auch wegen der sehr unterschiedlichen Ergebnis-Qualität in wenigen Stichworten wiedergeben:

Im Workshop Desinformation etwa wurde darüber gesprochen, wie das Interesse an relevanten Nachrichten geweckt und die Gesellschaft gestärkt werden könne, um mit relevanten Informationen umzugehen. „Wie bringen wir die Leute dazu, Wissen zu erwerben, es sich motiviert anzueignen und dann entsprechend zu handeln?“, lautete die Frage. Hier sah der Workshop noch erheblichen weiteren Gesprächsbedarf, eine abschließende Antwort konnte er nicht geben. Im Rahmen der Runde kam aber unter anderem die Frage auf, wie im Bereich der Jugendbildung Selbstwirksamkeit besser vermittelt werden könne - und ob vielleicht strukturelle grundlegende Veränderungen innerhalb der Gesellschaft notwendig wären.

Richtig spannend waren dagegen die Ergebnisse des Workshops Netzpolitik: Hier war es offenkundig zum konstruktiven und ehrlichen Austausch beider Disziplinen gekommen. Man hatte die Diskussion über „Gegenstände“, „Methode“, „Prinzipien“ und „blinde Flecken“ gesucht und am Ende eine Reihe von Fragen mit ins Plenum gebracht: Was sind eigentlich die Qualitätskriterien für politische Medienbildung? Und wie bekommen wir die Komplexität der Themen in den Griff – besonders für die Zielgruppen, die politische Bildung wie auch Medienbildung bislang noch nicht wirklich gut erreichen? Gefragt wurde auch nach dem Rollenverständnis: Sind politische Medienbildende nur Vermittler von Informationen? Oder Anregende oder gar Sparings-Partner? Schließlich die ehrliche Offenbarung am Ende: Beide Disziplinen sehen in ihrer täglichen Praxis noch Luft nach oben, um ein breiteres Publikum zu erreichen. „Wir sollten also dringend im Austausch bleiben, das hilft ja beiden Seiten“, kam schließlich als Fazit.

Relevanz des Themas liegt auf dem Tisch

Es folgte der Markt der Möglichkeiten, in dem der Austausch über die unterschiedlichsten Projekte und Aktivitäten möglich war, bevor Sabine Eder, Vorsitzende der GMK, und Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sich einer abschließenden Fragerunde stellten.

„Die Relevanz von politischer Medienbildung liegt sowas von ‚auf dem Tisch‘, dass wir es uns nicht mehr leisten können, kleine Mäuerchen um das eigene Revier zu ziehen und zu verteidigen“, beschrieb Thomas Krüger seine Sicht auf die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Das sei von allen Beteiligten schon vor geraumer Zeit erkannt worden.

Er führte weiter aus: „Man kann heute nicht mehr politische Bildung machen, ohne mediale Formate zu denken und zu kreieren. Und man kann heute nicht mehr Medienbildung machen, ohne über die politische Dimension der Nutzung von Medien Stellung zu beziehen - seien es Datenschutz, die monopolistischen Plattformen oder gelenkte Strategien in der medialen Landschaft.“

Fortsetzung erwünscht

Die GMK-Vorsitzende Sabine Eder betonte, dass schon Dieter Baacke, der die Grundlagen der Medienkompetenz-Vermittlung gelegt hat, ein hochpolitischer Mensch gewesen sei. Die Ergebnisse der Workshops im Rahmen der Tagung hätten gezeigt, „dass wir viele Dinge gemeinsam wollen und uns den gleichen Herausforderungen stellen, stellen wollen und auch müssen“, ergänzte sie. Sie betonte, dass sie eine Fortsetzung der Veranstaltung zur Vertiefung und Festigung der Zusammenarbeit, wie es das Positionspapier der Landeszentralen empfiehlt, begrüßen würde.

Krüger formulierte den Bedarf so: „Gemeinsam zu arbeiten heißt doch, mehr rauszuholen. Unsere Zielgruppen halten sich nicht an Zuständigkeiten, sondern überschreiten permanent die Zuständigkeiten der jeweiligen Disziplin. Insofern ist es nur recht und billig, dass sich die Professionen selbst aus ihrem Elfenbeinturm heraus begeben und versuchen, noch mehr zusammen zu arbeiten.“