Ein kritisches Vertrauen in Wissenschaft und Medien. Teil 1

Die Frage liegt angesichts hitziger Debatten über die Rolle der Medien in unserer Gesellschaft sehr nahe: Sind politische Bildung und kritische Medienbildung noch losgelöst voneinander zu betrachten? Bericht zur Fachtagung „Politische Medienbildung? Perspektiven für politische Bildung und Medienpädagogik“ im September 2022 in Dresden von Peter Stawowy.

Der 16. Kinder- und Jugendbericht gibt auf die Frage nach dem Verhältnis von politischer Bildung und kritischer Medienbildung eine klare Empfehlung: Beide sind konsequent zur politischen Medienbildung zu verschränken, heißt es dort. Und wörtlich: „Diese politische Medienbildung soll sich mit medial bedingten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen auseinandersetzen, veränderte Öffentlichkeiten durch neue Medienstrukturen reflektieren, Optionen der Selbstermächtigung eröffnen und dazu beitragen, multimediale Angebote altersgerecht hinterfragen zu können.“

Um die konkrete Umsetzung dieses Unterfangens zu diskutieren, also wie kritische Medienpädagogik und politische Bildung miteinander enger verzahnt werden können, trafen sich rund 120 Teilnehmende aus beiden Disziplinen auf der zweitätigen Fachtagung „Politische Medienbildung? Perspektiven für politische Bildung und Medienpädagogik“ am 19. und 20. September 2022 in Dresden. Der Begriff „Klassentreffen“ stand bei den Teilnehmenden schnell im Raum. Schließlich sind Medienbildung und politische Bildung schon sehr lange in Verbindung und also viele der Aktiven miteinander bekannt. 

„Das Thema ist ein großes!“

Zum Einstieg begrüßte die sächsische Staatssekretärin vom Ministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Gesine Märtens. Sie äußerte gleich zu Beginn ihren Respekt vor dem Vorhaben und ihre Sorge um die Demokratie: „Wir alle wissen: Es ist verdammt schwer, Menschen in der Handhabung eines System auszubilden, dass sich schnell verändert und so verletzlich und so manipulierbar - und mittlerweile auch so prekär ist“, sagte sie im Rahmen ihres Grußwortes. Und dennoch sei es wichtig, Menschen darin auszubilden. „Das Thema ist ein großes!“

Dr.in Friederike von Gross, Geschäftsführerin der mitveranstaltenden Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), betonte, dass der Umgang mit Medien heutzutage Schlüsselkompetenz sei. Die vier von dem Kommunikationswissenschaftler Dieter Baacke entwickelten Dimensionen Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung seien auch heute noch aktuell und auf die neuen Medien übertragbar.

Arne Busse schließlich von der ebenfalls einladenden Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erläuterte anhand eines konkreten  Beispiels - kurz zuvor waren über 30 nachgebaute Fake-Nachrichtenseiten als Mittel russischer Propaganda entdeckt worden - warum aus seiner Sicht die Zusammenarbeit der beiden Disziplinen notwendig und sinnvoll sei.

Neue Kompetenzen nötig

Aber wie kommen nun politische Bildung und Medienbildung so zusammen, dass daraus politische Medienbildung entsteht? Dazu hielt Professorin Monika Oberle von der Georg-August-Universtität Göttingen eine Keynote mit dem Titel: „Politische Medienbildung – Ziele, Ansätze, Perspektiven“. Sie griff dafür etwas tiefer in die Theoriekiste: Zu klären sei zunächst, welcher Politik-Begriff zu Grunde liege, so die Politikdidaktikerin. Auch der „Doppelcharakter“ von Medien als Gestaltungsmittel, Gegenstand und Kompetenzziel sei zu berücksichtigen. Insbesondere bei Medien als Gegenstand der politischen Bildung seien laut Prof.in Oberle noch Defizite erkennbar.

Die Digitalisierung habe zunächst positive Erwartungen beziehungsweise Potenziale für die Demokratie erhoffen lassen, führte sie aus, wie etwa einen Zugewinn an politischer Teilhabe besonders auch der jüngerenGeneration. Heute stehe unsere Gesellschaft aber vielmehr vor der Herausforderung, „die Funktionsfähigkeit der Demokratie“ zu bewahren. Denn der digitale Strukturwandel der demokratischen Öffentlichkeit habe auch negative Folgen, etwa die Zunahme gesellschaftlicher Fragmentierung und Polarisierung.

Sie schlussfolgerte: Die Bürger*innen benötigen ein neues Maß an Orientierungsfähigkeit. Dazu zählen angepasste Recherche-, Selektions-, Einordnungs- und Verifikationsfähigkeiten, Sensibilität für die Verbreitung von „fake news“ und kommunikative und partizipative Handlungsfähigkeit im Netz. Sie bräuchten aber auch, so Oberle, „netzpolitische Kompetenz, um Ansätze zur Regulierung der Medien beurteilen und gestalten zu können“.

"Kritisches Vertrauen in Wissenschaft und Medien“

Oberle führte noch tiefer in die politische Theorie: Für politische Bildung im Medienzeitalter gibt es eine Reihe an Konzepten. Dabei verwies sie auf die Dagstuhl-Erklärung und das Frankfurt-Dreieck.

Aber welche Zugänge gibt es, um einen Kompetenzgewinn in der Bevölkerung zu erreichen? Politik-Professorin Oberle beschrieb drei, die schon im Einsatz sind: Klassische analoge Zugänge wie etwa Rollenspiele, der Einsatz von digitalen Medien im Unterricht und als Lernmittel und die originäre Entwicklung von digitalen Tools, etwa für „Digital-Game-Based-Learning“. Als Beispiele nannte sie gleich eine ganze Reihe von Projekten – etwa den Wahl-O-Mat, das Fake-Finder-Projekt des SWR oder das Bad News game.

Die Herausforderung, so Oberle, aber bleibe weiterhin: Es würden aktuell noch viel zu wenig Bürgerinnen und Bürger erreicht.

Schließlich nannte die Politik-Professorin eine ganze Reihe sehr konkreter Medien-Kompetenzen, die heutzutage („im digitale age“) das Ziel politischer Bildung sein sollten: Dazu zählen für sie, die Rolle der (Massen-)Medien als „Vierte Gewalt“ zu kennen und das Verhältnis von Politik und Medien in der digitalisierten Mediendemokratie (Stichwort Algorithmokratie) zu durchschauen. Auch die Fähigkeit, Medien zur Informationsgewinnung und Diskursfähigkeit im Netz nutzen zu können, gehören für sie dazu. Und eben, so Oberle, das Wissen um die Gestaltung der Rahmenbedingungen des Mediensystems.

„Medienpolitische und netzpolitische Kompetenz sei heute besonders bedeutsam“, fasste die Professorin ihren Vortrag zusammen. Wichtig sei dabei aber noch zu sehen, dass Recherchekompetenz nicht das Grundwissen über Politik ersetzen könne. Und dass es in der Gesellschaft ein mangelndes Verständnis für die Logik von wissenschaftlicher Forschung gebe. Ihr Schlussimpuls: „Wir müssen die Menschen dazu befähigen, ein "kritisches Vertrauen in Wissenschaft und Medien zu entwickeln.“

Mediale Lehrerausbildung: mangelhaft

Der zweite Keynote-Vortrag trug den Titel: „Medienbildung & politische Bildung zusammen denken?! Chancen und Herausforderungen am Beispiel der Lehramtsausbildung” und kam von Professorin Sonja Ganguin von der Universität Leipzig. Sie berichtete über das Projekt: Praxisdigitalis, mit dem Lehramtsstudierenden systematisch und nachhaltig eine „reflexionsbasierte Handlungskompetenz“ in Bezug auf digitale Medien und digital organisiertes Lernen vermittelt werden soll.

Das Projekt richtet sich an Lehramtsstudierende in Sachsen und stellt die Frage, welche Fähigkeiten in Bezug auf die Digitalisierung die nachwachsende Lehrerinnen- und Lehrergeneration haben sollte. Denn, so Ganguin: Gerade bei Lehrerinnen und Lehrern sind immer noch „vergleichsweise geringe digitale Kompetenzen“ vorhanden. Das Projekt will dem Problem im Rahmen der Lehramts-Ausbildung etwas beikommen.

Die große Herausforderung machten die Zitate von Studierenden deutlich, die Gangiun im Rahmen der Keynote vortrug: Diese würden sich darüber beklagen, dass viel zu wenig Raum in der eigenen Ausbildung zur Lehrkraft vorhanden sei, um sich mit den Entwicklungen der Digitalisierung zu befassen. Die Schülerinnen und Schüler würden ja zeitgleich mit dem eigenen Wissen über neue Anwendungen und Angebote „hinter dem Rücken vorbeiziehen“.

Professorin Ganguin sprach auch die Diskussion über Medienbildung als Schulfachan. Hier haben sich die Bundesländerunterschiedlich entschieden. Sachsen habe den Weg gewählt, Medienbildung fächerübergreifend zu vermitteln. Eine Perspektive, die man sehr kritisch sehen könne, so Ganguin.

Ihr Vortrag machte deutlich: Das Thema Digitalisierung mit all seinen Facetten, gerade aber hinsichtlich der politischen Medienbildung, ist noch immer viel zu wenig in der Lehramtsausbildung vertreten.

Was helfen würde, wurde sie am Ende des Vortrags gefragt. Wenn sie mich fragen: „Noch mehr Leistungspunkte“, war ihre Antwort. Angesichts der Tatsache, dass Medienbildung und politische Bildung in der Ausbildung von Gymnasiallehrern in Sachsen gerade mal fünf von 300 erreichbaren Leistungspunkten ausmachen, nimmt sich diese Forderung nahezu bescheiden aus.

Mehr Sichtbarkeit für konkrete Projekte

In der anschließenden Diskussion, geleitet von der Medienpädagogin und Moderatorin der Veranstaltung Kristin Narr, kamen zu den Professorinnen Ganguin und Oberle noch zwei Praktikerinnen auf die Bühne: Helle Becker Leiterin der Transferstelle politische Bildung in Essen und die Medienpädagogin Renate Hillen aus Frankfurt am Main.

Becker kritisierte: In der Praxis würden viele Theorie-Konzepte wenig nützen. Lehrkräfte seien dankbar für konkrete Angebote, weil sie selbst mit der technischen Entwicklung kaum mithalten könnten. „Aber auch in der außerschulischen Szene gebe es diese Diskussion und das Bewusstsein, dass Medienbildung mit politischer Bildung zu tun habe und verknüpft werden sollte“, so Becker.

Ihrem Hinweis, dass das kritische Denken und Hinterfragen in der Gesellschaft allgemein mehr Raum einnehmen sollten, schloss sich die Medienpädagogin Hillen an. Und wusste aus eigener Erfahrung zu berichten: „Der feministische und antidiskriminierende Gedanke kommt viel zu kurz und wird oft nur liebevoll mitgedacht.“

Auf die Frage, wie nun Medienbildung und politische Bildung enger vernetzt werden könnte, nannte das Podium ganz unterschiedliche Punkte: Der Austausch auf einer Fachtagung sei ein erster Anfang, so Hillen. Sie wünscht sich insgesamt aber deutlich mehr Vielfältigkeit in den Projekten und weit größere Diversität.

Professorin Oberle verwies darauf, dass viele Projekte „den letzten Schritt“ nicht gingen und berichtete über ein Projekt, in dem die Kinder Detektoren gebaut hätten, um öffentliche Videokameras zu entdecken. „Die Fragen aber: Warum hängen die dort und was kann ich tun, wenn mir das nicht gefällt“, sind nicht gestellt worde.

Helle Becker würde sich noch deutlich mehr interdisziplinären Austausch wünschen – mit einem sehr großen Praxisanteil. Viele Projekte verdienten mehr Aufmerksamkeit: „Ich fände es klasse, wenn diese Projekte sichtbarer würden.“

Das Podium gab der politischen Bildung auch noch eine Hausaufgabe auf, die es in der Kürze der Diskussion nicht beantworten konnte: „Was ist mit denen, die man nicht erreicht?“, fragte Professorin Oberle.

Workshops

Dieser und anderen Fragen wurde dann im Rahmen der vier Praxisworkshops zu den Themen Desinformation, Medienkritik, Partizipation und Netzpolitik nachgegangen.

In dem Workshop „Desinformation“ erarbeiteten sich die Teilnehmenden Antworten auf die Fragen, wie diesem Phänomen begegnet werden kann. Dafür gaben Sascha Hölig vom Projekt Use The News und Uta Löhrer von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit einen kurzen Forschungsüberblick über die unterschiedlichen Arten von Desinformation. Der Workshop diskutierte in der Folge, wie das Interesse an relevanten Nachrichten geweckt werden könne. Workshop-Präsentation:"Desinformationen, Mediennutzung und Nachrichtenkompetenz"

Im Workshop "Medienkritik" stellten Professor Hektor Haarkötter und Anna Lena Meinheit von der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. den Begriff „Agenda Cutting“ vor: Gemeint ist damit die bewusste Nicht-Thematisierung von gesellschaftlich relevanten Themen durch Medien – wodurch eine verzerrte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit entsteht. Vorstellt wurde auch das Projekt DataSkop, das mithilfe von Datenspenden „Licht in die Blackboxes der Algorithmen sozialer Medien und automatischer Entscheidungssysteme“ bringen will. Im Rahmen des Workshops wurde erörtert, wie ein medienkritischer Umgang mit Content- und Nachrichtenauswahlmechanismen im Rahmen der politischen Medienbildung vermittelt werden kann. Workshop-Präsentationen: "Agenda Cutting", "Dataskop Projektvorstellung"

Die Möglichkeiten der politischen Medienbildung, politische Partizipation zu fördern, wurde im gleichnamigen dritten Workshop diskutiert. Dazu stellten auch hier Beteiligte ihre Projekte vor: Zum Beispiel „aula“, wo Jugendliche mit einer Online-Plattform und didaktischer Begleitung demokratische Praktiken und Kompetenzen erwerben. Vorgestellt wurden auch medienpädagogische Projekte wie „Isso!“ und „RISE“ oder „bildmachen“, die zum Teil in der Extremismusprävention arbeiten und in denen aktive Medienarbeit zu kontroversen gesellschaftspolitischen Themen modellhaft umgesetzt werden. Workshop-Präsentationen: "Workshop Partizipation"„Politische Medienbildung? Perspektiven für politische Bildung und Medienpädagogik“ und "Förderung von Partizipation in medienpädagogischen Projekten".

Im Workshop „Netzpolitik“ arbeiteten die Teilnehmenden intensiv an der Frage, wie die politische Medienbildung Themen wie Kommunikationskontrolle, Datenschutz, Uploadfilter  oder Content-Moderation ganz praktisch vermitteln können. In der abschließenden Kurzvorstellung der Workshops vor allen Tagungsteilnehmenden wurde deutlich: Es gibt viele gemeinsame Ansätze, aber auch viele gemeinsame Herausforderungen. Workshop-Präsentationen: "Netzpolitik aus Perspektive der Medienpädagogik" und "Netzpolitik & Politische Bildung"

Wir brauchen mehr „Basics“

Darauf durfte ich dann auch in meiner abschließenden Tageszusammenfassung hinweisen: Was ist eigentlich mit dem Dauerproblem, politikferne Zielgruppen zu erreichen? Da scheint mir, dass beide Seiten noch wachsen und voneinander lernen können; die Medienpädagogik aber manches Mal etwas näher dran ist als die politische Bildung. Dem gefühlt zunehmenden mangelnden Vertrauen in Politik und Medien kann, auch das wurde im Rahmen der Tagung und bei der Präsentation der Workshop-Ergebnisse deutlich, vor allem über die Vermittlung von Selbstwirksamkeit begegnet werden.

Dabei ist auf allen Ebenen zu berücksichtigen: Wir sitzen angesichts der Digitalisierung im fahrenden Zug und wissen noch nicht genau, wo wir rauskommen - mit welchen Geräten, auf welchen Wegen wir zukünftig Informationen und Nachrichten mit politischer Dimension bekommen.

Und wenn ich mir den Wissensstand von so manchem Diskussionsbeitrag in den sozialen Netzwerken oder bei  Veranstaltungen anschaue, plädiere ich dafür, dass beide Gattungen, ob einzeln oder gemeinsam, in naher Zukunft noch deutlich mehr „Basics“ über die Funktionsweise der Demokratie und die Arbeitsweisen der Medien vermitteln.