Das Feld nicht rechten "Erweckern" abgehängter Räume überlassen

Der dritte Abend der Reihe „Rechte Landnahme“, veranstaltet von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) und der AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte (AG KfDM), stand unter dem Motto: Gemeinsam engagiert vor Ort – was tun gegen rechte Landnahme?

Bei den ersten beiden Online-Foren im Mai wurden bereits die Erscheinungsformen „rechter Landnahme“ diskutiert. Also das eher unspektakuläre Vordringen nicht auf den ersten Blick als extremistisch wahrnehmbarer, aber von völkischen, chauvinistischen und Leitgedanken der Reichsbürger beherrschten Kreisen durch Grundstücks- und Gebäudekauf. Gut getarnt, oft scheinalternative Lebensweisen propagierend, erlangen solche größtenteils zugewanderten Kräfte sogar lokale Akzeptanz, speziell im Osten Deutschlands.

Müssen wir dieser Entwicklung mangels juristischer oder administrativer Eingriffsmöglichkeiten tatenlos zuschauen, oder gibt es Chancen, möglichst schon vor einem Kauf einzugreifen? Solche Handlungsoptionen wollte der dritte, am 12. Juli nachgeholte, Abschlusstermin der Reihe erörtern. Es ging um die Wirksamkeit präventiver Aufklärung, um zivilgesellschaftliches Eingreifen, kirchliches Engagement und um Spielräume von Kommunen, also darum, wie sich die „rechte Landnahme“ konkret vor Ort verhindern lässt.

Lokale Akteure berichten

Als Hauptgesprächspartner eingeladen waren diesmal die im südöstlichsten Teil Sachsens gut bekannte Dorothea Schneider, die sich seit 22 Jahren im Verein „Augen auf“ Zittau engagiert und dort Projekte leitet, sowie Dr. Peter Paul Straube aus Bautzen. Er war früher im katholischen Bischof-Benno-Haus Schmochtitz tätig und betreibt heute den ökumenischen Domladen in Bautzen.

Moderiert wurde die Online-Veranstaltung von Stephanie Hauk aus Leipzig, Geschäftsführerin des Katholikenrats im Bistum Dresden-Meißen und Friedemann Brause, Referent der SLpB. Mit nur 18 Teilnehmenden blieb der Zuspruch allerdings geringer als bei den ersten beiden Veranstaltungen. Mehr als die Hälfte des Publikums war bereits bei Teil 1 und 2 der Reihe dabei gewesen.

Kurzfristig verhindert war Pfarrerin Katja Schulze von der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde Leisnig - Tragnitz – Altenhof im Mittelsächsischen, geographisch eines der Zentren der rechten Zuzugsbewegung. Die Pfarrerin hatte für die Zoom-Veranstaltung schriftlich Vorschläge vorbereitet, wie Bestrebungen rechter Landnahme zivilgesellschaftlich begegnet werden könne. Moderatorin Stephanie Hauk trug vor.

Kirche als Begegnungsraum

Pfarrerin Schulze appellierte an die Medien, mehr über das Thema zu informieren und so ein kritisches Bewusstsein bei der Bevölkerung zu schaffen. Auch Bildungseinrichtungen sollten verstärkt über das Problem aufklären. Außerdem schlug sie vor, Kirchen im ländlichen Raum für Begegnungen zur Verfügung zu stellen, bei denen man sich über Entwicklungen vor Ort informieren und diskutieren könnten – dafür bot sie auch ihre Kirchengemeinde an.

Ihre Anmerkung, dass man Meinungen auch einmal stehen lassen und deren Vertreter „nicht immer gleich an den rechten Rand drängen“ solle – denn so treibe man Leute geradezu in die Arme der Völkischen –, wurde bei der Veranstaltung nicht weiter diskutiert. Dabei ist durchaus fragwürdig, ob dies nun gerade das passende Mittel ist, hinter die Fassaden durchaus bieder erscheinender Siedler zu schauen.

Der engagierte Kirchenmann Peter Straube ging in seiner Einführung auf mögliche Gründe dafür ein, dass Menschen angesichts gesellschaftlichen Wandels – und damit einhergehender Widersprüche – nach Orientierung suchten. Dies gelte nicht nur für Sachsen, sondern sei eine allgemeine Entwicklung: Einerseits würden wir älter als früher, aber auch weniger und einsamer, andrerseits multikultureller, heterogener und anspruchsvoller. Mit dieser Komplexität kämen viele nicht zurecht, seien überfordert und daher versucht, sich auf einfache Antworten einzulassen.

Grenzen setzen, Haltung zeigen

Straube plädierte dafür, sich auf lokaler oder regionaler Ebene gemeinsam auf den Weg zu machen, dieses Vakuum zu füllen – das vermittele Freude und Hoffnung. Beispielhaft nannte er die Bautzener Gespräche und die Erklärung „Bautzen gemeinsam“, die sich kritisch mit Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen auseinandersetzt und die bislang von 50 000 Bürger unterzeichnet worden ist.

Probleme ließen sich allerdings nicht lösen, wenn man sie lediglich anderswohin abschiebe, ergänzte Straube mit Blick auf den vom bayerischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften Rapper Chris Ares, dessen Ansiedlung in Bautzen und Bischofswerda verhindert werden konnte, der dann aber in weiteren Orten der Region Fuß zu fassen versuchte.

Dorothea Schneider von „Augen auf e.V.“ Zittau beobachtet fragwürdige Zuzüge in die Region sehr genau. Sie berichtete aus ihrem reichen Erfahrungsschatz aus über 20 Jahren Demokratiearbeit. Wie Peter Straube und Pfarrerin Schulze plädierte auch sie dafür, sich mit den Mentalitäten der Menschen in der Region auseinanderzusetzen - und mit Möglichkeiten, darauf einzuwirken.

Genau „hinsehen und wahrnehmen“ – das sei durchaus angebracht, so Dorothea Schneider, auch wenn man vor Ort nicht gleich auf offene Ohren stoße. Denn viele Menschen in der Region zögerten, mit ihrem Verein „Augen auf“ zusammenzuarbeiten, der ob seiner eindeutigen Haltung bekannt ist. Sie finde es wichtig, im Gespräch zu bleiben, aber es sei ebenso wichtig, Grenzen zu setzen und damit der Diskursverschiebung nach rechts entgegenzuwirken, stellte Schneider klar. Dialogangebote seien begrüßenswert, „aber die andere Seite geht nie über die Brücke“, konstatierte sie. „Ich habe oft das Gefühl, dass gar keine Mitte mehr da ist!“

„Omas gegen rechts“ sprechen Klartext

Die Auftaktrunde verbreitete also zunächst wenig Hoffnung, auch wenn Annalena Schmidt von der AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte Hilfe durch die mobilen Beratungsteams des Kulturbüros oder Projekte aus dem Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ empfahl.

Zuspitzung und Vehemenz brachte dann ausgerechnet eine „Oma gegen rechts“ in die Debatte – Renate aus Gießen: „Wir haben unsere Rechten nach Osten entsorgt, aber sie sind leider nachgewachsen“, so formulierte sie es und bewies damit Galgenhumor. Sie selbst machte klar, dass sie nicht mit einer kolportierten „Mitte der Gesellschaft“ in Verbindung gebracht werden wolle, da in dieser rechte Einstellungen zunehmend toleriert würden. „Viele Menschen sind zwar keine harten Nazis, sie folgen aber vergleichbaren Gedanken“, erklärte sie.

Aus Chemnitz konnte eine weitere Teilnehmerin immerhin berichten, dass Martin Kohlmann, Stadtrats-Fraktionsvorsitzender von „Pro Chemnitz“ und nunmehr führender Kopf der „Freien Sachsen“, bislang vergeblich versucht habe, in der Stadt ein Haus zu erwerben.

Chancen für Kommunen: stilles Verhindern

Der anschaulichste Beitrag in der Online-Runde kam von der kommunalen Verantwortungsträgerin einer Kleinstadt im Osten des Freistaates. Sie berichtete über die Wirkungsmöglichkeiten einer Kommune. Auch sie bestätigte, dass der Rechtsextremismus längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. „Wenn es niemanden stört, dass Gruppen, die durch den Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden sind, zentrale Orte einer Gemeinde besetzen, und man ihnen sogar bewusst Immobilien zuweist und überlässt – angeblich unter dem Vorwand, dass man sie so besser beobachten könne, dann brauchen wir einen ganz langen Atem", hielt sie fest.

"Ein Fingerzeig verstärkt nur noch die Stigmatisierung als braune Ecke, entfaltet aber in der Gesellschaft keine Wirkung mehr. Hier muss eine Stadt der Gesellschaft deutlich machen, dass an diesen Orten eine Entwicklung möglich ist, wenn sie nicht mehr von rechts besetzt werden. Mein Ziel ist es daher, Immobilien an zentralen Plätzen als Kommune zu übernehmen und umliegende Viertel zu entwickeln. Es gilt, diese Orte für die gesamte Gesellschaft zu öffnen: als Mobilitätspunkt, als Kulturstätte – über die genaue Nutzung in unserem Fall entscheidet in unserem Fall unter anderem ein breiter Bürgerbeteiligungsprozess.“

Am genannten Beispiel entspann sich in zweierlei Hinsicht eine aufschlussreiche Diskussion. Entgegen vorausgegangener Plädoyers für die Herstellung einer möglichst breiten Öffentlichkeit sprach sich die kommunale Verantwortungsträgerin eher für eine leise Verhinderungsstrategie solcher Käufe aus: Ausfindig machen wer dahintersteckt, die Hilfe des Staatsschutzes in Anspruch nehmen, die sie als sehr positiv empfand. Andere Akteure auf potentielle Immobilien aufmerksam machen und beim Erwerb und der Entwicklung der Objekte und Quartiere unterstützen.

Räume selbst erobern

Vor allem aber gehe es darum, in sprichwörtlich stagnierenden und entwicklungsschwachen Regionen die Offensive wiederzuerlangen. Dorothea Schneider berichtete, dass rechtsextreme Gruppierungen dort häufig mit dem Nimbus der „Erwecker“ auftreten: Plötzlich ist ein „Kulturhof“ da, ebenso ein Kino, es wird wieder zu Festen eingeladen. Angebote, die in „toten Räumen“ dankbar angenommen werden.

Aber: Warum sollten nichtrechte Kreise das nicht auch können? Das ist auch die Strategie der kommunalen Verantwortungsträgerin, sie hat genau das vor. „Zeigen, dass etwas passiert, wo rechts nicht mehr sitzt!“ Es gelte, eine positiv besetzte Dynamik anzustoßen, und Räume für die gesamte Stadtgesellschaft zu öffnen. Ein Postulat, das in der Runde auf lebhafte Resonanz stieß.

In einem weiteren genannten Projekt ging es um die Gründung einer Genossenschaft, die eine Hofgründung für Kinder mit Behinderungen zum Ziel hatte. Insbesondere bei solchen Vorhaben brauche es eine wohl überlegte Satzung, sensibilisierte und engagierte Mitglieder und professionelle Beratung, um sich gegen rechtsesoterische Tendenzen und Anhänger der Bewegung „Anastasia“ stellen zu können. Ähnliche Fälle gebe es in der Szene ökologischer Aussteiger.

Zivilcourage: Jeder einzelne zählt

Weil die in dieser Reihe thematisierten konkreten Ausbreitungsversuche rechtsextremer Agitatoren nun einmal nicht vom generellen Umgang mit diesen Milieus zu trennen sind, tauchten immer wieder Beispiele allgemeiner Ermutigung auf. Etwa, wie beim Nazi-Rock in Ostritz zuvor von Bürgern sämtliche Biervorräte aufgekauft wurden. Peter Straube berichtete von einer Bautzener Gegendemo: Als Impfgegner und anderer „Corona-Spaziergänger“ auf die Straßen zogen, projizierte die Initiative „Bautzen gemeinsam“ großformatig Bilder von Coronakranken auf der Intensivstation auf den Reichenturm. Eine Botschaft an alle Bürger, in der Pandemie Solidarität und Zusammenhalt zu zeigen.

In der Summe der drei Abende blieb der Eindruck, dass die schleichende rechte Eroberung von Territorien – und damit auch von Köpfen – speziell in ländlichen Räumen eine bislang noch unzureichend bewältigte Aufgabe darstellt. Sowohl die Identifizierung solcher Kräfte als auch Verhinderungsstrategien sind noch in der Entwicklung. Die Herausforderung ist, sich aus der Rolle der bloß Reagierenden zu befreien und proaktiv vorzugehen. Und das gilt nicht nur für lokale Aktivisten und Aktivistinnen, die vor Ort bereits vielfach wichtige Arbeit leisten, sondern für die Landespolitik insgesamt.