Zehn Diskussionen über die Europäische Union

Anlässlich des 30. Jahrestags des Vertrags von Maastricht wurde in Dresden ein Jahr lang über Themen der EU debattiert. Es ging unter anderem um Wirtschafts-, Digital- und Klimapolitik und immer wieder um den Krieg in der Ukraine.

Mit dem Vertrag von Maastricht rückte Europa zusammen. Am 7. Februar 1992 trafen sich Helmut Kohl, Francois Mitterrand und zehn weitere Staatschefs und Regierungsvertreter in der niederländischen Stadt, um das Dokument zu unterschreiben. Mit dem Maastrichter Vertrag wurde die Europäische Union gegründet, es entstand die Unionsbürgerschaft, eine Wirtschaftsunion, Zuständigkeiten für Außen- und Finanzpolitik wurden geschaffen. Europa sollte ein gemeinsames Fundament bekommen, das war die Erwartung. Vieles davon hat sich erfüllt. Die EU ist eine starke Gemeinschaft, das wird in den aktuellen Krisenzeiten deutlich. Doch es gibt auch Entscheidungen und Strukturen der EU, die kritisch diskutiert werden. Ein Forum dafür bot in den vergangenen Monaten die Veranstaltungsreihe „Welche Zukunft hat Europa? – Gespräche zu 30 Jahren Europäische Union“. Mit Expertinnen und Experten wurde sowohl über die gegenwärtige Lage der EU diskutiert als auch über rechtliche und politische Herausforderungen, die in den kommenden Jahren zu bewältigen sind. Das Format war eine Kooperation der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, der Konrad-Adenauer-Stiftung Sachsen, dem Zentrum für Internationale Studien und dem Institut für Internationales Recht der TU Dresden.

Viele Themen und viel Publikum

Mit insgesamt zehn Veranstaltungen schlug die Reihe ein Jahr lang einen spannungsreichen Bogen zu vielen Themen der EU, es ging unter anderem um Wirtschafts-  und Klimapolitik, um Digitalreformen und um Migration in die EU. Zu Gast als Referenten waren unter anderem: Reinhard Bütikofer, Grünen-Politiker und Mitglied des Europäischen Parlaments, sprach über europäische Außen- und Sicherheitspolitik in globalen Zusammenhängen. Der Soziologe Gerald Knaus diskutierte mit dem Grünen-Politiker und EU-Abgeordneten Erik Marquardt über Asyl in der EU und die Lage an den EU-Außengrenzen. Günther Oettinger, ehemaliger Vizepräsident und Mitglied der Europäischen Kommission, referierte über Möglichkeiten und Grenzen der demokratischen Beteiligung im EU-Parlament. Gesine Schwan, SPD-Politikerin und Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, debattierte mit Christoph Degenhart, früherer Richter des Verfassungsgerichtshofs des Freistaates Sachsen, über europäische Wirtschaftspolitik. Es gab einige Veranstaltungen der Reihe, die bedingt durch die Corona-Pandemie, als Online-Formate durchgeführt wurden; ein regelmäßiger Live-Veranstaltungsort war das Dresdner Stadtmuseum, mit viel Publikum, das sich an den Debatten beteiligte. Zum Auftakt sprach im November 2021 Theo Waigel, der den Vertrag von Maastricht als damaliger Finanzminister der Bundesrepublik unterzeichnet hatte, im Dresdner Kulturpalast über Inhalte und die historische Bedeutung des Vertrags.

"Die Ukrainer sehen ihre Zukunft im Westen"

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wurde ab dem Februar 2022 zu einem präsenten Thema bei vielen Diskussionen. Im Mai ging es bei einer Veranstaltung um die EU-Beitrittsgesuche der Ukraine, Georgiens und Moldaus. Zur Debatte waren zwei Gäste geladen: Tim B. Peters, Leiter des Auslandsbüros Ukraine der Konrad-Adenauer-Stiftung, und Maria Degtiarenko, Direktorin des Bayerischen Hauses in Odessa; sie ist kurz nach dem Kriegsausbruch aus ihrer Heimat nach Deutschland geflohen. „Uns Ukrainern ist bewusst, dass der EU-Beitritt ein langwieriger Prozess ist“, sagte Degtiarenko. Sie schilderte Reformen, die im Land noch nötig sind. Ob die Ukraine zu Europa gehört? Diese Frage sei für sie jedoch noch klarer beantwortet seit dem Beginn des Kriegs. „Putin hat den Angriff auf die Ukraine damit begründet, dass die Ukraine sich nach Westen orientiert“, sagte Maria Degtiarenko. „Die Ukrainer sehen ihre Zukunft im Westen. Das haben sie nicht nur mit den Protesten auf dem Maidan, sondern auch mit der tapferen Verteidigung im Krieg deutlich gemacht.“ Tim B. Peters verwies ebenfalls auf noch zu bewältigende Probleme in der Ukraine. „Eine Justizreform fehlt noch, das Rechtssystem ist noch nicht reformiert“, stellte er fest. „Aber man muss sagen, dass im Großen und Ganzen die Richtung stimmt.“ Auch für ihn sei klar, wohin das Land gehöre: „Mit jedem Jahr hat sich die Ukraine weiterentwickelt, ist das Land europäischer geworden.“

An den Stärken der EU gibt es keine Zweifel

Bei der vorletzten Veranstaltung der Gesprächsreihe im Oktober 2022 ging es um den Euro, ein kontroverses Thema. Unter der Überschrift: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa?“ diskutierten die SPD-Politikerin Gesine Schwan und Christoph Degenhart, früher Richter in Sachsen. An ein Scheitern des Euros glauben beide nicht. Dennoch sehen sie Probleme in der EU-Wirtschaftspolitik, allerdings haben Schwan und Degenhart zum Teil unterschiedliche Perspektiven darauf. Gesine Schwan bilanzierte, dass keine gleichberechtigte europäische Wirtschaftseinheit entstanden sei, wie ursprünglich erhofft, vielmehr „ein Standortwettbewerb zwischen europäischen Staaten“. „Die Unterschiede zwischen arm und reich wurden immer größer“, sagte sie. Das habe die Solidarität untergraben, die sei aber in schwierigen Zeiten wie aktuell wichtiger denn je. „In den Krisen zeigt sich, dass die Staaten es allein nicht schaffen.“ Christoph Degenhart kann mit dem Begriff „Solidarität“ nur wenig anfangen. Er kritisierte, dass nicht alle EU-Staaten stabil genug aufgestellt gewesen seien für einen EU-Beitritt, das habe Probleme im EU-Verbund verursacht. „Solidarität bedeutet, ich halte mich an die Regeln und, wenn ich Hilfe brauche, wird mir geholfen“, sagte er. „Es entspricht nicht dem Geist des Maastricht-Vertrags, wenn sich ein Staat nicht an die Schuldenbegrenzung hält. Solidarität ist keine Einbahnstraße.“

Ein Abend mit regen Debatten, so wie viele der EU-Gesprächsreihe. Die EU hat Schwächen und darüber gibt es Gesprächsbedarf, das hat sich bei den Veranstaltungen gezeigt. Einigkeit herrschte bei vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Diskussionen, egal bei welchem Thema, mindestens in einem Punkt: An den Stärken und den verbindenden Werten der Europäischen Union gibt es keine Zweifel.

Mitschnitte und Berichte zu einzelnen Veranstaltungen sowie Informationen zur Reihe "Welche Zukunft hat Europa? Gespräche zu 30 Jahren Europäische Union".