Für mehr Kultursensibilität im Strafvollzug

Der 2001 gegründete Dresdner Verein HAMMER WEG e. V. begleitet und unterstützt Strafgefangene und Haftentlassene bei der Wiedereingliederung in das Leben in Freiheit. Zudem fördert der Verein die Arbeit ehrenamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Strafvollzug. Professor Ulfrid Kleinert war 21 Jahre Vorstandsvorsitzender und wurde kürzlich zum Ehrenvorsitzenden des Vereins ernannt. Die Tagung „Muslimisches Leben und Strafvollzug“, die am 20./21. Mai in Dresden stattfand, hat er zusammen mit anderen Vorstandsmitgliedern und der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung auf den Weg gebracht.

Herr Kleinert, was war der Impuls für das diesjährige Tagungsthema?

Ulfrid Kleinert: Wir machen diese Tagungen seit 21 Jahren, nehmen am Ende jeder Tagung Ideen für ein neues Thema auf und besprechen dies auf unseren Mitgliederversammlungen. Es zeigte sich, dass interkulturell und interreligiös bedingte Konflikte im Gefängnis – und der Umgang damit – zurzeit viele interessiert. Ein Thema, das vor allem in den Justizvollzugsanstalten der großen Städte in Sachsen eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Dabei geht es sowohl um Konflikte der Strafgefangenen untereinander als auch mit dem Personal der Haftanstalten. Es fehlt oft an Wissen um die verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründe und an Bewusstsein für einen kultursensiblen Umgang. Wobei das Problem in den letzten Jahren durchaus erkannt worden ist und erste Erfahrungen bereits vorliegen.

Welches Beispiel würden Sie da nennen?

Viele muslimische Gefangene feiern die jährliche Fastenzeit Ramadan. Diese richtet sich nach dem Mondkalender und wandert deshalb durch alle unsere Jahreszeiten. Während des Fastenmonats wird von Sonnenaufgang bis -untergang gefastet, abends trifft man sich häufig, um in Gemeinschaft miteinander zu essen und zu trinken. Das ist dann besonders schwierig, wenn die Fastenzeit in den Sommer fällt und das Fastenbrechen erst spät abends möglich ist. Dafür Kompromisslösungen im Gefängnis zu finden, war nicht einfach. Mittlerweile werden muslimische Gefangene befragt, ob sie im Ramadan fasten wollen. Darauf wird dann Rücksicht genommen: Es wird so eingerichtet, dass die Fastenden nach Einbruch der Dunkelheit ihre Mahlzeit zur Verfügung haben. Das mit jedem Fastenbrechen verbundene Gemeinschaftsmahl (Iftar) zu ermöglichen, ist in einer JVA insbesondere im Sommer sehr schwierig. Da abends alle Gefangenen in ihren Zellen eingeschlossen sind, unterhalten sich diejenigen, die am Fasten teilhaben, laut miteinander. Sie rufen von Zelle zu Zelle, manchmal bis spät in die Nacht. Das stört wiederum die anderen Inhaftierten, weil sie dann nicht schlafen können. Einige von ihnen arbeiten zum Beispiel in der Bäckerei und müssen morgens sehr früh aufstehen.

Wie kann man mit dieser Situation umgehen?

Wir können nicht einen Monat lang die ganze Nacht extra Personal abstellen, um solche Konflikte zu lösen. Aber es kann berücksichtigt werden, dass diejenigen, die nachts das Fastenbrechen feiern, und diejenigen, die morgens besonders früh zur Arbeit aufstehen müssen, nicht auf derselben Piste untergebracht sind.

Und gibt es grundsätzlich Essen, das den muslimischen Speisegesetzen – oder Speisegesetzen anderer Religionen – entspricht?

Ja, dass es auf unterschiedliche Gruppen abgestimmte Essensangebote gibt, wurde schon vor Jahren schrittweise eingeführt. Berücksichtigt werden religiöse Vorschriften, es gibt aber beispielsweise auch Essen für Gefangene, die sich vegetarisch oder vegan ernähren.

Auf der Tagung wurde bekannt, dass das Sächsische Justizministerium in der Justizvollzugsanstalt Dresden die Stelle eines muslimischen Seelsorgers schaffen und besetzen wird. Das war auch Ihnen ein wichtiges Anliegen?

Ja, ich halte es für wichtig, dass Inhaftierte mit muslimischem Hintergrund einen eigenen Ansprechpartner haben. Sie haben genauso wie evangelische und katholische Gefangene das Recht auf eine Begleitung durch einen Seelsorger ihrer Religion. Da früher nur wenige Muslime im Gefängnis waren und es im Islam keine den christlichen Kirchen vergleichbare verantwortliche Religionsorganisation gibt, war die Anstellung eines hauptamtlichen muslimischen Seelsorgers nicht möglich. Bisher konnten sich Muslime nur an ehrenamtliche Mitarbeiter oder an evangelische oder katholische Seelsorger wenden, aber ein geeigneter muslimischer Seelsorger, der das für sie zentrale Freitagsgebet leiten konnte, fehlte ihnen. Das Vertrauen zu einem Vertreter der eigenen Religion und Kultur ist auch größer. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass es innerhalb des Islams verschiedene Glaubensrichtungen gibt.

Wie relevant ist es denn für die Inhaftierten, ob jemand Atheist, Christ, Muslim, Jude oder Buddhist ist?

Insgesamt sehe ich es so, dass unter den Inhaftierten weniger interreligiös als interkulturell bedingte Konflikte bestehen. Entscheidend ist nicht so sehr, ob jemand muslimisch geprägt ist oder den islamischen Glauben praktiziert. Es geht eher um unterschiedliche kulturelle Konzepte von Ehre, Männer- und Frauenrollen, Emotionen und Gewalt. Dazu gehört auch die Art, wie impulsiv und aggressiv Konflikte ausgetragen werden. Und nicht zuletzt geht es um Sprache: Wenn ich mich mit nordafrikanischen Straftätern austauschen will, die bei uns einen hohen Anteil an ausländischen Inhaftierten ausmachen, brauche ich einen Dolmetscher. Meist übersetzt dann ein anderer der Gefangenen unser Gespräch – und das ist nicht unproblematisch. Denn es geht zum Teil um persönliche Dinge, die man nicht unbedingt mit anderen Insassen teilen möchte. Ein professioneller Übersetzer wäre da wichtig – oder einer, mit dem man sich gleich direkt in der eigenen Sprache unterhalten kann.

Sie sind seit 2000 Vorsitzender des Anstaltsbeirats der Justizvollzugsanstalt Dresden und waren 21 Jahre lang Vorstandsvorsitzender von HAMMER WEG e.V., bis sie kürzlich zum Ehrenvorsitzenden gewählt worden sind. Was treibt sie an?

Letztlich geht es mir um Gerechtigkeit. Ich habe ein halbes Jahrhundert Sozialarbeiter ausgebildet, unter anderem für die Arbeit im Justizvollzug. Und habe mich – insbesondere als Beiratsmitglied in Hamburg und als Beiratsvorsitzender in Dresden – immer als vertrauliche Instanz für Anliegen von Gefangenen und Bediensteten gesehen, unabhängig von deren Herkunft oder Religion. Alle Mitglieder unseres Vereins verstehen sich als ehrenamtliche Unterstützer von Gefangenen und auch als Ansprechpartner für das Personal im Justizvollzug. Nach all den Jahren bin ich, sind wir, der festen Überzeugung: Viele der Inhaftierten gehören gar nicht ins Gefängnis! Sondern sie wären in anderen, kleinen regionalen Institutionen besser aufgehoben als in den großen zentralen Gefängnissen. Daher plädieren wir für offene Formen des Strafvollzugs und finden es gut, dass unsere sächsische Regierung das in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat.

Neuer Vorstandsvorsitzender des HAMMER WEG. e. V. ist seit November 2021 der Jurist Hermann Jaekel.

Einen umfangreichen Bericht zur Tagung finden Sie in einem weiteren Blogbeitrag. Den zweiten Tag der Konferenz eröffnete Prof. Ulfrid Kleinert mit historischen Überlegungen zur 94. Sure des Korans. Imam Husamuddin Meyer trug die Sure auf Arabisch vor. Der Beitrag kann über die Website des Vereins HAMMER WEG. e. V. nachgelesen werden.