Sachsen Hochburg der Arbeiterbewegung

Sachsen hatte sich während des 19. Jahrhunderts zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung, insbesondere der Sozialdemokratie, entwickelt: „In Sachsen konstituierte sich jener sozialistische Typus von Arbeiterbewegung, der in der Zweiten Internationale (Gründung: Paris 1889) als Modell diente und der europäischen Arbeiterbewegung bis in die heutige Zeit wesentliche Züge verlieh.“ (Karsten Rudolph 1995).

Der gemäßigte und parlamentarisch-demokratisch orientierte Kurs der sächsischen SPD befand sich zumeist im besten Einklang mit großen Teilen der sächsischen Arbeiterschaft. Die Organisationsdichte der seit etwa 1848 entstehenden Arbeitervereine lag dementsprechend außergewöhnlich hoch. Im Maschinenbau und in der Textilindustrie, den neben der Landwirtschaft wichtigsten Wirtschaftszweigen Sachsens, entwickelten sich seit 1862 – nachdem der gesetzliche Rahmen für die organisierte Arbeiterschaft liberalisiert worden war - gewerkschaftliche Organisationen.

Ihr geographischer Schwerpunkt lag im westsächsischen Raum, insbesondere in Chemnitz, wo bereits 1871 etwa 6500 Beschäftigte einen für damalige Verhältnisse großen Arbeitskampf erfolglos ausgetragen hatten. In Crimmitschau hatte sich 1869 die erste Textilarbeitergewerkschaft Sachsens gegründet. Ein fünfmonatiger Streik der Crimmitschauer Textilarbeiter um Arbeitszeitverkürzung zwischen August 1903 und Januar 1904 erregte nicht nur sachsenweites, sondern auch nationales und internationales Aufsehen. Obwohl die Forderungen der etwa 8.000 Arbeiter nicht erfüllt wurden, stellte der Streik einen der wichtigsten Arbeitskämpfe Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg dar, der bis in die DDR-Zeit hinein vielfache Beachtung und teils glorifizierende Würdigung fand.

Dass die deutsche Sozialdemokratie ihre wichtigsten Impulse aus Mitteldeutschland erfuhr, steht in engem Zusammenhang mit Persönlichkeiten wie Ferdinand Lassalle, August Bebel oder Wilhelm Liebknecht sowie mit Weichenstellungen wie der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins in Leipzig (23.5.1863).

Einführung des Dreiklassenwahlrechts

Sachsen galt jedoch trotz starker Sozialdemokratie und einflussreicher Gewerkschaften gleichzeitig als Hort der Reaktion, wo einflussreiche konservative Kreise ein restriktives Wahlrecht bis zum Ersten Weltkrieg erfolgreich verteidigten. 1896 wurde das Zensuswahlrecht, welches nach und nach den Anteil der Stimmberechtigten auf zwei Drittel der Reichstagswähler (allgemeines Männerwahlrecht) hatte anwachsen lassen, gegen ein Dreiklassenwahlrecht ersetzt, das noch weniger als zuvor eine repräsentative politische Vertretung der Bevölkerung zuließ.

Die Landesregierungen stellten durchweg die konservativen und liberalen Parteien. Die Sozialdemokraten mussten sich trotz eines Stimmenanteils von durchschnittlich etwa 45 % (1903-1907) mit einem einzigen Abgeordneten in der Zweiten Kammer des sächsischen Landtages abfinden. Hingegen verbuchten sie bei Reichstagswahlen eindrucksvolle Wahlsiege wie etwa 1903, als sie 22 von insgesamt 23 sächsischen Reichstagsmandaten errangen. So sprach man denn auch vom „roten Königreich“.