Was hat Europa mit Ihnen zu tun?

Vor der Europawahl veranstaltet die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Wahlforen in Sachsen. Kandidierende und Parteien sollen sich vorstellen und die Besucher Fragen stellen. Der Auftakt war am 26. April in Zittau.

 

Das Wahlforum als Kontaktbörse

Warum es wichtig ist, den Europawahlkampf nicht nur auf großen Bühnen der Metropolen zu führen, sondern auch in kleinere Städte zu holen, zeigt sich schnell im Zittauer Kronenkino. Etwa 100 Menschen sitzen im Saal, sie sollen zunächst einige Fragen beantworten. Abgestimmt wird mit Karten: Ja, Nein, Enthaltung. Hat die Europäische Union Auswirkungen auf ihr Leben? Ja, finden die allermeisten. Wie die EU funktioniert, wissen viele wiederum nicht so genau, die meisten sind bei dieser Frage unentschieden. Ein klares Votum gibt es dagegen bei der Frage, ob hier schon mal jemand mit einem Europaabgeordneten gesprochen hat. Nein, verkündet die Mehrheit.

Das Wahlforum der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung soll das ändern. Ziel ist es, Kandierende und Parteien vorzustellen, die bei der Wahl des Europäischen Parlaments am 9. Juni antreten, ihre Positionen zu hören und darüber zu diskutieren. Vier Veranstaltungen sind in den kommenden Wochen geplant, in Chemnitz, Leipzig und Plauen. Das Wahlforum in Zittau am 26. April ist der Auftakt. Passenderweise im Dreiländereck, wo man stolz ist eine europäische Schnittstelle zu sein, mit guten Verbindungen zwischen Deutschland Tschechien und Polen.

Blitzrunden, Faktencheck und Sicherheitsdienst

Es ist ein anspruchsvolles Gesprächsformat. Das Podium ist groß, sieben Vertreter der Parteien sind gekommen: Harald Baumann-Hasske von der SPD, Oliver Schenk (CDU), Kristin Schütz (FDP), Cornelia Ernst von den Linken, Anna Cavazzini von den Grünen und Anne Herpertz von der Piratenpartei. Nicht alle stehen selbst auf dem Wahlzettel beziehungsweise sind Spitzenkandidaten ihrer Partei. Auch Siegbert Droese von der AfD sitzt auf der Bühne, in Sachsen ist der Landesverband vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden. Martin Sonneborn von der Satirepartei Die Partei war ebenfalls eingeladen, ist zur Veranstaltung aber nicht erschienen.

Wie kann so eine Veranstaltung gelingen, ohne auszuufern? Wie kann man Versuchen begegnen, so eine Runde mit Störungen oder Desinformationen zu torpedieren? Die Landeszentrale hat das Konzept lange vorbereitet. Schon am Eingang gibt es Vorkehrungen, ein Sicherheitsdienst kontrolliert die Gäste. Im Saal soll zwei Stunden diskutiert werden. Auf der Bühne gibt es zwei Moderatoren. Daneben sitzt außerdem ein Faktenchecker, Jürgen Neyer, Professur für europäische Politik an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er schaltete sich punktuell ein, um Aussagen auf dem Podium zu überprüfen. Es gibt verschiedene Gesprächsmethoden, etwa Blitzrunden zu Europa-Fragen, zu denen sich die Kandierenden positionieren sollen, einzeln oder in Diskussionsduellen. Die Zeit wird mit einer Sanduhr gestoppt, damit niemand ausschweift. Zwischendurch werden immer wieder Fragen aus dem Publikum eingeklinkt.

Damit es auch persönlich wird, sollten die Kandierenden Gegenstände mit Bezug zu Europa mitbringen, die ihnen etwas bedeuten. Einige präsentieren ihre Reisepässe, die man dank der EU nicht mehr braucht, weil Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen längst Normalität ist. Anna Cavazzini, in der aktuellen Legislatur EU-Abgeordnete der Grünen, zeigt ihr Handy, damit verbindet sie erfolgreiche Arbeit im Parlament. „Ich habe viele Gesetze mit angestoßen, auch eins zum einheitliche Ladekabel.“ Kristin Schütz von der FDP zeigt ein Foto ihres Sohns, er wurde im Nachbarland, im polnischen Zgorzelec geboren. „Er lebt also Europa, daher ist es mir ein besonders Anliegen, diesen Gedanken einzubringen.“

Verschiedene Konzepte für Europas Zukunft

Was würden die Kandierenden in der EU ändern? Man sollte „die Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen und wissenschaftliche Kooperationen ausbauen“, sagt Oliver Schenk von der CDU. Cornelia Ernst ist es wichtig, gegen „Verarmung“ vorzugehen, außerdem will sie sich einsetzen für einen „ökologischen und sozialen Strukturwandel, beides muss zusammenlaufen“. Das Kohlekraftwerk Turow, auf der anderen Seite in Polen, ist bei einigen auch Thema. „Da müssen wir etwas unternehmen. Auch die Polen müssen begreifen, dass wir aus der Kohle raus müssen“, sagt Harald Baumann-Hasske von der SPD. Der AfD-Mann Siegbert Droese hält den geplanten Kohleausstieg dagegen für „einen Fehler“, außerdem fordert er „wieder über russisches Gas nachzudenken“ und beklagt, dass „Strukturwandelgelder falsch eingesetzt“ würden.

Die AfD will zwar wieder einziehen ins EU-Parlament, ist aber bekannt als Gegner. Das macht Droese auch auf dem Podium deutlich. „Wir stehen dafür, dass das EU-Parlament zurückabgewickelt wird.“ Damit ist er allerdings allein in dieser Runde, alle anderen betonen, wie wichtig sie die EU und das Parlament grundsätzlich finden. Wenn es das EU-Parlament nicht schon gäbe, müsste man es erfinden, sagt Baumann-Hasske. „Es ist ein riesiges Friedensprojekt und kann uns viele Vorteile bringen.“ Europäer müssten zusammenhalten, sagt Oliver Schenk. „Wir treffen Entscheidungen, die Wettbewerbsfähigkeit garantieren.“

„Ziemlich transparent“

Die Stimmung im Saal ist meist ruhig, konzentriert. Vereinzelt gibt es Murren und Zwischenrufe aus einigen Reihen, bei denen die Moderation um Mäßigung bittet. Regelmäßig können die Besucher selbst Fragen stellen. Warum wurde Ursula von der Leyen, aktuell Präsidentin der EU-Kommission, nicht direkt gewählt, will ein Mann wissen. Diesen Punkt sehen auch einige Politiker auf dem Podium kritisch. Man habe „für das Spitzenkandidatenprinzip gekämpft, beim letzten Mal ist das nicht passiert“, sagt Anna Cavazzini, beim nächsten Mal solle das anders laufen. Warum wurde das Teilhabegesetz bisher nicht umgesetzt, fragt ein anderer Mann. „Da müssen wir einen deutlichen Schritt nach vorn machen“, sagt Cornelia Ernst. „Da bin ich aber optimistisch, weil es auch eine starke Zivilgesellschaft gibt, die dafür eintritt.“

Es geht auch um die Frage: Ist das EU-Parlament transparent genug? Ja, finden die meisten Politiker auf dem Podium. Auch Jürgen Neyer, der Faktenchecker aus der Wissenschaft, bestätigt das: „Europa ist im Vergleich mit der Komplexität ziemlich transparent.“ Er reagiert auch auf ein anderes Thema, das aufgekommen ist, die zunehmende Verarmung in einigen europäischen Ländern. „Das ist ein Problem, es gibt ein Ausfransen oben und unten. Das heißt, der Mittelschicht geht es eigentlich gut, aber an den Rändern haben wir ein Problem“, erklärt er. Unten Armut, oben enormer Reichtum, das sei „sozialpolitisch hochgradig problematisch“.

Alle sollen vom Strukturwandel profitieren

Im letzten Teil der Veranstaltung treffen die Kandidaten in der direkten Konfrontation aufeinander, die Konstellationen werden per Los entschieden. In einem Wettstreit diskutieren FDP, SPD und Piraten über die Frage: Wie kann der Strukturwandel für die Menschen verträglich gestaltet werden? „Für die Region ist es wichtig, die Energiewende hinzubekommen“, sagt Anne Herpertz von der Piratenpartei und verweist auf lokale Kompetenzen. „An der Hochschule in Zittau passiert ganz viel tolle Forschung mit erneuerbaren Stoffen.“ Die Wissenschaftsprojekte in der Region hält auch Harald Baumann-Hasske, SPD, für „absolut zukunftsträchtig“. „Ich denke mit den Mitteln, die für den Strukturwandel zur Verfügung stehen, wird schon viel passieren“, sagt er. „Der Bewusstseinswandel muss noch kommen.“ Er habe mitunter allerdings noch den Eindruck, „dass wir uns in der Region noch abgehängt fühlen“. Was noch fehle, seien „Industriearbeitsplätze, wo Mehrwert entsteht“, sagt die FDP-Politikerin Kristin Schütz. „Ich bin Fan von Forschungsprojekten. Wir müssen aber auch schaffen, dass wir jedem Bürger das Gefühl geben, dass er vom Strukturwandel mitprofitiert. Daran fehlt es noch.“

Nach reichlich zwei Stunden ist die Abschlussfrage an alle: Wie sehen sie die EU künftig? Die AfD will ein „Europa der Vaterländer“, ein alter Begriff von Charles de Gaulle. Einst Formel der europäischen Integration deutet Siegbert Droese den Begriff ins Gegenteil und fordert Entscheidungen „auf der nationalen Ebene“. Er bekommt dafür einigen Applaus im Saal, aber auf dem Podium ist er mit dieser Position allein. Alle anderen sehen die EU als starke Einheit der Mitgliedsstaaten. Sie bevorzuge das Modell der föderativen Union, sagt auch Kristin Schütz, „mit Fokus auf die Regionen hier“. „Ich glaub auch, dass wir als noch enger zusammenarbeiten müssen in europäischen Fragen“, sagt Anna Cavazzini. „Also eher mehr Europa als weniger.“